Die Zeit - 02.04.2020

Karin und Joe sind seit vier Jahren ein Paar. Ihre

gemeinsame Leidenschaft ist das Reiten; sie teilen

sich eine Stute, die sie selbst mit dem Anhänger

an ihrem Wohnmobil in Andalusien abgeholt

haben. Karin sorgt sich, ob durch die Corona-

bedingten Einschränkungen am Ende auch Aus-

ritte unmöglich werden. Sie verbringt möglichst

viel Zeit mit dem Pferd, während Joe einige

Termine einfach nicht im Homeoffice erledi gen

kann. An einem Abend kommt Karin nach Hau-

se. Im Flur liegt ein Zettel auf dem Boden: »Habe

mich angesteckt. Schlafe jetzt im Wohnmobil.«

Karin zückt ihr Handy und macht Joe Vorwürfe.

Er hätte sie fragen müssen! Außerdem hat er sie

vielleicht schon angesteckt! Hat er sich überhaupt

testen lassen? Joe lässt sich nicht beirren – bis

Karin in Tränen ausbricht und sagt: Ich will lieber

mit dir krank sein als ohne dich gesund!

Frag doch den Therapeuten:

Soll sie lieber mit ihm krank werden?

Die großen Fragen der Liebe (N^0 6 04): Wolfgang Schmidbauer ist einer der bekanntesten deutschen Paartherapeuten.

Zuletzt erschien sein Buch »Kaltes Denken, warmes Denken: Über den Gegensatz von Macht und Empathie« (kursbuch.edition)

Ist in Corona-Zeiten Paaren zu wünschen, dass

sie ein Wohnmobil oder eine Zweitwohnung

haben und sich mit deren Hilfe voneinander iso-

lieren können? Ich würde das bejahen; ich bin

kein Freund der These, dass sich Liebe und Nähe

gleichsetzen lassen müssen. Allerdings frage ich

mich, warum Joe mit einem Zettel kommuniziert

und Karin nicht angerufen hat, was ihren Schock

gemildert hätte und auch unter hygienischen

Aspekten den Vorzug verdient. Scheut er sich vor

Auseinandersetzungen? Wenn sich in den nächs-

ten Tagen herausstellt, dass auch Karin infiziert

ist, können sie ja wieder zusammenziehen. Wenn

Joes Testergebnis positiv ist und Karin gesund

bleibt, hat sich der Aufwand gelohnt. Karins letz-

ten Satz finde ich rührend, aber unbrauchbar. Es

ist kein Liebesbeweis, sich die Haare zu scheren,

weil der Partner eine Glatze hat.

Wolfgang Schmidbauer

antwortet:

Illustration Yeye Weller

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