Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

Frau Wilms-Regen, Ihr Hotel steht
im Landkreis Heinsberg. Sie waren in


Deutschland mit als Erste von Corona
betroffen. Wie haben Sie das erlebt?


Am Anfang glaubte niemand an die Riesen-
welle, die da über uns hinwegschwappen


würde. Und das, obwohl der Kreis von An-
fang an drastische Maßnahmen ergriffen


hat, Schul- und Kita-Schließungen zum
Beispiel. Ich persönlich habe es erst reali-


siert, als alle unsere Gäste storniert haben.
Plötzlich klingelte pausenlos das Telefon.


Die, die noch da waren, haben fast flucht-
artig gepackt und sind abgereist.


Wie ging es weiter?
Wir durften das Restaurant noch eine


Woche offen halten, haben die Tische weit
aus ein an der ge stellt und den Leuten ein


letztes Mal eine schöne Zeit geschenkt.
Seitdem ist es geschlossen. Unser Hotel ist


weiterhin geöffnet. Ich bin aber der einzige
Mensch darin.


Was bedeutet Ihnen das Hotel?
Meine Großmutter hat es gegründet, da-


mals als einfache Dorfgaststätte. Meine
Eltern haben es dann zu dem hochklas-


sigen Hotel umgebaut. Mein Mann und
ich leiten es seit 1998. Im Hotel pflege ich


teilweise langjährige Freundschaften mit
Stammgästen, die jedes Jahr aus vielen Tei-


len Deutschlands und Europas anreisen.
Was wäre der Punkt, an dem Sie sagen,


dass Sie das Hotel aufgeben müssen?
April, Mai und Juni sind unsere wichtigsten


Monate, die Stornierungen reichen bis in
den Mai. Ein paar Ausfälle kann ich verkraf-


ten, aber ab einem gewissen Punkt muss ich
sagen: Jetzt geht es nicht mehr, sonst kann


ich die Kredite nicht abbezahlen.
Ohne Gäste machen Sie keinen Umsatz.


Mein Mann und ich haben uns beraten, als
die Gäste storniert haben. Er ist Küchen-


chef in unserem Restaurant und bei mir
angestellt. Wir haben nach und nach alle


Kosten so weit reduziert, wie es ging.
Was heißt das?


Ohne Gäste braucht man keine Lebens-
mittel einzukaufen. Leider hatte ich da


bereits den Wein für die Saison bestellt.
Ich könnte jetzt 700 Flaschen guten Weins


trinken. Die Heizung kann man runter-
drehen, Strom und Wasser abstellen. Am
schwierigsten ist es natürlich mit den An-
gestellten. Die sind jetzt alle zu Hause und
bekommen Kurzarbeitergeld.
Wie haben Sie ihnen das vermittelt?
Das war unglaublich schwer, aber am Ende
haben es alle verstanden. Eine Angestellte,
mit der ich seit vielen Jahren befreundet
bin, schafft es jetzt finanziell nicht mehr.
Sie bekommt ja nur noch 60 Prozent ihres
Gehalts. Der werden wir Geld dazugeben,
wenn sie es denn akzeptiert. Eine andere
hat angekündigt, dass sie das Angebot an-
nehmen muss, in einem Krankenhaus zu
arbeiten, wenn sie bei uns länger als zwei
Monate nicht voll verdienen kann. Ich ver-
stehe das. Das sind Schicksale, da kriege
ich richtig Bauchschmerzen. Nein, nicht
Bauchschmerzen: Herzschmerzen.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie Ihre
Angestellten bald zurückholen können?

Mein Mann hat gesagt, ich solle nicht
traurig sein, wenn es anderthalb bis zwei
Monate werden. Ich will das noch nicht
glauben. Aber auch wenn der Ausnahme-
zustand vorbei sein sollte, wird Heinsberg
weiter ein Stigma tragen. Wir waren vor
dem Virus ja eine Tourismus-Gegend. Eine
Spargelregion mit wunderschöner Land-
schaft zum Wandern, für Fahrradtouren,
auch über Ländergrenzen hinweg.
Wie erleben Sie dieses Stigma?
Ich persönlich habe noch nichts erlebt.
Aber ich kenne genug Geschichten: von
Menschen, denen die Reifen zerstochen
wurden, weil sie mit Heinsberger Kenn-
zeichen in anderen Landkreisen unterwegs
waren. Von Leuten, die aus Geschäften
geworfen und beschimpft wurden. Als das
Fußballspiel zwischen Mönchengladbach
und Dortmund stattfand, zu dem die
Heinsberger praktisch ausgeladen wurden,
hat jemand auf Face book gefordert, eine
Bombe über Heinsberg abzuwerfen, um
das Virus-Problem zu lösen.
Geht Ihnen so etwas nicht nahe?
Wenn es mir zu viel wird, setze ich mich
in die Sonne, höre meine Lieblingsmusik
und komme so gedanklich wieder dahin,
wo ich jedem Problem etwas Positives ab-
gewinnen kann.
Positive Aspekte der Corona-Krise?
Ja! Wir haben hier in der Region zum
Beispiel eine Gruppe aus Gastronomen,
Hoteliers und Zulieferern gegründet. Wir
tauschen Informationen aus, helfen uns
bei den Kurzarbeits-Anträgen und über-
legen, wie wir das Image von Heinsberg
wieder verbessern können. Wir wollen
über die Gesundheitspolitik berichten
und über den Hash tag #hs be strong Spen-
den für einen kranken Jungen sammeln.
Außerdem erlebe ich hier zurzeit unglaub-
lich viel Solidarität. Alle helfen sich gegen-
seitig. Manche gehen für ein an der einkau-
fen, andere bieten an, bei der Spargelernte
zu helfen oder dabei, etwas gegen die Ein-
samkeit der Menschen in den Altenhei-
men zu tun. Foto David Scherrers

Die Hotelbesitzerin Birgit Wilms-Regen will trotz Corona optimistisch bleiben


Ich brauche eine Rettung BIRGIT WILMS-REGEN


Birgit Wilms-Regen, 53, führt das
Haus Wilms in Effeld im Kreis
Heinsberg. In Heinsberg ist sie auch
aufgewachsen. Sie hat an der Hotel-
fachschule Altötting Hotelbetriebs-
wirtschaft studiert. Nebenbei gibt sie
Seminare zu den Themen Verkauf,
Marketing und Mitarbeiterführung

Das Gespräch führte Robert Hofmann

Aus unserer Serie »Das war meine Rettung« wird von nun an »Ich brauche eine Rettung«:
Wir sprechen mit jenen, die wegen der Corona-Krise um ihre Familie, ihren Beruf, ihre Existenz bangen müssen.
Möchten Sie uns Ihre Geschichte erzählen? Dann schreiben Sie uns: [email protected]
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