Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

DIE ZEIT: Seit dem Ausbruch des Coronavirus hilft
die Bundeswehr im Inland – sie liefert etwa Schutz-
kleidung aus oder geht für Senioren einkaufen. Sind
Sie stolz auf die Truppe, Herr Riexinger?
Bernd Riexinger: Ich bin grundsätzlich nicht stolz
auf das Militärische. Es ist jetzt natürlich sinnvoll,
wenn die Bundeswehr etwa Kapazitäten in ihren
Krankenhäusern zur Verfügung stellt. Ich bin aller-
dings dagegen, dass die Armee im Inneren eingesetzt
wird, also praktisch Polizeigewalt bekommt. Die
klare Trennung hat ja gute historische Gründe.
Nariman Hammouti: Also, ich bin sehr stolz auf
meine Kameradinnen und Kameraden. Es haben
sich jetzt unter anderem Tausende Reservisten frei-
willig zum Dienst gemeldet. Sie alle gehen das Risi-
ko ein zu erkranken. Hier bei der Marine in Wil-
helmshaven gehen wir für ältere Bürger einkaufen.
Das ist gelebte Kameradschaft. Sobald wir in diesem
Land gebraucht werden, melden wir uns.
Riexinger: Es gibt gerade viel Alltagssolidarität.
Man muss dazu keinen besonderen patriotischen
Stolz haben. Auch Mitglieder der Linkspartei hel-
fen älteren Menschen beim Einkaufen.
ZEIT: Unionspolitiker wollen den Artikel 35 des
Grundgesetzes ändern, damit die Bundeswehr im
Inneren nicht nur bei Naturkatastrophen und gro-
ßen Unglücken eingesetzt werden könnte, sondern
auch bei einer Pandemie. Wäre das richtig?
Riexinger: In der CDU wollen manche schon im-
mer die Trennung zwischen Polizei und Bundes-
wehr aufweichen und nutzen jetzt die Lage. Das ist
weder nötig, noch richtig. Wer den Einsatz der Bun-
deswehr im Inneren fordert, ist geschichtsvergessen.
Wir haben die schlimmsten Erfahrungen gemacht
mit dem Einsatz der Reichswehr im Inneren.
Hammouti: Wir sind die Bundeswehr, nicht die
Reichswehr oder gar die Wehrmacht! Wir haben ge-
schworen, das Recht und die Freiheit des deutschen
Volkes zu verteidigen. Wir wurden auf unser Grund-
gesetz vereidigt. Das hat nichts mit Nazitum zu tun.
Riexinger: Deshalb sollten Sie auch nicht in die
Lage geraten, im Land eingesetzt zu werden, son-
dern eben das Grundgesetz beachten.
Hammouti: Wir achten alle unsere Geschichte.
Auch als Vorsitzende des Vereins »Deutscher.Sol-
dat.« gehöre ich zu den vielen, die sich gegen Ras-
sismus und jegliche Diskriminierung einsetzen.
Und ich bin stolzer deutscher Marineoffizier. Die-
ses Klischeebild vom 1,85 Meter großen Soldaten
mit kurz geschorenen blonden Haaren, der rechts-
radikal ist – das gibt es in der Realität so gut wie gar
nicht. Klar, auch die Truppe hat schwarze Schafe.
Die gibt es aber auch im Bundestag und überall
sonst. Das ist kein Grund, eine Verbindung zwi-
schen Wehrmacht und Bundeswehr herstellen.
Riexinger: Ich rede nicht von Vergleichen, sondern
von historischen Schlussfolgerungen.
ZEIT: Reden wir mal von kleinen Veränderungen.
Die Verteidigungsministerin möchte die Streitkräfte
öffentlich sichtbarer machen, auch durch Gratis-
Bahnfahrten für Bundeswehrangehörige in Uni-
form. Herr Riexinger, wie fänden Sie es, Frau Ham-
mouti in Uniform in der Bahn zu treffen?
Riexinger: Ich hätte gar nichts dagegen. Ich halte
diese Regelung allerdings für eigenartig. Wenn
man will, dass bestimmte Leute umsonst Bahn
fahren – und wir als Linke wollen das perspekti-
visch für alle –, dann hätte ich eher mit Pflegerin-
nen oder anderen sozialen Berufen angefangen. Es
gibt keinen Grund, Berufssoldaten zu bevorzugen.
Hammouti: Also ich kenne keine Pflegerin, die
wechselnde Dienstorte vorgeschrieben bekommt
und zum Beispiel von Bayern nach Flensburg
pendeln muss. Natürlich kann man sagen, dann
müssen Soldaten eben umziehen, aber das geht
vielleicht wegen der Familie nicht. Außerdem ge-
hören wir in die Mitte der Gesellschaft, Unifor-
men sind ja nichts Schlimmes. Und wenn Pfleger
und Krankenschwestern auch kostenlos mit der
Bahn fahren wollen, na, vielleicht setzt sich dann
mal das Gesundheitsministerium dafür ein?
Riexinger: Die Verteidigungsministerin hat hier
doch bewusst ein Exempel statuiert und gesagt, wir
wollen ausdrücklich Leute in Uniform in der Bahn
sehen. Das war kein sozialer Akt. Es geht darum, im
öffentlichen Raum das Militärische zur Selbstver-
ständlichkeit zu machen. Dagegen bin ich.
Hammouti: Warum? Wollen Sie eine ganze Berufs-
gruppe ausklammern?
Riexinger: Nein, ich wende mich gegen eine Be-
vorzugung. Für eine Gruppe, die nicht zu den so-
zial Schwächsten gehört, hat man mit Steuermit-
teln ein Privileg geschaffen, um ein politisches
Signal zu senden. Der Verteidigungsministerin
geht es um Aufrüstung. Die Bundeswehr soll in
noch mehr Ländern eingesetzt, mi-
litärische Lösungen sollen nach
vorn gerückt werden.
ZEIT: Frau Hammouti, Polizisten
dürfen schon länger kostenlos Bahn
fahren, auch weil sie das Sicher-
heitsgefühl der Passagiere steigern.
Würden Sie das von Soldatinnen
und Soldaten auch behaupten?
Hammouti: Ich weiß nicht, ob ich
in Uniform Sicherheitsgefühle aus-
löse, aber wieso nicht? Wenn es im


Zug einen Notfall gibt, wen rufen Sie? Wenn Sie
wissen, da sitzt ein Offizier, dann doch vielleicht
ihn. Wir sind schließlich alle ausgebildet und müs-
sen jedes Jahr unter anderem zum Sanitätstraining.
Riexinger: Was nutzt es, wenn Berufsgruppen, die
nicht für die öffentliche Sicherheit zuständig sind,
öffentlich Uniform zeigen? Für die Sicherheit der
Bürgerinnen und Bürger hat die Polizei zu sorgen.
Bei ihr ist lange zu viel Personal eingespart wor-
den, sie muss vernünftig ausgestattet sein.
Hammouti: Schön, dass Sie das sagen. Wenn Sol-
daten vom Bundestag in einen Einsatz geschickt
werden, scheinen Sie das anders zu sehen. Im Mo-
ment müssen wir mit teils 30 Jahre altem Equip-
ment klarkommen. Haben Soldaten weniger An-
recht auf eine gute Ausstattung?
Riexinger: Die Linke hat bisher ge-
gen alle Auslandseinsätze der Bun-
deswehr gestimmt ...
Hammouti: Ja, weiß ich!
Riexinger: ... das heißt, es ist nicht
gerade unsere Aufgabe, zu fordern,
dass die Truppe besser ausgestattet
sein muss. Wir sagen vielmehr, die
Bundeswehr hat im Ausland nichts
verloren.
Hammouti: Ich respektiere, dass Sie

gegen die Mandate sind. Offen gesagt, reiße ich
mich nicht darum, in solchen Einsätzen meinen
Kopf hinzuhalten. Ich war zweimal in Afghanistan
und habe Sachen gesehen, die ich lieber nicht gese-
hen hätte. Aber die Soldaten sind nun mal im Aus-
land, Herr Riexinger. Wie andere war auch ich mit
schlechter Ausrüstung unterwegs. Mit einer Schutz-
weste, die mir nicht passte, weil es nicht genügend
in meiner Größe gibt. Ich saß in Fahrzeugen, die
ungenügend gepanzert waren. Wenn ich deswegen
ums Leben komme, was sollen dann meine Ange-
hörigen vom Bundestag denken, der mich in den
Einsatz geschickt hat?
Riexinger: Ich sage doch nicht, dass Sie schlecht
ausgerüstet werden sollten. Die Bundeswehr be-
kommt dieses Jahr 50 Milliarden Euro. Allein die
Etat-Erhöhung ist mehr als alle Mittel für Klima-
schutz zusammen. Es läuft in der Beschaffung viel
schief: Da arbeiten 11.000 Leute, trotzdem brau-
chen sie noch Berater, die viele Millionen kosten.
Die Verteidigungsministerin will sogar zwei Prozent
des Bruttoinlandsproduktes für die Bundeswehr
ausgeben, das wären 85 Milliarden Euro – mehr als
das, was die Atommacht Russland ausgibt.
ZEIT: Frau Hammouti geht es wohl nicht allein um
Geld, sondern auch um Respekt. Soldatinnen und
Soldaten leben und arbeiten in Krisenregionen un-

ter anstrengenden und gefährlichen Bedingungen.
Verdienen sie dafür nicht mindestens genauso viel
Anerkennung wie Polizisten oder Feuerwehrleute?
Riexinger: Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie
jeder andere. Man wird zum Kämpfen und zum
Töten ausgebildet. Dieses Berufsbild erfordert kei-
nen besonderen Respekt. Meinen vollen Respekt
haben die Menschen, die bei der Bundeswehr ar-
beiten. Ich habe so viel Respekt vor ihrem Leben
und ihrer Gesundheit, dass ich sie davor schützen
möchte, in Auslandseinsätze gehen zu müssen.
Hammouti: Das verstehe ich nicht. Wenn Sie
diese Menschen respektieren und sich um ihr
Wohlergehen sorgen, müssten Sie dafür sein, sie
möglichst gut auszustatten. Haben Sie mal einen
Truppenbesuch gemacht und sich
ein Bild davon verschafft, wie mei-
ne Kameradinnen und Kameraden
in Mali oder in Afghanistan leben
und arbeiten?
Riexinger: Ich habe den Wehrdienst
verweigert, und ich war noch nie
beim Militär, aus guten Gründen.
Ich habe keinen besonderen Respekt
vor Leuten, die in den Auslandsein-
satz gehen. Diese Einsätze, vor allem
der in Afghanistan, sind erwiesener-

maßen ein Fiasko. Jeder vernünftige Mensch sollte
dafür eintreten, dass wir Militär überall abbauen.
Hammouti: Und ich bin Soldatin geworden, weil
ich etwas Sinnvolles für mein Land tun wollte.
Weil ich Kameradschaft und Engagement für un-
sere Demokratie schätze. Ich sehe in Afghanistan,
wie Menschen unterdrückt werden, ihre Meinung
nicht frei äußern können, und für ihr Recht dazu
stehe ich ein. Dieses Recht verteidige ich für alle
Menschen. Auch für Sie, Herr Riexinger.
ZEIT: Seit der Aussetzung der Wehrpflicht hat die
Bundeswehr allerdings ein Nachwuchsproblem,
und womöglich nicht nur ein zahlenmäßiges.
2019 wurden laut Wehrbericht 45 Soldaten wegen
Rechtsextremismus vorzeitig aus dem Dienst ent-
lassen. Rekrutiert sich die Bundeswehr wirklich
noch aus der Mitte der Gesellschaft?
Hammouti: Ja. Der Militärische Abschirmdienst
und Vorgesetzte sind bestrebt, Radikale herauszu-
filtern. Seit dem 1. Juli 2017 wird jeder Soldat si-
cherheitsüberprüft. Leider erwischen wir noch
nicht jeden. Und leider ist die Truppe seit der Aus-
setzung der Wehrpflicht von der Bildfläche ver-
schwunden. Dabei wäre es wichtig, hervorzuhe-
ben, wie vielfältig und bunt sie ist. Ich denke, das
war ein Motiv unserer Ministerin: zu zeigen, es
gibt auch schwarze Soldaten, oder Soldatinnen mit
einem arabischen Migrationshintergrund wie
mich. In 15 Jahren Bundeswehr habe ich übrigens
deutlich mehr Diskriminierung und Rassismus
außerhalb der Truppe erlebt als innerhalb.
Riexinger: Natürlich gibt Rechtsextremisten über-
all in der Gesellschaft. Aber die Bundeswehr zieht
durch ihre autoritären Strukturen vermehrt Leute
an, die dafür anfällig sind. 550 laufende Verdachts-
fälle wegen Rechtsextremismus sind eine Menge.
Die Bundeswehr muss sich fragen, ob sie durch
ihre Strukturen solches Gedankengut fördert. Sie
muss, was das angeht, ihr Immunsystem stärken!
ZEIT: Hier sind Sie zwei sich womöglich mal einig.
Hammouti: Beim Kampf gegen Extremismus si-
cherlich. Von diesen Leuten darf niemand Zugang
zu Waffen haben.
ZEIT: Herr Riexinger, müssten dann nicht gerade
Sie als Militärskeptiker daran interessiert sein, dass
die Armee wieder enger mit der Zivilgesellschaft in
Berührung kommt?
Riexinger: Ich erwarte, dass die Bundeswehr das
leistet, ja. Solange es sie gibt, müssen wir darauf
achten, dass sie Bestandteil der Demokratie bleibt.
Genau das spricht allerdings dagegen, das Militä-
rische hervorzuheben, zum Beispiel auch durch
öffentliche Gelöbnisse.
Hammouti: Was haben Sie dagegen? Ich war kürz-
lich Gast beim Gelöbnis vor dem Bundestag. Meine
Kameradinnen und Kameraden waren stolz darauf,
dort zu stehen und zu schwören, »das Recht und die
Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen«.
Wir sollen also für dieses Land den Kopf riskieren –
aber man soll uns nicht sehen? Das regt mich auf!
Riexinger: Das muss nicht öffentlich passieren.
Die Bundeswehr kann in ihren Kasernen bleiben,
wenn Eide geleistet werden.
Hammouti: Sie wollen ausschließen, was Sie nicht
sehen wollen!
Riexinger: Ich bin gegen die Zurschaustellung von
Uniformen, gegen dieses ganze Tamtam, etwa auch
mit Militärmusik. Die Bundeswehr gerät nicht nä-
her an die Gesellschaft, indem sie vor dem Bundes-
tag eine Parade abhält. Das ist eine Inszenierung.
Hammouti: Es geht um mehr Normalität. Wir
sind ja schon froh, wenn wir vom Dienst kommen
und nicht angestarrt werden. Bei mir war das in
meiner Nachbarschaft anfangs auch so, wenn ich
etwa nach Dienstschluss noch in Uniform in den
Laden um die Ecke einkaufen gegangen bin.
ZEIT: Auch Polizisten oder Feuerwehrleute riskie-
ren ihre Gesundheit für die Allgemeinheit, kom-
men aber ohne Gelöbnisfeiern aus. Warum
braucht die Bundeswehr sie?
Hammouti: Polizisten oder Feuerwehrleute setzt
niemand pauschal mit Mördern gleich.
Riexinger: Eines beunruhigt mich sehr, Frau
Hammouti: dass Sie so ein unkritisches Bild von
der Bundeswehr haben. Von Ihnen als Offizierin
erwarte ich mehr kritische Distanz zu Ihrer Arbeit,
zu Ihrem Dienst an der Waffe. Es geht mir zu viel
um Stolz bei Ihnen.
Hammouti: Ich bin aber nun mal stolz auf meinen
Beruf und auf mein Land. Gleichzeitig sehe ich
durchaus vieles in der Bundeswehr kritisch. Bei uns
läuft wirklich auch einiges schief.
ZEIT: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee
und Herr Riexinger als Abgeordneter einer ihrer
Auftraggeber. Haben Sie einen konkreten Wunsch
an ihn, Frau Hammouti?
Hammouti: Nächstes Jahr gehe ich
wahrscheinlich in den Einsatz nach
Mali. Besuchen Sie mich dort! Da-
mit Sie ein besseres Bild von uns
haben, wenn es im Bundestag um
uns Soldaten geht.
Riexinger: Danke, ich werde drüber
nachdenken.

Das Gespräch moderierten
Jochen Bittner und Stefan Schirmer

STREIT

»Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.« HELMUT SCHMIDT


Bernd Riexinger, 64,
ist seit 2012 Co-Vorsitzender der Linkspartei. Der Bankkaufmann und langjährige
Gewerkschaftssekretär aus Stuttgart sitzt seit 2017 im Bundestag. Im vergangenen
Jahr rief er zu Protesten gegen öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr auf

Nariman Hammouti, 40,
nahe Hannover als Kind marokkanischer Eltern geboren, kam 2005 zur Bundeswehr
und ist heute Leutnant zur See. Sie leitet den Verein »Deutscher.Soldat.«, der
für »Vielfalt als Normalität« eintritt. 2019 erschien ihr Buch »Ich diene Deutschland«

Corona-Krise hin oder her, Soldaten gehören nicht in den öffentlichen Raum, findet der


Linkspartei-Chef Bernd Riexinger. Oh doch!, entgegnet die Offizierin Nariman Hammouti


Foto: Philotheus Nisch für DIE ZEIIT; kl. Fotos: Janine Schmitz/Photothek; Michael Löwa/laif

Soll die


Bundeswehr


in den


Kasernen


bleiben?


10 2. APRIL 2020 DIE ZEIT No 15

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