Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

Harald Martenstein


Über ambivalente Corona-Gefühle – und ein Vorschlag


für eine neue Grußformel


Harald Martenstein


ist Redakteur des »Tagesspiegels«


Es gibt immer mehr Corona-Songs, einer stammt von dem Enter-


tainer Michael Krebs und ist auf Facebook zu finden. Krebs schil-
dert die ambivalenten Gefühle, die er im Moment hat, nicht als


Einziger. Er genießt nämlich seine erzwungene Auszeit. »Corona«,
singt Krebs, »du bringst uns um, und du bringst uns zum Chillen.«


Oder: »Corona, Segen und Fluch / Leben sind bedroht / und ich
les endlich mal ein Buch.« Allen Weicheiern aber, die über ihren


Hausarrest jammern (ich nenn das jetzt einfach mal so), liest der
britische Moderator Piers Morgan in einer Wutrede die Leviten:


»Geht nach Hause, seht fern, und wascht euch die Hände, wie
schwer kann das sein?«


Mauerfall, Nine Eleven, Corona, das alles hat keiner vorhersehen
können. Das Leben ist nichts für Kontrollfreaks. Du musst immer


mit allem rechnen. Genieße den Tag! Wegen der abgesagten Termine
habe ich endlich Zeit, um die Stapel auf meinem Schreibtisch durch-


zusehen. Ich habe eine drei Jahre alte, vergessene Rechnung gefun-
den, eine Mahnung ist nie gekommen, soll ich zahlen? Ich lese viel,


für das Kind ist trotzdem mehr Zeit da, wir machen Fahrradtouren,
die sind erlaubt. Jeden Abend wird gekocht, draußen herrscht Ruhe,


die Luft ist besser. Irgendwann wird es nerven, oder das Geld wird
knapp, aber fürs Erste finde auch ich den Shutdown ganz angenehm.


Ich höre schon die Stimmen der Dummen, die rufen: »Er findet
Corona gut! Sperrt ihn doch endlich ein!« Aber meine treuen Freun-


de, die Klugen, werden erwidern: »Er hat doch nichts über Corona
gesagt, sondern über den Hausarrest geredet. Er plädiert dafür, das


Beste draus zu machen, statt den Mond anzuheulen.«
Mails, unter denen früher »mit freundlichen Grüßen« stand, werden


jetzt meistens mit »Bleiben Sie gesund!« unterzeichnet. »Mit freund-


lichen Grüßen« wird häufig »mfG« abgekürzt. Ich hab’s jetzt ein
paarmal mit der Abkürzung »BSg!« versucht. Beim ersten Mal muss
man’s erklären, danach greift der Kommunikationspartner die For-
mel »BSg!« oft auf. Unter sich Duzenden heißt es »Bg!«. Vielleicht
hält sich »Bleiben Sie gesund!« dauerhaft als Alternative zu den et-
was vernutzten »freundlichen Grüßen«. Und ich wäre für immer der
Mann, der »BSg!« erfunden hat.
Einer der großen Verlierer in dieser Krise ist das Wort »unmöglich«.
Ich kenne einen Kollegen, der seit Langem von zu Hause arbeiten
wollte. Sein Chef sagte, dies sei unmöglich. Nun stellte sich blitz-
schnell heraus, dass es ohne Weiteres möglich ist. Der Chef wollte
es bloß nicht. Wichtige Konferenzen finden auf einmal per Video
statt. Vielleicht bricht unser Gesundheitssystem zusammen, aber vor
einem Zusammenbruch des Konferenzwesens hat noch niemand
gewarnt. Es geht also. Ein Teil des Flug- und Autoverkehrs ist wirk-
lich überflüssig, das wissen wir jetzt, die Klimaschützer werden es
sich merken. Man kann auch Grenzen dichtmachen, falls man will
und es für nötig hält, unmöglich ist es nicht. Es ist auch möglich, in-
nerhalb weniger Wochen ein Krankenhaus zu bauen. Es ist möglich,
die Wirtschaft teilweise lahmzulegen und in kürzester Zeit riesige
Milliardensummen auszuwerfen, möglich ist offenbar fast alles, falls
man nur will (das ewige Leben ausgenommen).
Alle, die in nächster Zukunft Worte wie »unmöglich« oder »alter-
nativlos« verwenden, stehen unter Rechtfertigungsdruck. Statt zu
erklären, etwas sei unmöglich, müssen sie erklären, warum sie das
betreffende Etwas nicht wollen oder warum sie andere Prioritäten
setzen. Ob durch Corona womöglich die fast vergessene Kultur-
technik des Argumentierens zurückkehrt?

Zu hören unter http://www.zeit.de/audio

Illustration Martin Fengel

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