Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

DIE ZEIT: Herr Van Quaquebeke, inwiefern ist
diese Krise für Chefs eine besondere?
Niels Van Quaquebeke: Zu finanziellen Problemen
kommen praktische, etwa das Homeoffice für ein
ganzes Unternehmen zu organisieren. Dann die
soziale Isolation als psychische Belastung für die
Mitarbeitenden. Die stehen in viel höherem Maße
unter Stress; manche verspüren Panik, krank zu
werden oder ihren Job zu verlieren.
ZEIT: Vielen Chefs geht es wohl nicht anders.
Van Quaquebeke: Genau. Sie müssen ihre neue
Arbeitsstruktur erst finden, vielleicht Kinder be-
treuen. Auch Chefs laufen zu Hause schon mal
die Wände hoch. Wir sind alle Menschen, die
gemeinsam an dieser Krise leiden – das müssen
Führungskräfte erkennen und rüberbringen. Al-
lerdings erlebe ich gerade Unternehmen, die zu-
allererst kühl die neuen Regeln diktieren. Das ist
problematisch.


ZEIT: In Nachrichten oder auf Social Media äu-
ßerten sich Unternehmer verzweifelt, manche
weinten vor der Kamera. Ist das zu viel Gefühl?
Van Quaquebeke: Wenn es schlecht für ein Unter-
nehmen aussieht, ist es authentisch, die Wahrheit
auszusprechen und Verletzlichkeit zu zeigen. Wer
aber spekuliert, alle könnten ihren Job verlieren,
ohne es genau zu wissen, treibt es zu weit. Zu Füh-
rung gehört es, für Beruhigung zu sorgen.
ZEIT: Bewähren sich bestimmte Führungsstile in
Krisenzeiten besser?
Van Quaquebeke: Die Forschung zeigt, dass in der
Krise das Bedürfnis nach Autorität zunimmt. Es
braucht einzelne Leute, die in koordinierter Art
und Weise voranschreiten; den Mitarbeitern muss
dabei das Gefühl von Kontrolle, Verbundenheit
und Kompetenz vermittelt werden.
ZEIT: Wie können Führungskräfte Kontrolle ver-
mitteln, obwohl nichts unter Kontrolle ist?

Van Quaquebeke: Indem sie kommunizieren, dass
sie daran arbeiten. Es ist wichtig, dass sie nicht im
stillen Kämmerlein hocken, bis sie eine fertige
Lösung präsentieren können, sondern kleinteiliger
informieren, was sie gerade machen, selbst wenn es
wenig Fortschritt gibt. Abwarten ist für viele Mit-
arbeitenden ein Horror, gerade wenn es um Job-
verlust oder Kurzarbeit geht.
ZEIT: Wie erwirkt man Verbundenheitsgefühl?
Van Quaquebeke: Man muss Austausch schaffen.
Für Teams im Homeoffice heißt das: statt dem
Treffen in der Büroküche zum Beispiel einen »daily
coffee-chat« bei Zoom einrichten. Und, ganz wich-
tig, ein Forum oder Chat, in dem auch über The-
men abseits von Arbeit gesprochen wird. Da sollte
man sich übrigens auch selbst blicken lassen.
ZEIT: Zum Plauschen?
Van Quaquebeke: Ja. In einer normalen Arbeits-
welt haben die Mitarbeiter ihre Freunde und

Hobbys. In der sozialen Isolation ist es auch der
Job der Führungskraft, zuzuhören.
ZEIT: Und wenn man dafür nicht der Typ ist?
Van Quaquebeke: In der Krise kommt man an Kom-
munikation nicht vorbei. Noch viel stärker als off-
line wird die Online-Welt zeigen, welche Chefs das
nicht können. Sie müssen sich zwingen, sich auf
neue Technologien einzulassen und proaktiv zu
kommunizieren, sonst werden sie ihre Leute verlie-
ren, und sie werden ihrer Fürsorgepflicht nicht ge-
recht. Niemand muss zum Ehe berater werden. Aber
jeder kann nachfragen, wie sich die Leute die Zeit
vertreiben.
ZEIT: Wie gibt man Mitarbeitern in diesen Zeiten
trotzdem noch Möglichkeiten, sich zu beweisen?
Van Quaquebeke: Das fällt vielen schwer, aber ist
unglaublich wertvoll. Auch in Krisen müssen
Menschen spüren, dass sie nützlich sind. Es hilft,
häufig Feedback zu geben, vor allem konstruktiv

und positiv. Und: Aufgaben verteilen, bei denen
Fortschritte schnell sichtbar sind.
ZEIT: Aber viele können gerade nicht arbeiten ...
Van Quaquebeke: Denen kann man den Auftrag
geben: »Spinnt mal rum, wie es bei uns nach Coro-
na komplett anders organisiert werden könnte!«
Wenn man das als Führungskraft gut managt, kann
man kreatives Potenzial abschöpfen, das sonst nie
entdeckt worden wäre. Außerdem wären Weiterbil-
dungen eine Möglichkeit, für Mitarbeiter, aber auch
für die Führungskräfte. Nach der Krise können
dann alle mehr als vorher.

Das Gespräch führte Viola Diem

Niels Van Quaquebeke forscht zu
Führungs- und Organisations-
psychologie und berät seit 17 Jahren
Unternehmen auch in Krisen

»Auch Chefs laufen zu Hause die Wände hoch«


Teams ziehen ins Homeoffice, Betriebe stehen still: Wie Führungskräfte auch in der Krise einen guten Job machen,
erklärt der Psychologe und Führungsberater Niels Van Quaquebeke

Die Politik verspricht, in dieser Krise den Betrieben


beizustehen – doch eine Flut von Anfragen droht viele


Helfer zu überfordern VON VIOLA DIEM UND KOLJA RUDZIO


D


as Rettungsprogramm, das
die Bundesregierung gestar-
tet hat, ist gewaltig. Mehr als
eine Billion Euro könnte all
das kosten, was der Bund
jetzt an Hilfen versprochen
hat: Kredite, Soforthilfen
und Kurzarbeitergeld für Unternehmen, die durch
die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Not gera-
ten. Doch kommt das viele Geld tatsächlich recht-
zeitig bei denjenigen an, die es brauchen? »Ent-
scheidend ist, dass wir schnell und unbürokratisch
helfen«, erklärte Bundeswirtschaftsminister Peter
Altmaier vorvorige Woche. Das dürfte in dieser
Krise schwieriger sein als etwa nach der Lehman-
Pleite im Jahr 2008. Damals mussten Banken und
einige Industriebetriebe um ihre Existenz bangen.
Heute hingegen bedroht der Stillstand der Wirt-
schaft auch Millionen kleine und Kleinstbetriebe
nahezu aller Branchen – von der Pizzeria bis zum
Taxiunternehmen. Dieser großen Zahl potenziell
betroffener Firmen zu helfen, könnte viel schwieri-
ger werden als die Rettung einiger Banken. Ge-
spräche mit denjenigen, die jetzt die staatlichen
Hilfen verteilen sollen, zeigen: Die Corona-Krise
ist nicht nur ein Belastungstest für das Gesund-
heitssystem.


Kurzarbeit: Eine halbe Million
Anträge in zwei Wochen
»Ich darf Sie nicht hineinlassen«, sagt Franziska
Lorenz am Telefon. »Seit dem 16. März ist die
Arbeitsagentur in Hamburg für den Besucher-
verkehr geschlossen.« Dazu arbeiten viele von
Franziska Lorenz’ Kollegen von zu Hause aus – in
»Telearbeit«, wie das bei der Bundesagentur für
Arbeit (BA) heißt. Ungewöhnlich ruhig sehe es jetzt
in den meisten Geschäftsstellen aus. Doch der Ein-
druck trügt: Die Arbeitsagenturen erleben einen
nie da gewesenen Ansturm. Anfang vergangener
Woche registrierte die BA über zwei Millionen An-
rufe an einem einzigen Tag. Unter dieser Last brach
das Telefonnetz der Behörde zusammen. Inzwischen
sei es weitgehend stabil, heißt es, zur Entlastung habe
man neue, lokale Telefonnummern freigeschaltet,
unter denen die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen zu
erreichen sein sollen.
Beraterinnen wie Franziska Lorenz. Normaler-
weise berät sie bei der Berufswahl, ist oft in Schu-
len oder auf Berufsmessen unterwegs. Das ruht
jetzt alles. Nur zwei von 28 Kollegen in ihrem Be-
reich beantworten noch Fragen von Schülerinnen
und Schülern, alle anderen helfen, die Flut an An-
fragen zur Kurzarbeit zu bearbeiten. Lorenz berät
Unternehmer, die noch nie mit Kurzarbeitergeld
zu tun hatten. »Das ist eine komplexe Angelegen-
heit«, sagt sie. »Im Handel würde man sagen: Es ist
ein erklärungsbedürftiges Produkt.« Müssen alle
Überstunden abgebaut sein, bevor man Kurzarbeit
anmelden kann? Braucht der Chef die Zustim-
mung der Arbeitnehmer? Hat jeder einen An-
spruch auf Kurzarbeitergeld?
Lorenz erzählt von einem Taxiunternehmer,
dessen Fahrer seit Jahrzehnten für ihn arbeiten. »Die
sind inzwischen im Rentenalter, da musste ich ihm
erklären, dass es für sie kein Kurzarbeitergeld gibt.
Das ist bitter.« Wer nicht in die Arbeitslosenversiche-
rung einzahlt, hat keinen Anspruch auf diese Leis-


Im Dauereinsatz


tung. Welche Regeln genau gelten, können sich
Lorenz und ihre Kollegen über ein hauseigenes
E-Learning-Portal selbst beibringen. »Das hilft sehr«,
sagt sie. Und um das IT-System zu entlasten und im
Homeoffice flexibleres Arbeiten zu ermöglichen,
wurde der offizielle Rahmen für ihre Arbeitszeit auf
den Zeitraum zwischen 6 und 22 Uhr ausgedehnt.
Bisher war um 19.30 Uhr Schluss.
Die durch Corona ausgelöste Wirtschaftskrise
hat gerade erst begonnen, doch innerhalb von
rund zwei Wochen reichten fast eine halbe Million
Firmen einen Antrag auf Kurzarbeit ein. Das sind
etwa zwanzigmal so viele wie auf dem Höhepunkt
der Finanzkrise. Damals, im März 2009, meldeten
»nur« 25.000 Betriebe Kurzarbeit an.
Wie lange es derzeit dauert, bis ein Antrag be-
arbeitet ist, dazu gibt es keine Statistik. Man müsse
schon mal mit 14 Tagen bis zu einer Entscheidung
rechnen, heißt es bei der Hamburger Arbeitsagen-
tur. Aber Franziska Lorenz betont: »Der Anspruch
auf Kurzarbeitergeld gilt rückwirkend, wenn der
Antrag bis zum Monatsende bei uns eintrifft.«

Kredite: Ein Topf ist schon leer
Seit zwei Wochen fährt Kerrin Haase nicht mehr
ins Büro, sondern arbeitet an ihrem großen Ess-
tisch mit Blick auf die Dachterrasse, wo in Hoch-
beeten Kräuter und kleine Buchsbäume und Zy-
pressen wachsen. Das klingt idyllisch, dabei
ist ihr Arbeitsalltag turbulenter als sonst.
Kerrin Haase ist eine von 1000 Firmen-
kundenberaterinnen und -beratern,
die bei der Hamburger Sparkasse
dafür sorgen sollen, dass die
Kredite, die die Bundesre-
gierung den Unterneh-
men versprochen hat,
auch bei den Un-
ternehmen lan-
den. Eine Säule
im von der Politik
aufgesetzten Rettungs-
programm sind die Dar-
lehen der staatlichen KfW
Bankengruppe. Die Anträge
dafür stellen die Unternehmen
bei Banken und Sparkassen.
Normalerweise vergibt Haase etwa
Kredite für Marketingmaßnahmen oder
Baufinanzierungen. Seit knapp zwei Wochen
fragen Haases Kunden aber vor allem nach Un-
terstützung in Corona-Zeiten. 20 bis 30 Telefonate
führe sie am Tag, erzählt sie, doppelt so viele wie
sonst, jedes 15 bis 30 Minuten lang. Manche wol-
len sich erst mal nur informieren, welche Möglich-
keiten es gibt. »Vielen ist die Verunsicherung an-
zumerken«, sagt sie.
Deutschlandweit hat die KfW bis Anfang dieser
Woche knapp 1200 geprüfte Kreditanfragen ver-
meldet, mit einem Volumen von insgesamt über 8,7
Milliarden Euro. Es werden noch viele folgen. Kerrin
Haase sagt, sie habe mit Dutzenden Unternehmen
über einen Kreditbedarf gesprochen. Dass sie bisher
gerade mal vier ausgefüllte und positiv geprüfte An-
träge an die KfW weitergeleitet habe, liege daran, dass
sich die Unternehmen nach der Beratung oft ein paar
Tage Zeit nehmen, um sich auf die Kredithöhe fest-
zulegen und den Antrag gewissenhaft vorzubereiten.

Neben den KfW-Krediten des Bundes gibt es auch
Darlehen einiger Bundesländer. In Berlin war ein
Hilfspaket mit zinslosen Überbrückungskrediten für
kleine und mittlere Unternehmen aber schon nach
einer Woche ausgeschöpft. Der Berliner Senat hatte
zuerst 100 Millionen Euro dafür bereitgestellt, dann
200 Millionen, doch die Summe der angefragten
Kredite bei der Investitionsbank Berlin (IBB) über-
steigt bereits 300 Millionen. Vorerst nimmt die IBB
keine Anträge mehr an.
Bei den Krediten des Bundes soll das nicht pas-
sieren. Die Mittel sind in der Höhe nicht begrenzt.
Kerrin Haase rechnet aber damit, dass die große
Welle an Anträgen erst kommt. »Dann könnte es
noch ein bisschen turbulenter werden.«

Soforthilfen: »Corona sprengt alle
bisherigen Dimensionen«
Auf die Frage, ob er jetzt auch von Zuhause aus ar-
beite, sagt Peter Schmid: »Ich bin täglich zwölf Stun-
den hier am Regierungssitz in Landshut, von zu
Hause aus arbeite ich nur am Wochenende.« Schmid
leitet die Taskforce »Soforthilfe Corona« bei der
Bezirksregierung Niederbayern. In seinem Team sind
knapp 70 Leute – »von denen haben 45 das vergan-
gene Wochenende freiwillig durchgearbeitet«. Bayern
hat, wie andere Bundesländer auch, ein eigenes Pro-
gramm aufgelegt, über das Firmen in dieser Krise
Soforthilfen bekommen können, keine Kredite,
sondern Zuschüsse, die sie nicht zurückzahlen müs-
sen. Bis zu 50.000 Euro erhalten Betriebe mit nicht
mehr als 250 Beschäftigten in Bayern. Verteilt wird
diese Soforthilfe über die Bezirksregierungen, also
etwa über die Taskforce von Peter Schmid. Sein Team
vergibt auch die Zuschüsse, die der Bund über sein
Soforthilfe-Programm zur Verfügung stellt.
»Wir haben schon Erfahrungen mit solchen So-
forthilfen«, sagt Schmid. Beim Hochwasser von 2016
erhielten betroffene Bürger und Firmen in Nieder-
bayern eine ähnliche Unterstützung. »Aber das war
eine örtlich und zeitlich beschränkte Katastrophe«,
sagt der 58-Jährige. »Das Sofortprogramm Corona
sprengt alle bisherigen Dimensionen.« Allein in
Niederbayern lägen schon 23.000 Anträge vor. Täg-
lich kämen etwa 1500 neue dazu. Gut 900 Auszah-
lungen pro Tag schaffe sein Team, mehr sei nicht zu
leisten. Am Dienstag ging eine neue Eingabemaske
für Anträge online, mit ihr, so hofft Schmid, werde
man schneller sein. Wer die Soforthilfe beantragt,
erklärt, dass er durch Corona in wirtschaftliche Not
geraten ist und dass er auf Anfrage dazu Unterlagen
herausgeben wird. Die Anträge werden zunächst vor
allem auf Formfehler geprüft, inhaltliche Angaben
sollen später kontrolliert werden. Bei der Fluthilfe,
sagt Schmid, habe das gut funktioniert.
Bayern ist mit seiner Soforthilfe dem Bund zwei
Wochen voraus. Ein Bundesprogramm für Klein-
unternehmen startete Mitte dieser Woche, Zahlen
zur Nutzung gibt es noch keine. Die Erfahrungen aus
Bayern und anderen Bundesländern mit eigenen
Programmen lassen aber erwarten, dass die Nach-
frage gewaltig sein wird. In Bayern gingen innerhalb
von zwei Wochen 200.000 Anträge ein, in Nord-
rhein-Westfalen innerhalb von 44 Stunden 150.000.
Ob alle diese angeforderten Hilfen so unbüro-
kratisch und schnell diejenigen erreichen, die sie
brauchen? Es wird von Menschen wie Franziska
Lorenz, Kerrin Haase und Peter Schmid abhängen.

Millionen Unterneh-
men gibt es in
Deutschland

3,5


50


Milliarden Euro will die Bundes-
regierung über Zuschüsse an
Kleinunternehmen verteilen

470.000


Anträge auf Kurzarbeit sind im
März bei der Bundesagentur für
Arbeit eingegangen

8,7


Milliarden Euro hat
die KfW notleidenden
Firmen schon als
Kredit bewilligt

ZEIT-Grafik: Sina Giesecke; Foto: KLU (u.)

TITELTHEMA: WIE SCHÜTZEN WIR DIE SCHWACHEN?



  1. APRIL 2020 DIE ZEIT No 15 WIRTSCHAFT 23

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