Süddeutsche Zeitung - 21.03.2020

(C. Jardin) #1

Es ist kein Zufall, dass in der Familie in
diesen Tagen häufig über den Opa gere-
det wird. Er pflegte nicht viel zu spre-
chen, was auch daran lag, dass er schwer
hörte. Jeden Tag um 20 Uhr setzte er sich
den Kopfhörer auf und verfolgte in derTa-
gesschaugebannt die Nachrichten. Ein-
mal nahm er danach den Kopfhörer ab
und sagte: „Die Leute wissen gar nicht,
wie gut es ihnen geht.“ Es ist einer der we-
nigen Sätze, die von ihm in Erinnerung ge-
blieben sind.
Das war in den 1970er-Jahren. Das
Wirtschaftswunder war vorbei, in den
Nachrichten kam auf einmal ein Wort
vor, das man in der Bundesrepublik lan-
ge nicht gehört hatte: Krise. Der Opa
nahm die Ölkrise ernst, er interessierte
sich sehr für Wirtschaft. Aber er wusste
es auch zu relativieren. Im Vergleich zu
dem, was er erlebt hatte, so war sein Satz
wohl zu verstehen, geht es den Leuten
gut, sie wissen es nur nicht.
Opa war im Ersten Weltkrieg noch als
Jugendlicher an die Front gerufen wor-
den. Er nahm am Zweiten Weltkrieg teil,
in dem seine Frau mit vier Kindern von
Schlesien nach Bayern flüchten musste.
Nach Jahren der Kriegsgefangenschaft
fand er zu seiner Familie und baute sich
mit 50 Jahren eine neue Existenz auf. Ge-
boren im Jahr 1899, starb er 1988 nach ei-
nem langen, schweren, erfüllten Leben.
In der Todesanzeige stand unter seinem
Namen: „Elektrikermeister im Ruhe-
stand“ und darunter „Teilnehmer Erster
Weltkrieg 1914 bis 1918, Teilnehmer Zwei-
ter Weltkrieg 1939 bis 1949“. Gesprochen
hat er nicht über seine Erfahrungen, er re-
dete ja nicht viel. Der eine Satz deutet es
nur an: „Die Leute wissen gar nicht, wie
gut es ihnen geht.“
Spätere Krisen hat er nicht mehr er-
lebt: die Klimakrise, die Finanzkrise, die
Eurokrise, die Flüchtlingskrise. Es wäre
interessant zu erfahren, was er sagen wür-
de, wenn er in derTagesschaunoch die
Nachrichten von der Coronakrise verfol-
gen könnte, die jetzt häufig „die größte
Krise der Nachkriegszeit“ genannt wird.
Er hätte sie wohl ernst genommen, so wie
es die Kanzlerin wünscht. Aber irgendet-
was Relativierendes wäre ihm vermut-
lich eingefallen. harald freiberger


von karl-heinz büschemann

D


as kleine Virus hat eine er-
staunliche Größe erreicht. Es
kann Gesellschaften verän-
dern, die Wirtschaft fast stillle-
gen, es kann sogar Konzerne
zähmen. Corona ist zur neuen Weltmacht
geworden. Die Straßen selbst in Millionen-
städten leeren sich, Schulen und Flughä-
fen sind geschlossen, Firmenzentralen ver-
waist, die Börsen im Abwärtstaumel, und
die Aussichten auf baldige Besserung feh-
len. Aber der furchtverbreitende Erreger
hat auch eine segensreiche Seite. Trotz
mancher Hektik von Regierungen spielt
gerade – das gilt auch für Deutschland –
die ruhige Hand von Politikern eine ent-
scheidende Rolle. Sie sorgt dafür, dass ein-
schneidende politische Entscheidungen
von den Menschen akzeptiert werden und
nicht vollautomatisch im Pfeifkonzert der
Wirtschaftslobby untergehen. Das hat Sel-
tenheitswert und ist ermutigend.
Gerade findet ein kollektiver Lernpro-
zess statt, den Politik, Wirtschaft und Bür-
ger im Umgang mit dem unheimlichen Vi-
rus absolvieren. Es ist ein tägliches Dazu-
lernen zu Hause und auf der offenen Büh-
ne der Politik. Man hat den Eindruck, der
römische Philosoph Seneca sei der Regis-
seur dieser erstaunlichen Aufführung. „Ge-
he mit Überlegung an Schwierigkeiten her-
an. Es kann Hartes weich und Enges weit
werden und Schweres, wenn man es rich-
tig trägt, weniger drücken“, hat der politi-
sche Denker vor 2000 Jahren geschrieben.
In Zeiten der Unsicherheit ist das gemein-
schaftliche Herantasten an Lösungen weit
wohltuender als das übliche Hinausposau-
nen formelhafter Belehrungen von politi-
schen Parteien, Lobbygruppen oder Fir-
menchefs, das in normalen Zeiten die Bür-
ger zum Weghören bringt.

Wer bisher der verbreiteten Meinung
war, die großen Konzerne, eben „die Wirt-
schaft“, seien die wahre Macht in der De-
mokratie, muss erkennen, dass diese Vor-
stellung in sich zusammenklappt. Mit er-
staunlicher Devotheit schauen große Un-
ternehmen wie mächtige Verbände zu, wie
die Politik mit ihren Corona-Abwehrmaß-
nahmen die volkswirtschaftliche Aktivität
brutal abwürgt, Gewinnaussichten und Ak-
tienkurse in Abgründe treibt und eine Wel-
le von Pleiten und Arbeitsplatzverlusten
heraufbeschwört. Corona zeigt, dass es ei-
ne Macht geben kann, die größer ist als die
von Kapital und Investmentbanken. Auch
Deutschland lebt unter dem Primat der
Medizin und der Politik. In Europa ma-
chen Politiker wie Angela Merkel oder Itali-
ens Regierungschef Giuseppe Conti bei
den Bürgern Punkte, weil sie unaufgeregt
agieren. Maulhelden wie der amerikani-
sche Präsident Donald Trump machen
sich zum öffentlichen Gespött, Europas Po-
pulisten sind nicht mehr zu hören. Die Ge-
sellschaften rücken in der Mitte zusam-
men.
Es ist erstaunlich, wie derzeit das Ver-
hältnis von Wirtschaft und Politik neu aus-
gelotet wird. Der Mensch geht vor. Das
wurde von den Managern schon immer be-
hauptet, aber diesmal stimmt es. Die Wirt-
schaft ordnet sich unter. Die politische De-
batte in Deutschland wird von Ärzten ange-
führt. Und was tun die Firmenchefs, die so
oft alles besser wissen? Sie schicken ihre
Mitarbeiter ins Home-Office, bauen an
Krisenplänen und schauen fassungslos
auf die in den Keller rauschenden Börsen-
werte ihrer Konzerne. Der übliche Streit
zwischen Politik und Wirtschaft um den
richtigen Weg für den Industriestandort
Deutschland ist verstummt. Er hat aufge-
hört, weil er lächerlich wäre. Die Corona-
Krise zeigt, dass der gefährdete Industrie-
standort die ganze Welt ist, nicht das winzi-
ge Deutschland.
Der übliche Streit darüber, ob die Politi-
ker mit angeblich falscher Steuerpolitik
größere Fehler machen als die vermeint-
lich ignoranten Industriemanager, die mal
wieder wichtige Zukunftstrends verschla-
fen, ist stillgelegt. Wer aber lehrt die Deut-
schen, dass es Wichtigeres geben kann als
ein Interessengezänk, in dem beide Seiten
stets behaupten, im besten Interesse aller
zu handeln? Ein Virologe! „Dieses ist nicht

die Zeit für Vorwürfe, Schuldzuweisungen
oder Rechthaberei“, sagt der zum deut-
schen Popstar der Corona-Zeiten aufge-
stiegene Charité-Mediziner Christian
Drosten. Der war gefragt worden, warum
er seine Meinung über eine Virus-Frage
über Nacht geändert habe. Er habe am Tag
zuvor etwas dazugelernt, war die Begrün-
dung des Wissenschaftlers für seinen Sin-
neswandel. In der politischen Diskussion
und unter Managern gilt ein Wechsel der
Meinung gemeinhin als Todsünde, min-
destens als Charakterschwäche.
Zu den Nebenwirkungen der laufenden
Krisendiskussion gehört die Behauptung,
die Corona-Pandemie sei eine Folge der ra-
senden Globalisierung und des fortschrei-
tenden internationalen Handels. Dass die-
ses Argument blanker Unfug ist, zeigt

schon ein Blick in die Geschichtsbücher, in
denen schon von Pestepidemien im


  1. Jahrhundert die Rede war. Pocken, Ma-
    laria, Spanische Grippe und andere Plagen
    töteten weltweit Millionen Menschen, be-
    vor die heutige Globalisierung auch nur
    denkbar war.


Aber Corona ist für nationalistische
Träumer ein wichtiges Argument gegen
den Wegfall von Grenzen und den interna-
tionalen Warenverkehr. Die erschrecken-
den Attacken auf andere Länder aus dem
Mund von Donald Trump, der den neuen

Erreger zuerst ignorierte, ihn später zu-
nächst einen „europäischen“, dann einen
„chinesischen“ Virus nannte, legt dieses
Weltbild offen. Wie dumm diese Sicht ist,
zeigt das Gedankenspiel, die Amerikaner
könnten mal eben eine kleine deutsche
Pharmafirma, die an einem Corona-Impf-
stoff arbeitet, für viele Milliarden Dollar
kaufen, um allein der amerikanischen Be-
völkerung zu helfen. Wer das propagiert
hat, hat nicht verstanden, wie internationa-
le Handelsbeziehungen funktionieren.
Was macht dieser Präsident, wenn andere
Biotech-Unternehmen auf der Welt schnel-
ler bereit sind für einen Impfstoff und
dem tumben Nationalisten in Washington
ihrerseits ihre Produkte verweigern?
Wer angesichts einer Pandemie mit Ab-
schottung reagiert, gefährdet den

doppelten Kampf gegen die Krankheit
und gegen die Folgen des weltweiten öko-
nomischen Absturzes. Dieser Kampf muss
aber schnell und entschlossen geführt wer-
den und kann nur in internationaler Zu-
sammenarbeit gelingen. Das Heil im natio-
nalistischen Gegeneinander zu suchen, ist
sinnlos, wenn der Gegner ein Virus ist, das
vor Grenzen nicht haltmacht.
Leider sind Wunschvorstellungen vom
beschaulichen nationalen Schrebergarten
sehr verführerisch. Nicht nur bei Politi-
kern. So lässt der rapide Absturz der Welt-
wirtschaft durch den Corona-Zwangs-
stopp bei Klimaaktivisten und Kapitalis-
musgegnern die Hoffnung wachsen, diese
Krise könnte eine Chance zur Verlangsa-
mung des weltwirtschaftlichen Gesche-
hens sein. Dieser Gedanke mag sympa-
thisch sein, aber er ist zugleich mindes-
tens so falsch. Es sei doch „aus ökologi-
scher Perspektive wunderbar, dass die
Leute nicht fliegen, dass wir gerade unser
Verhalten so radikal ändern und nicht un-
unterbrochen konsumieren und nicht so
mobil sind, wie wir es normalerweise
sind“, sagte kürzlich die Teilnehmerin ei-
ner deutschen TV-Talkshow, die seltsa-
merweise als „Philosophin“ vorgestellt
wurde. Wenn sie nur geschwiegen hätte.
Der mit dem ökonomischen Absturz ver-
bundene Rückgang des Kohlendioxidaus-
stoßes mag dem Weltklima helfen. Aber
diese eigentlich sinnvolle Wohltat geht ein-
her mit dem Verlust von Millionen Arbeits-
plätzen und Existenzen auf der ganzen
Welt. Die ökonomische Vollbremsung
wird zur Katastrophe, das sollte man nicht
wirklich wollen.

In den Zeiten des Corona-Virus sind ein-
fache Wahrheiten und Patentrezepte noch
weniger hilfreich, als sie es schon in norma-
len Perioden sind. Das gilt besonders für
die richtigen Rezepte in der Wirtschaft, für
die notleidenden Unternehmen, für die zu-
sammenkrachenden Finanzmärkte, an
die sich die Entscheider in Wirtschaft und
Politik aus Mangel an Erfahrung mühsam
herantasten müssen. Aber jetzt zeigt sich,
dass einige vermeintlich sinnvolle politi-
sche Rezepte der Vergangenheit gewaltige
Mängel haben. Zum Beispiel in der Ge-
sundheitspolitik.
Corona legt offen, dass die Leistungen
des freien Marktes nicht überall die ge-
wünschten Lösungen bieten. Krankenhäu-
ser und Kliniken sind in der Vergangen-
heit zu stark den Forderungen nach Kos-
tensenkung und Privatisierung ausge-
setzt worden. Doch heute zeigt sich, dass
das Gesundheitswesen für einen Krisen-
fall wie diesen zu schlecht finanziert ist.
Es ist kaum zu ertragen, dass es in einer
wohlhabenden Industrienation wie
Deutschland jetzt Klagen von Ärzten über
den Mangel an simplen Dingen wie Schutz-
kleidung oder Gesichtsmasken gibt, von
Kapazitäten der Intensivmedizin zu
schweigen. Das Gesundheitssystem funk-
tioniert nur zum Teil nach den Gesetzen
von Angebot und Nachfrage. Diese Nach-
teile zeigen sich noch stärker in Italien, in
den USA oder Großbritannien.
Der deutsche Staat hat sich in der Ver-
gangenheit zu stark aus der Für- und Vor-
sorge für die Bürger verabschiedet, er hat
allen Grund, sich aus seiner bequemen
Ecke wieder herauszubegeben. Das geht
bis zur Altersversorgung der Menschen.
Noch vor wenigen Wochen war die Sache
selbst unter nicht konservativen Politi-
kern völlig klar: Wo die staatliche Rente
nicht reiche, müssten die Bürger eben
selbst für ihre Zukunft sorgen. Der einzig
sinnvolle Weg dorthin sei die Anlage in Ak-
tien. Aber gilt dieses Rezept auch ange-
sichts der ins Bodenlose abstürzenden Bör-
sen noch? Im Rückblick stimmt diese Be-
hauptung. Es ist aber fraglich, ob die Bür-
ger in Aktien eine akzeptable Absicherung
ihrer Zukunft sehen. Da müssen neue Mo-
delle erdacht werden.
Es gibt Anzeichen dafür, dass die Coro-
na-Krise erst anfängt, sich lange hinzie-
hen wird und dass viele Folgeprobleme
auftauchen werden, die noch gar nicht ab-
sehbar sind. Schon jetzt aber zeigt sich,
dass es für Politiker sinnvoll sein kann,
auch mal die Meinung zu wechseln. Den
Bürgern würde es helfen.

Im Ernst


Eine Erinnerung an Opa,
der die gegenwärtige Krise zu
relativieren gewusst hätte

Martina Merz, 57, Krisenmanagerin,
bleibt Thyssenkrupp nun doch als Chefin
erhalten. Der Aufsichtsrat des kriselnden
Industriekonzerns hatte die Ingenieurin
im vorigen Oktober an die Vorstandsspit-
ze entsandt, zunächst nur für ein Jahr als
Nachfolgerin des glücklosen Guido Kerk-
hoff. Nun soll Merz(FOTO: DPA)einen ordent-
lichen Dreijahresvertrag erhalten. Das hat
der Personalausschuss des Aufsichtsrats
vorgeschlagen – und damit die erneute
Suche nach einem Chef für Deutschlands
größten Stahlhersteller beendet. Auf Thys-
senkrupp lasten hohe Schulden, zudem
leiden die Geschäfte unter der schwäche-
ren Konjunktur und mehreren Strategie-
wechseln. Der Ruhrkonzern hatte kürzlich
den Verkauf seiner Aufzugssparte besie-
gelt. Ende März wird nun Finanzchef
Johannes Dietsch den Vorstand nach nur
gut einem Jahr verlas-
sen – auf eigenen
Wunsch, wie Thyssen-
krupp betont. Seine
Aufgaben soll Klaus
Keysberg überneh-
men, der im Herbst
gemeinsam mit Merz
in den Vorstand ge-
rückt war. ikt

Die Vögel singen, die
Blätter sprießen. Das
Büro an der frischen
Luft bewahrt Heimar-
beitenden in dieser
Zeit ein wenig früh-
lingshafte Norma-
lität. Den Menschen
ohne Balkon bleibt
derweil nur der
neidische Blick zu
den Nachbarn.
FOTO: UNSPLASH




Knut Giesler, 55, undArndt G. Kirch-
hoff,65, haben vier Millionen Menschen
womöglich ihren Job und 80 Prozent ihres
Gehalts gerettet. Giesler ist Bezirksleiter
der IG Metall in Nordrhein-Westfalen,
Kirchhoff der Präsident der Metall-Arbeit-
geber dort. Die beiden präsentierten am
Freitagmittag in einer Telefonkonferenz,
worauf sie sich am späten Donnerstag-
abend in Düsseldorf geeinigt haben: einen
Tarifabschluss für die Metall- und Elektro-
industrie. Formell gilt er nur für NRW,
faktisch handelt es sich um einen soge-
nannten Pilotabschluss, der nun wohl
bundesweit übernommen wird.
Die Tarifeinkommen werden in diesem
Jahr nicht erhöht; stattdessen einigten
sich Giesler und Kirchhoff darauf, wie sie
die Existenzängste vieler Mitarbeiter und
vieler Betriebe mildern können. Deshalb
werden sie Urlaubs- und Weihnachtsgeld
diesmal nicht gesondert auszahlen, son-
dern in jedem Monat jeweils zu einem
Zwölftel. Das hat zwei Vorteile: Wird je-
mand in Kurzarbeit geschickt, bekommt
er von der Bundesagentur für Arbeit je-
weils 60 Prozent seines Netto-Monats-
lohns als Kurzarbeitergeld, wer Kinder
hat, kriegt 67 Prozent. Indem nun das
Monatseinkommen durch die aufgeteilte

Zahlung steigt, erhöht sich folglich auch
das Kurzarbeitergeld. Nun dürften 80 Pro-
zent des bisherigen Nettolohns als Kurzar-
beitergeld fließen. Für die Betriebe be-
steht der Vorteil darin, dass sie sich die
Sozialversicherungsbeiträge sparen – die
sonst immer dann fällig werden, wenn
eine Zahlung als Urlaubs- oder Weih-
nachtsgeld ausgewiesen ist.
Der Abschluss, den Giesler und Kirch-
hoff erzielt haben, enthält noch zwei weite-
re Komponenten: Jeder Betrieb legt einen
Härtefonds auf – mit einem Betrag, der

sich aus der Zahl seiner Beschäftigten
multipliziert mit 350 Euro errechnet.
Geschäftsführung und Betriebsrat ent-
scheiden gemeinsam, wer das Geld be-
kommt: Mitarbeiter, die nicht in Kurzar-
beit müssen, bekommen wahrscheinlich
nichts, die anderen umso mehr. Je nach-
dem, wie es ihrem Betrieb zum Jahresen-
de geht, darf das Geld auch in der Firmen-
kasse verbleiben. Und wer Kinder bis zum
Alter von zwölf Jahren hat, die nun da-
heim sind, bekommt fünf zusätzliche,
bezahlte Tage frei – sofern aller Restur-
laub bereits genommen ist und man auch
bereit ist, beim eigenen Arbeitszeitkonto
21 Stunden ins Minus zu gehen.
Eigentlich hätte die Tarifrunde noch
mindestens bis April dauern sollen. Doch
angesichts der Corona-Dramatik nutzten
Giesler und Kirchhoff ihren kurzen Draht
zueinander, um innerhalb von drei Tagen
eine Lösung zu finden – unbegleitet von
jeder Öffentlichkeit. „Wir wollten Verant-
wortung übernehmen und Sicherheit
schaffen“, sagte Giesler am Freitag, nach-
dem es geschafft war, und sein Verhand-
lungspartner Kirchhoff fügte an: „Wir
wollen die Belegschaften komplett hal-
ten“, schon wegen des Fachkräfteman-
gels, der sich ja wegen Corona nicht erle-
digt habe. Ihr Tarifvertrag gilt bis Jahres-
ende. de  Seite 4

Theodor Weimer, 60, hat seinen Vertrag
als Chef der Deutschen Börse gerade um
vier Jahre verlängert. Wenn nichts dazwi-
schenkommt, bleibt der frühere Chef der
Hypo-Vereinsbank noch bis Ende 2024
Konzernchef des größten Börsenbetrei-
bers auf dem europäischen Festland.
Kann er zugleich auch in den Aufsichtsrat
der Deutschen Bank einziehen? Womög-
lich sogar an die Spitze des Kontrollgremi-
ums aufrücken, wenn der Vertrag von


Amtsinhaber Paul Achleitner 2022 aus-
läuft? Auf der Hauptversammlung der
Bank am 20. Mai will er sich jedenfalls zur
Wahl stellen – zusammen mit dem frühe-
ren SPD-Chef Sigmar Gabriel und der
Rechtsanwältin Dagmar Valcárcel. „Wir
gewinnen einen Kenner der deutschen
und europäischen Finanzindustrie und
herausragenden Banker“, ließ sich Auf-
sichtsratschef Paul Achleitner zitieren.
Fachlich dürfte Weimer die Anforderun-
gen erfüllen. Indes rät der Kodex für gute
Unternehmensführung davon ab, dass
der Chef eines börsennotierten Konzerns
gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender
eines anderen an der Börse gelisteten
Unternehmens werden sollte. Und selbst
als einfaches Mitglied könnte Weimer als
Börsenchef in Interessenkonflikte gera-
ten, etwa wenn es um den Derivatehandel
geht. Weimer soll der Bankerin Katherine
Garrett-Cox nachfolgen, die das Gremium
nach neun Jahren zur Hauptversamm-
lung im Mai verlassen will. Das Institut
war erst jüngst damit gescheitert, den
Banker Jürg Zeltner in den Aufsichtsrat zu
entsenden. Auch dabei ging es um Interes-
senkonflikte. Ohnehin ist nun offen, ob
die Hauptversammlung im Mai über-
haupt wie geplant stattfinden kann, oder
ob sie wegen der Corona-Krise auf Herbst
verschoben werden muss. mesc

PERSONALIEN


Nicht jeder Arbeitnehmer hat das Privileg, in
der aktuellen Lage von zu Hause aus arbei-
ten zu können. Wer jedoch im Home Office
bleibt, steht mitunter vor der Qual der Wahl,
von welchem Ort aus Excel-Tabellen ausge-
füllt und „Telkos“ geführt werden sollen.

Nirgends herrscht
eine so kuschelige
Arbeitsatmosphäre
wie in den Federn.
Doch beim „Video-
Call“ sollten einen
die Kollegen besser
nicht im 1,60x2,00
Meter großen Büro
erwischen. Es sei
denn, alle behalten
den Pyjama an und
machen mit.FOTO: OH

Luft schnappen

Ein nationalistisches
Gegeneinander ist sinnlos, wenn
das Virus keine Grenzen kennt

22 WIRTSCHAFT Samstag/Sonntag, 21./22. März 2020, Nr. 68 DEFGH


So nah standen sie diesmal nicht
beieinander: Knut Giesler (links)
und Arndt G. Kirchhoff bei
einem früheren Treffen.FOTO: DPA

Alte Bekannte


Vom Vorzug


der Unsicherheit


Eben noch gefielen sich


viele Manager darin, die Politik


in die Schranken zu weisen.


Jetzt sind die Unternehmen froh,


wenn der Staat hilft. Die Corona-Krise


ermöglicht ein neues Verhältnis


von Staat und Wirtschaft


ZWISCHEN DEN ZAHLEN


SAMSTAGSESSAY


Theodor Weimer wurde immer
wieder als möglicher Nachfolger an
der Spitze des Deutsche-Bank-
Aufsichtsrats gehandelt.FOTO: DPA

Neue Aufgabe


Alte und neue Chefin


Bett vs. Balkon


Liegen bleiben

Im Gesundheitssektor
funktionieren Angebot und
Nachfrage nur ungenügend

Der Mensch geht vor.
Sagen Manager immer,
jetzt aber stimmt es wirklich
Free download pdf