Süddeutsche Zeitung - 21.03.2020

(C. Jardin) #1
Werder Bremen ist von der Epidemie
hart getroffen, aber zuversichtlich, die
Krise zu überstehen  Seite 37

von philipp schneider

D


ie Nachricht ging ein wenig unter
in der Flut der Meldungen, für die
das Coronavirus auf der Neben-
bühne des Weltenlaufs, dem internatio-
nalen Sportgeschehen, tagtäglich sorgt:
Einige Formel-1-Teams haben sich bereit
erklärt, mit ihrer Expertise die Folgen der
Pandemie abzuschwächen. Die Spezialis-
ten in den britischen Fabriken in Bra-
ckley, Woking und Grove planen, Geräte
weiterzuentwickeln und in geringem Um-
fang zu produzieren, die in der Corona-
Krise dringend benötigt werden. Moto-
ren zu Beatmungsgeräten! Das klingt
nach einer begrüßenswerten Idee.
Zumal die Formel 1 garantiert nichts
Sinnvolleres zu tun hat, nachdem sie nun
endlich eine der globalen Krise angemes-
sene Konsequenz zeigt und entschieden
hat, dass die ersten sieben Rennen der Sai-
son entweder ausfallen oder zu einem
späteren Zeitpunkt nachgeholt werden
müssen. Die Initiative mit den Beat-
mungsgeräten ist verabredet worden
zwischen den Teams und den Marketing-
Verantwortlichen der Formel 1.


Marketing. Irgendwie im Gespräch
bleiben. Auch darum geht es in diesen Zei-
ten, in denen der Sport unfreiwillig von
der Bühne verschwindet und niemand sa-
gen kann, wann und in welcher Form er
zurückkehren wird. Diese Sorge gilt auch
der Formel 1. Sie hat nach anfänglichem
Rollenlassen eine Vollbremsung vollzo-
gen, die Spuren auf dem Asphalt hinter-
lassen wird. Während in anderen Sportar-
ten der Kalender geschüttelt und Turnie-
re verschoben werden, während sich die
ersten Verteilungskämpfe abzeichnen,
hat die Formel 1 eine Reform um ein Jahr
vertagt, die ihren Fortbestand garantie-
ren sollte. Ob sie das übersteht?
Die für 2021 geplante Regelnovelle
war das Ergebnis einer intensiven Zusam-
menarbeit zwischen Autoverband Fia
und der Formel-1-Führung. Sie sah neue
Autos vor, die technisch simpler sein wür-
den. Und die sich vor allem dank verän-
derter Luftströme einfacher gegenseitig
überholen lassen würden. Die Formel 1,
das war die Grundidee, sollte ab 2021
mehr Chancengleichheit ermöglichen
und vor allem mehr Spektakel bieten.
Daraus wird nun frühestens 2022 etwas.
Die Technik von 2020, die es wegen der
Pandemie bislang nur zu den Testfahrten
in Barcelona geschafft hat, wird zu gro-
ßen Teilen auch 2021 noch zu sehen sein.
Dass die Verschiebung einstimmig be-
schlossen wurde von Teamchefs, Formel
1 und der Fia, zeigt, wie stark Verzweif-
lung und finanzielle Not in der Formel 1
längst grassieren. Diesen Eindruck hin-
terlässt auch jene merkwürdige Ankündi-
gung vom Freitag, es würden, beginnend
mit dem Großen Preis von Bahrain am
Sonntag, die verlegten Rennen an der
Konsole gefahren. Namentlich nicht ge-
nannte „aktuelle Formel-1-Fahrer“ sol-
len sich mit offenbar illustren Daddel-
königen in Rennsimulationen messen.
Im Gespräch bleiben wird nicht rei-
chen. Weil etliche Rennen wegfallen in
dieser Saison, leiden vor allem die kleine-
ren Teams unter drastischen Einnahmen-
reduzierungen. Ihnen fehlt das nach ei-
nem Schlüssel auf die Teams verteilte An-
trittsgeld, das die Veranstalter der ersten
sieben Rennen des Jahres an die Formel 1
gezahlt hätten. Und sie müssen auch in
der Coronapause ihre laufende Kosten de-
cken und Personal bezahlen. Parallel da-
zu schon die 2021er-Boliden zu entwi-
ckeln, daran war in vielen Teams nicht
mehr zu denken. Sie müssen sich jetzt ir-
gendwie ins nächste Jahr retten, wenn zu-
mindest ein Teil der angedachten Reform
greift: ein Kostendeckel, der die Ausga-
ben der Teams auf 175 Millionen US-Dol-
lar begrenzt – ausgenommen davon sind
Gehälter der Spitzenverdiener.
Nach der Finanzkrise 2008 zogen sich
Honda, Toyota und BMW aus der For-
mel1 zurück. Diesmal könnten die Folgen
noch gravierender ausfallen.


FOTO: NORDPHOTO / IMAGO

Philipp Schneider glaubt
nicht, dass sich die Formel 1
auf der Konsole retten lässt.

Grüne Hoffnung


Auch der Arzt und Ausdauerläufer
Arne Gabius fordert eine Verschiebung
der Sommerspiele in Tokio  Seite 36 Beim Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen
muss die Geschäftsführerin für ein komplettes Team
in Quarantäne planen  Seite 36

von philipp selldorf

Frankfurt– Menschen, die Christian Sei-
fert schon etwas länger kennen, hatten An-
lass zu staunen, als der Geschäftsführer
der Deutschen Fußball Liga seinen ge-
wohnt präzisen Ausführungen eine unge-
wohnt emotionale Botschaft anfügte.
„Und an das Land“, sagte er, als ob ihm tat-
sächlich das Land zuhören würde: „Lasst
uns da durchkommen.“
Seiferts Genesungswunsch an die Nati-
on auf der Pressekonferenz nach dem Gip-
feltreffen des Profifußballs weckte Erinne-
rungen an die Worte von Innenminister
Thomas de Maiziere im Herbst 2015 nach
einem wegen Terrorismusgefahr abgesag-
ten Länderspiel. Welche Hinweise der Poli-
zei vorgelegen hätten, wurde der Politiker
gefragt, und de Maiziere sagte in seiner ak-
kuraten Art, das werde er nicht verraten,
weil „Teile dieser Antwort die Bevölkerung
verunsichern würden“. Klar, dass viele Leu-
te nun erst recht beunruhigt waren.
Seifert, 50, hat am Montag in Frankfurt
gewiss nicht gemeint, er hielte als Spitzen-
vertreter des systemrelevanten Fußballs
eine Ansprache ans ganze Volk, wie es die
Bundeskanzlerin am Mittwoch getan hat.
So eine Anmaßung braucht ihm niemand
zu unterstellen, das wäre eine unverdiente
Beleidigung. Aber eben deshalb war der
ausnahmsweise missionarisch gefärbte
Appell geeignet, das Fußball-Land zu ver-
unsichern. Lasst uns da durchkommen –
das war wortwörtlich ernst gemeint.
Christian Seifert ist jetzt, keine Übertrei-
bung, der Mann, der den deutschen Fuß-
ball retten muss. Nie war er als Regierungs-
chef so gefragt wie heute, zumal da er seit
dem Abtreten von Reinhard Rauball im Au-
gust keinen Bundespräsidenten mehr an
der Seite hat. Seit 2005 steht Seifert dem Li-
gaverein vor, es ist ihm in all den Jahren
nicht langweilig geworden, aber die wie-
derkehrenden Aufregungen um egozentri-
sche und widerspenstige Vereinsvertreter
oder zündelnde und zornige Kurvenfans,
die ihm das Leben schwermachten, er-
scheinen doch vergleichsweise banal im
Vergleich zur Herausforderung der schlag-
artig alles beherrschenden Corona-Krise.
Bisher, spottet ein Liga-Angehöriger, sei
der DFL-Chef „ein Schönwetter-Kapitän“

gewesen, der alle paar Jahre nach dem Ab-
schluss neuer TV-Verträge verkünden
durfte, dass es mehr Geld für alle gebe,
nun sei er zum ersten Mal als Krisendok-
tor in einer veritablen Notlage gefragt. Zur-
zeit fühlen sich die Betroffenen gut be-
treut. Auf der Vollversammlung der Bun-
desligen am Montag sorgte Seifert als Vor-
tragender erstens für Einheit in der zuvor
konträr durcheinanderredenden Gruppe
und zweitens für die nötige Überzeugung,
dass Geschmacksfragen in der akuten Mi-
sere nicht mehr das Thema sein dürfen.
Vorbehalte gegen Spiele ohne Zuschauer
kann sich der Profifußball schlicht nicht
mehr leisten, das haben jetzt alle begrif-
fen. Es geht um die Existenzsicherung.
Im Büro ist Seifert dieser Tage lediglich
sporadisch anzutreffen, die Belegschaft be-
findet sich ohnehin im Heimdienst, doch
der Stillstand des Spielbetriebs gibt keine
Gelegenheit zum Abbau von Überstunden.
Von früh bis spät redet Seifert mit der Poli-
tik, mit den Vereinen und mit den Spitzen
jener Medien, die den Profifußball zu ei-
nem wesentlichen Teil finanzieren. Seifert
kämpft darum, dass es sobald wie irgend
möglich wieder losgehen kann. Das gegen-
wärtige Ideal-Szenario beschwört die Hoff-

nung, dass Ende April, Anfang Mai der Ball
wieder rollen könnte. Vielleicht auch mit
dem Argument, dass Fußball als Volkszer-
streuung eben doch eine staatstragende
Bedeutung haben könnte. Mancher Exper-
te aus der Medizin hält das für illusorisch,
aber die Frage ist, welche Experten in ei-
nem Monat das Sagen haben werden. „Ak-
tuell hat die Wissenschaft das Primat und
nicht die Politik, aber das wird auch wie-
der anders werden“, meint ein Bundesliga-
Manager. Für diesen Tag X versucht man
sich nun vorzubereiten, und es ist klar,
dass dabei zunächst diejenigen den Ton an-
geben, die um das finanzielle Überleben
der Klubs und der Fußballindustrie kämp-
fen. Der von Seifert angeführte hehre Be-
griff der „sportlichen Integrität“ steht
aber spätestens dann auf dem Prüfstand,
wenn die Trainer und die Fußballer wieder
in Aktion treten sollen. Was für ein Fußball
wird das sein, der dann in leeren Stadien
aufgeführt wird? Wie wird es um die sport-
liche Chancengleichheit bestellt sein? Wie
steht es um die Leistungsfähigkeit der
Spieler, um ihre Moral?
Darum kann sich Seifert aber nicht
auch noch kümmern. Zwar hat am Montag
sicher nicht die ganze Nation zugeguckt,

aber es saßen doch ziemlich viele vor dem
Bildschirm, die sich für Fußball interessie-
ren. Sie erlebten Seifert angespannt, aber
konzentriert und entschlossen und zudem
ungewöhnlich konziliant. Ja, sagte er, er
habe volles Verständnis, dass viele Leute
den Bundesliga-Betrieb auf die Millionäre
und Spielergehälter reduzierten und des-
halb vielleicht kein Ohr für die Klagen des
verwöhnten Profisports hätten. „Und ja“,
setzte er fort, als gelte es, ein Geständnis
abzulegen, „wir müssen jetzt zugeben: Wir
stellen ein Produkt her“. Aber dieses Pro-
dukt, das eine Handvoll junger Fußball-
spieler reich mache, garantiere auch Ar-
beit und Auskommen für mindestens
56000 weitere Menschen. In den Klubs
war der Anklang groß. Der eine Vereinsver-
treter hebt hervor, Seifert trete „führend
und verantwortungsvoll“ auf, der andere
lobt „Besonnenheit, Klarheit und strategi-
sche Weitsicht“. Kritiker sind zu Followern
geworden, intern und extern.
Es gibt daher hier und da auch die
Furcht, dass der deutsche Fußball womög-
lich nicht mehr handlungsfähig wäre, falls
Seifert plötzlich mal ausfallen sollte. Die-
ser Besorgnis treten Beteiligte jedoch eben-
so entgegen wie der Kritik, der dominante
Herr Seifert habe im DFL-Apparat ein Sys-
tem der Alleinherrschaft und somit Unent-
behrlichkeit installiert. Just das im August
gewählte Präsidium mit den Neulingen
Oke Göttlich (FC St. Pauli), Alexander
Wehrle (1. FC Köln) und Oliver Leki (SC Frei-
burg) sei ausgesprochen konstruktiv,
heißt es. Seifert beziehe seine Kraft auch
aus dem Umstand, dass die Reihen im Fuß-
ball weitgehend geschlossen seien.
Nicht nur in Fan-Kreisen wurde schon
öfter in Frage gestellt, ob sich Seifert über-
haupt für Fußball interessiere, das sagt ei-
niges über die Distanz, die er in den 15 Jah-
ren zwischen der beruflichen und der pri-
vaten Existenz gewahrt hat. Privat ist der
im südbadischen Rastatt geborene Seifert
seit Kindertagen ein Freund von Borussia
Mönchengladbach, es wird erzählt, dass er
sich gelegentlich bei Punktspielen diskret
in den Borussia-Park einschmuggelt, qua-
si inkognito. Andere erzählen, das sei nur
ein Gerücht. Glaubhafte Zeugen versi-
chern jedoch, dass er auch 50-jährig im-
mer noch ein guter Kicker ist, was er gele-

gentlich im Betriebssport unter Beweis
stellt. Die vier Treffer auf der Sportstudio-
Torwand seien kein Zufall gewesen. In den
Juniorenteams des FV Ottersdorf und des
FC Rastatt 04 war er zunächst Mittelstür-
mer und dann Libero. „Als Mittelstürmer
fand ich mich gar nicht so schlecht“, hat er
neulich im Radio (SWR) erzählt, aber er ha-
be immer schon dort gespielt, wo ihn der
Trainer hingestellt habe. Statt als Fußbal-
ler hat er Karriere im Fußballgeschäft ge-
macht, aber dass es da einen Unterschied

gibt, darauf legt er Wert, da er nun mit Fuß-
ball-Idolen zu tun hat: Mit Franz Becken-
bauer oder Günter Netzer unterhalte er
sich ungern über Fußball – „das ist so, als
würde ich Steven Spielberg sagen, ich hät-
te eine Videokamera zuhause“.
Auch nach 15 Jahren im Fußball-Dienst
kennt ihn das Publikum nicht so richtig.
Man weiß immerhin, was er an seinem Be-
ruf nicht mag: Das Oberflächliche und den
Populismus, die Doppelmoral im Ge-
schäft, das verlogene Reden von der Fuß-
ball-Familie. Christian Seifert steht in sei-
ner ungekünstelten Coolness auch nicht
im Verdacht, ein Romantiker zu sein, aber
das ist jetzt vielleicht eine nützliche Eigen-
schaft, wenn es für das Land und den Fuß-
ball heißt: Lasst uns da durchkommen.

DEFGH Nr. 68, Samstag/Sonntag, 21./22. März 2020 HF2 35


SPORT


Die Formel 1 vertagt die Reform,


die ihren Fortbestand


garantieren soll. Und nun?


FORMEL 1

Vollbremsung


zur Unzeit


Der Mann, der den Fußball retten muss


In seiner ungekünstelten Coolness steht Christian Seifert nicht im Verdacht, ein Romantiker zu sein. Aber das ist jetzt vermutlich eine nützliche
Eigenschaft, denn der DFL-Chef ist der oberste Krisendoktor der Bundesliga. Sein neuer Leitsatz: „Lasst uns da durckommen!“

So war’s im Mai 2019: DFL-Chef Christian Seifert überreicht die Meisterschale an den FC Bayern – und verabschiedet Franck Ribéry aus der Bundesliga. FOTO: PETER FASTL / DEFODI / IMAGO

Statt als Fußballer hat er Karriere im Fußball-Geschäft gemacht: Christian Sei-
fert, 50, einst Stürmer des FV Ottersdorf und von Rastatt 04. FOTO: ARNE DEDERT / DPA

Am Samstag um 22 Uhr erscheint
weiterhin die digitale Ausgabe
Sport am Wochenende sz.de/sport-we

Sport digital


Bundesliga


Die Tabelle nach dem 25. Spieltag


  1. (1) FC Bayern München 25 17 4 4 73:26 55

  2. (2) Borussia Dortmund 25 15 6 4 68:33 51

  3. (3) RB Leipzig 25 14 8 3 62:26 50

  4. (4) Mönchengladbach 25 15 4 6 49:30 49

  5. (5) Bayer Leverkusen 25 14 5 6 45:30 47

  6. (6) FC Schalke 04 25 9 10 6 33:36 37

  7. (7) VfL Wolfsburg 25 9 9 7 34:30 36

  8. (8) SC Freiburg 25 10 6 9 34:35 36

  9. (9) TSG Hoffenheim 25 10 5 10 35:43 35

  10. (10) 1. FC Köln 25 10 2 13 39:45 32

  11. (11) Union Berlin 25 9 3 13 32:41 30

  12. (12) Eintracht Frankfurt 24 8 4 12 38:41 28

  13. (13) Hertha BSC 25 7 7 11 32:48 28

  14. (14) FC Augsburg 25 7 6 12 36:52 27

  15. (15) FSV Mainz 05 25 8 2 15 34:53 26

  16. (16) Fortuna Düsseldorf 25 5 7 13 27:50 22

  17. (17) Werder Bremen 24 4 6 14 27:55 18

  18. (18) SC Paderborn 25 4 4 17 30:54 16


Langer Atem
FOTO: NORBERT WILHELMI / IMAGO

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