Süddeutsche Zeitung - 21.03.2020

(C. Jardin) #1
München– Den ersten Beweis, dass er
mit gutem Beispiel vorangeht, trägt Leon
Goretzka im Gesicht. Am Freitagvormit-
tag veröffentlicht er auf Instagram ein
kurzes Video, nur er selbst ist zu sehen,
weißes T-Shirt, Kette um den Hals, und
sein Gesicht hat diese leichte Rötung, wie
sie womöglich zurzeit viele Münchner ha-
ben, die in den vergangenen Tagen zu
Hause geblieben sind und zugleich über
das Glück einer Dachterrasse verfügen.
(Goretzka selbst hat so einen Sonnen-
platz, auch das hatte er Anfang der Wo-
che auf Instagram nachgewiesen.) Den
zweiten Beweis, dass er mit gutem Bei-
spiel vorangeht, reicht Goretzka mit sei-
nen Worten nach, die er in seine Handyka-
mera spricht.
Goretzka verkündet, dass er gemein-
sam mit Joshua Kimmich, seinem Mit-
spieler beim FC Bayern München und in
der deutschen Nationalmannschaft, eine
Spendenaktion gegründet habe, um wäh-
rend der Corona-Krise soziale und karita-
tive Einrichtungen zu unterstützen. (Kim-
mich filmte sich für seine Follower eben-
falls vorbildlich in der eigenen Wohnung,
ohne Dachterrassenbräune.) Bei „We
kick Corona“ können sich Einrichtungen
auf Spendengelder bewerben, Spender
können die Initiative ebenfalls unterstüt-
zen – Kimmich und Goretzka machten
den Anfang mit einer Summe in Höhe
von einer Million Euro. Unterstützt wer-
den in erster Linie gemeinnützige Verei-
ne, aber auch andere sozial orientierte In-
itiativen, denen durch die Corona-Krise
Einnahmen entgehen.
Goretzka spricht in seinem Video erst
einmal – „weil man es in der aktuellen Si-
tuation nicht oft genug machen kann“ –
ein „riesengroßes Dankeschön“ an alle
aus, „die aktuell in sozialen Vereinen, so-
zialen Einrichtungen, Arztpraxen oder
Krankenhäusern alles dafür geben, um
diese Situation zu meistern. Was ihr leis-
tet, ist wirklich Wahnsinn!“ Kimmich
und er hätten gemeinsam überlegt, was
sie unternehmen könnten, um in der ge-
genwärtigen Situation zu helfen – so ka-
men sie auf die Idee mit ihrer eigenen
Spendeninitiative. Auf der Webseite ihrer
Aktion teilen die beiden mit, dass sie de-
nen helfen wollen, „die anderen helfen,
und unseren Beitrag dazu leisten, dass un-
sere Gesellschaft auch nach der Krise so
vielfältig und stark ist, wie vorher“.

Die beiden 25-Jährigen waren in die-
ser Woche schon einmal an einer Spen-
denaktion beteiligt; gemeinsam mit ih-
ren Kollegen aus der DFB-Elf hatten sie
insgesamt 2,5 Millionen Euro für soziale
Zwecke zur Verfügung gestellt. Dass gera-
de Goretzka und Kimmich nun noch
mehr helfen wollen, dass sie weiter voran-
gehen wollen, passt auch zu ihrer persön-
lichen Entwicklung. In den vergangenen
Jahren sind die beiden neue Leitfiguren
im deutschen Fußball geworden.
Kimmich hat sich vor allem in sportli-
chen Fragen als neuer Klassensprecher
hervorgetan, er hat sich nie gescheut, sei-
ne Meinung mitzuteilen, auch dann
nicht, wenn sie eine andere war als die
von Uli Hoeneß oder Bundestrainer Joa-
chim Löw. Mit gesellschaftlichem Enga-
gement war er lange zurückhaltend,
doch auch in diesen Fragen ist er in den
vergangenen Monaten mutiger gewor-
den: Ende März zum Beispiel, vor dem
Auswärtsspiel beim FC Chelsea, äußerte
er sich entschieden gegen Rassismus und
für mehr gesellschaftliche Toleranz.
Schon länger hatte er zudem darüber
nachgedacht, eine Stiftung zu gründen,
gesprochen hatte er darüber auch immer
wieder mit Goretzka – in den vergange-
nen Tagen stand dann der Entschluss,
jetzt und gemeinsam so eine Initiative zu
starten. Goretzka setzt sich für gesell-
schaftliche Themen schon länger ein, in
den sozialen Netzwerken positioniert er
sich regelmäßig gegen Ausgrenzung und
Diskriminierung, er macht sich Gedan-
ken über die deutsche Geschichte, vor we-
nigen Wochen bei einem Besuch im
KZ Dachau. Kimmich und Goretzka wi-
dersprechen also schon länger dem gängi-
gen und doch oft zutreffenden Klischee
des gedankenlosen, uninteressierten
Fußballprofis, der in der eigenen Blasen-
welt untertaucht.
In der Corona-Krise setzen auch ande-
re Fußballer ein Zeichen, die Profis von
Borussia Mönchengladbach verzichten
auf ihr Gehalt, um ihrem Verein zu hel-
fen; diesen Schritt kündigte auch Rafal Gi-
kiewicz vom 1. FC Union Berlin an. Goretz-
ka sagt, Kimmich und er hofften „natür-
lich, dass viele von euch dem Beispiel fol-
gen werden“, die beiden Nationalspieler
meinen damit jeden Fan, vor allem aber
andere Fußballprofis. Sein Video beendet
Goretzka mit dem Gruß: „Bis dahin:
Bleibt zu Hause, bleibt gesund – und
dann sehen wir uns hoffentlich bald wie-
der.“ benedikt warmbrunn

Wer Borislav Stankovic einmal gegen-
übersaß, damals, als der Basketball-
Weltverband Fiba noch vom Münchner
Stadtteil Sendling aus regiert wurde,
wäre nicht zwingend auf die Idee ge-
kommen, mit einem wichtigen Mann
zu sprechen. In seiner saloppen Strick-
jacke, mit freundlichem Lächeln und
leiser Stimme wirkte Stankovic wie ein
gütiger Großvater, nicht wie ein mächti-
ger Sportfunktionär oder Visionär.
Doch seit James Naismith 1891 in den
USA das Basketballspiel erfand, hat
kaum jemand diesen Sport so beein-
flusst wie der 1925 im damaligen Jugo-
slawien geborene Stankovic. Vielleicht
noch David Stern, der langjährige Chef
der amerikanischen Profiliga NBA.
Als IOC-Mitglied öffnete Stankovic
jedenfalls Sterns NBA-Profis die Tür zu
Olympia, und seit das „Dream Team“
um Michael Jordan 1992 in Barcelona
aufspielte, ist Basketball ein globaler
Sport. Auch in der NBA spielen ja längst
nicht mehr nur Amerikaner.
Stankovic war stets vorne dabei ge-
wesen, wenn es um Basketball ging:
1946 holte er mit Roter Stern Belgrad
seinen ersten nationalen Titel, 1950
war er in Buenos Aires bei der ersten
WM dabei, 1970 organisierte er in sei-
ner Heimat die erste WM in Europa. Da
hatte er seine Praxis als Tiermediziner
längst aufgegeben, um sich hauptbe-
ruflich mit Basketball zu beschäftigen.
1976 übernahm er den Posten des Fiba-
Generalsekretärs vom Engländer Rena-
to William Jones, der ihn seit der Fiba-
Gründung 1932 besetzt hatte. Bis 2002
blieb Stankovic im Amt, dann zog die Fi-
ba in die Schweiz und er zurück nach
Belgrad. Dort ist er nun im Alter von 94
Jahren gestorben. joachim mölter

Leon Goretzka.
FOTO: SAMMY MINKOFF / IMAGO

Mannheim/Berlin –Der Plan für die
Waldläufe musste jetzt in die Tonne. Vor ei-
ner Woche hatten die Handballer der
Rhein-Neckar Löwen noch eine To-do-Lis-
te zum Fithalten mit nach Hause bekom-
men – doch eine Woche, das ist jetzt ver-
dammt lange her. Eine Ewigkeit in Corona-
Zeiten, denn jetzt ist die ganze Mann-
schaft in häuslicher Quarantäne. Und min-
destens ein halbes Dutzend Spieler sowie
der Trainer sind an Covid-19 erkrankt.
„Was man heute sagt, sieht morgen schon
wieder ganz anders aus“, sagt Jennifer Ket-
temann, deren Job als Geschäftsführerin
eigentlich hauptsächlich aus Planung be-
steht. Doch Planen ist jetzt unmöglich.
Telefonieren ist das, was noch geht,
und die 37-Jährige telefoniert oft: mit den
Spielern, mit Trainer Martin Schwalb, der
Mitte der Woche sein positives Testergeb-
nis bekommen hat. Der 56-jährige
Schwalb, der schon einmal einen Herzin-
farkt erlitten hatte, muss noch mehr als
manch anderer auf seine Gesundheit ach-
ten. Ihm gehe es „soweit gut“, sagt
Schwalb. Auch die Spieler melden eher
leichtere Krankheitsverläufe, „sie haben
Erkältungserscheinungen, oft mit ein biss-
chen Gliederschmerzen, leicht erhöhte
Temperatur, Kopfschmerzen“, sagt Kette-
mann. „Wenn es Menschen trifft, die nicht
Profisportler sind, kann es ganz anders
verlaufen“, sagt sie auch. Dass es nichts zu
verharmlosen gibt, wissen sie bei den Lö-
wen ja ganz genau. Wie das Virus in die
Mannschaft gekommen ist, kann man
jetzt gar nicht mehr nachvollziehen. Klar
ist nur, dass seit Freitag, dem 13., das Coro-
navirus den Verein so sehr getroffen hat
wie keinen anderen deutschen Profiklub.
Die Handball-Bundesliga ist mindes-
tens bis zum 22. April ausgesetzt, in Tele-
fonkonferenzen beraten sich die Vereins-
chefs derzeit regelmäßig. „Wir wünschen
uns alle momentan noch sehr, dass die Sai-
son fortgesetzt werden kann“, sagt Kette-
mann. Sie sei ein grundsätzlich optimisti-
scher Mensch, „aber das Ziel rückt Tag für
Tag weiter in die Ferne“. Andy Schmid, ei-
ner der Führungsspieler der Rhein-Ne-
ckar Löwen, sagte denBadischen Neu-
esten Nachrichten: „Ich glaube nicht, dass
wir Ende April so viel Normalität zurücker-
langt haben, so dass wir Handball spielen
können.“ Wie seine Teamkollegen, die

nicht krank sind, absolviert er jetzt ein
Sportprogramm in den eigenen vier Wän-
den. Der Athletiktrainer habe jedem indi-
viduelle Pläne geschickt, erläutert Kette-
mann. Auch über eine zusätzliche Versor-
gung mit entsprechenden Trainingsgerä-
ten sowie Trainingsstunden via Videokon-
ferenz dächten sie nach: „Man muss krea-
tive Lösungen finden.“
Der Monat März hatte für die Löwen zu-
nächst mit vielen positiven Erlebnissen be-
gonnen: Martin Schwalb hatte nach sechs-
jähriger Bundesligapause das Team vor
drei Wochen übernommen, es klappte
prompt mit drei Siegen, „wir waren gera-
de so im Aufschwung, es hat gut getan,
wieder diese Erfolge zu haben“, sagt Kette-
mann. Schwalb wollte gerade seinen Um-
zug von Hamburg nach Mannheim organi-
sieren, als das Virus schon bei den Löwen
angekommen war. Der dänische Profi
Mads Mensah war der erste, der leichte An-
zeichen von Erkältungen zeigte. Als Vor-
sichtsmaßnahme ließ man ihn testen.
„Wir haben dann schon vorsorglich alle,
die mit ihm in Kontakt waren, in häusli-
che Quarantäne geschickt“, sagt Kette-
mann, am besagten Freitag erhielt der
Rest der Mannschaft bis Montag trainings-
frei. Am Sonntag dann kam das positive

Testergebnis, später die vom Gesundheits-
amt angeordnete Quarantäne. Erst beim
Auftreten von typischen Symptomen wur-
den weitere Spieler dem Test auf das Coro-
navirus unterzogen. „Wir haben ja eine ge-
sellschaftliche Verantwortung. Wir kön-
nen nicht für uns beanspruchen, die kom-
plette Mannschaft zu testen, weil die
Tests auch sehr gefragt sind in der Bevöl-
kerung“, sagt Kettemann. Zu Hause waren

die Spieler ohnehin schon. Jannik Kohlba-
cher bekam dann als erster deutscher Nati-
onalspieler sein positives Testergebnis zu-
rück, noch vor Schwalb. Weil Kohlbacher
sich noch bis Freitag mit dem DHB-Team
im Trainingslager aufgehalten hatte, bega-
ben sich schließlich weitere Nationalspie-
ler in Quarantäne, darunter der Flensbur-
ger Johannes Golla, die Kieler Hendrik Pe-
keler, Steffen Weinhold und Patrick Wien-
cek sowie das Melsungen-Trio Julius
Kühn, Kai Häfner und Tobias Reichmann.
Einige Tausend Tickets hätten die
Rhein-Neckar Löwen in den kommenden

Wochen in der Bundesliga und im EHF-Po-
kal pro Spiel verkauft, die Coronakrise
wird auch sie finanziell zurückwerfen.
Was den Etat betrifft, gehören die Mann-
heimer immerhin zu den Top vier der Li-
ga; Sponsorengelder kommen auch vom
Softwarekonzern SAP. Daniel Hopp ist Ge-
sellschafter und Geschäftsführer der SAP-
Arena, in der die Rhein-Neckar Löwen ih-
re Heimspiele austragen. Hopp, ja, richtig:
Er ist der Sohn von SAP-Mitgründer Diet-
mar Hopp, der gerade als Mehrheitseig-
ner der Firma Curevac Schlagzeilen ge-
macht hatte, weil diese an einem Impf-
stoff gegen das Coronavirus arbeitet.
Gespräche mit den Sponsoren des Ver-
eins hat Geschäftsführerin Jennifer Kette-
mann schon geführt, sie erhielt viele Zei-
chen der Solidarität zurück, eine Dyna-
mik in die andere Richtung könnte sie
aber auch nachvollziehen. „Wenn es den
Unternehmen selbst in dieser Krise im-
mer schlechter gehen sollte, dann sieht
die Welt da auch ganz schnell wieder an-
ders aus“, sagt sie. Von den Handballspie-
lern gab es jedenfalls schon Signale, dass
sie zu einem Gehaltsverzicht bereit wä-
ren. Aber aktuell sind die Gedanken noch
zu sehr bei dem Virus. „Die Gesundheit
steht über allem.“ saskia aleythe

von johannes knuth

I


rgendwie, findet der Ausdauerläu-
fer Arne Gabius, sind es gerade auch
gute Tage für seinen Sport. Natür-
lich nicht für den Lauftreff oder den
Frühjahrsmarathon, wo das Corona-
virus wunderbar von einem dampfenden
Läufer zum nächsten wandern könnte.
Aber das einsame Laufen mit etwas Ab-
stand zum nächsten Spaziergänger, rund
um die Weinberge in Stuttgart-Stamm-
heim etwa, wo Gabius mit seiner Familie
wohnt – „dabei gefährdet man nieman-
den“, sagt er. Das moderate Auspowern
räume nicht nur im Kopf auf, „nebenbei
stärkt man auch sein Immunsystem“, sagt
Gabius. In jedem Fall sei es besser, als zu
Hause zu hocken, trockene Raumluft zu in-
halieren, die zu Erkältungen führen kann



  • und erst Recht zur Panik, ob man sich
    nicht doch Covid-19 eingefangen hat. Ein
    Paar Laufschuhe und etwas Abstand, das
    ist gerade wohl die beste Betätigung in der
    Pandemie; auch unter den neuen Aus-
    gangsbeschränkungen, die Bayern und an-
    dere Bundesländer gerade erlassen. Ohne
    Laufen, findet Gabius, „wird man ja sonst
    verrückt.“ Und bis zum Verrücktsein ist es
    in diesen Tagen ohnehin nicht weit.


Arne Gabius ist seit Jahren das Gesicht
der deutschen Ausdauerszene, er ist natio-
naler Rekordinhaber im Marathon mit sei-
nen 2:08:33 Stunden aus dem Jahr 2015,
und derzeit ist der 38-Jährige aus zwei
Gründen ein interessanter Gesprächspart-
ner. Erstens will Gabius unbedingt an ei-
nem olympischen Marathon mitwirken,
der ihm in seiner Vita noch fehlt, und als
Angehöriger des Berufsstandes der Leicht-
athleten ist er besonders stark von den Un-
sicherheiten betroffen, die die für diesen
Juli veranschlagten Spiele mit jedem Tag
heftiger umschwirren. Außerdem ist der
38-Jährige seit einer Weile approbierter
Arzt; er hat eine klare Haltung dazu, wie
das derzeit noch zusammenpassen kann:
Hochleistungssport und Pandemien.
Gabius wollte seine Olympianorm am



  1. April in Wien laufen, er war gut in
    Form, die Zeitvorgabe (2:11:30 Stunden)
    sollte für ihn kein Problem sein. Doch
    dann brachen nach und nach alle Läufe
    weg, in Wien und überhaupt. Und bis zur
    olympischen Meldefrist Ende Juni wird
    der Betrieb wohl kaum wiederaufgenom-
    men. „Im Marathon könnten sie wohl die
    Qualifikationsregeln anpassen“, sagt Gabi-
    us: Sie könnten auch Läufer nach Tokio bit-
    ten, die 2:13 oder 2:14 Stunden gelaufen
    sind, um das Starterfeld aufzufüllen – Ga-
    bius hätte achtbare 2:12:57 im Angebot,
    die er im vergangenen Herbst auf dem
    schweren Parcours in New York lief. Viele
    seiner Kollegen aus den Stadiondiszipli-
    nen sind allerdings auf Wettkämpfe ange-


wiesen, um ihre Normen bis Juni einzurei-
chen und überhaupt in Form zu kommen


  • in Zeiten von Ausgangssperren und ei-
    nem monatelangen Stillstand, auf den die
    Welt gerade zusteuert, ist das kaum noch
    denkbar. Der Leichtathletik-Weltverband
    hat im Vorjahr zwar eine Weltrangliste in-
    stalliert, die trägt aber noch wenig Aussa-
    gekraft in sich, weil viele die dafür nötigen
    Punkte erst in diesem Sommer zusammen-
    tragen wollten. „Schon allein deshalb glau-
    be ich, dass sie die Spiele verschieben müs-
    sen“, sagte Gabius, „das ist einfach eine
    Frage der Fairness. Es würden sonst viele
    Athleten ausgebremst.“
    Gabius ist dafür bekannt, seine Anlie-
    gen forsch zu formulieren, er hat aber
    auch eine gewissenhafte, klare Seite, mit
    der er seinem Beruf nachgeht. Und so argu-
    mentiert er auch jetzt. Er verweist auf die
    verlegte Fußball-EM, die einst im Juli
    2020 enden sollte – kurz vor der geplan-
    ten Olympiaeröffnung in Tokio – und die
    nur eine kontinentale Zusammenkunft
    ist. „Weltweit können wir noch weniger ab-
    schätzen, wie die Pandemie verläuft“, sagt
    Gabius, „auf der Südhalbkugel beginnt ge-
    rade erst der Winter.“ Die Infektionswege
    werden da erst breitgetreten. „Viele Län-
    der testen auch gar nicht richtig, so hältst


du die Fallzahlen natürlich niedrig“, sagt
Gabius. Auch Olympia-Gastgeber Japan
war zuletzt mit diesem Vorwurf konfron-
tiert. Er glaubt jedenfalls, sagt Gabius,
„dass das Virus schon stark verbreitet ist
und sich noch weiter verbreiten wird“.
Und selbst wenn die Infektionskurve bis
Mitte Juli abflachen sollte, und die halbe
Welt in Tokio zusammenkommt, 11 000
Athleten, noch mehr Fans, Reporter, Funk-
tionäre: „All diese Leute verteilen sich da-
nach in der ganzen Welt“, sagt Gabius, „da
verteilt man das Virus natürlich wunder-
bar.“ Ein Impfstoff soll ja erst im Herbst
verfügbar sein, wenn überhaupt. „Da
kann man nicht Olympia Ende Juli ausrich-
ten“, findet Gabius: „Das ist viel zu früh“.
Man könnte auch sagen: Der zeitliche
Spielraum, den die Olympiamacher noch
immer für sich beanspruchen, ist im Grun-
de längst aufgebraucht.
Man müsse 2020 wohl „als ein Jahr se-
hen, in dem der Sport ruht“, sagt Gabius.
Da müsse das Internationale Olympische
Komitee „jetzt mal über seinen Schatten
springen“, die Spiele um ein Jahr verschie-
ben, um allen mehr Zeit verschaffen, den
Behörden, Athleten, auch dem Dopingkon-
trollsystem, das gerade zum Erliegen
kommt. Den Athleten würde so viel Unge-

wissheit genommen; die griechische Stab-
hochspringerin Katerina Stefanidi hatte
unter der Woche betont, wie unverantwort-
lich das sei: Dass das IOC am Juli 2020 fest-
halte, Athleten zum Training ermuntere,
während Dekrete der Behörden sie zum
Stillhalten zwingen, mal so, mal so.
So wächst derzeit täglich der Chor de-
rer, die eine Vertagung der Spiele fordern,
Speerwurf-Olympiasieger Thomas
Röhler, Reiterin Isabell Werth, Turner An-
dreas Toba. „Die Gesundheit hat oberste
Priorität“, assistierte Jürgen Kessing, der
Präsident des Deutschen Leichtathletik-
Verbandes, am Freitag, und grenzte sich
so auch vom deutschen IOC-Präsidenten
Thomas Bach ab. Der nennt das weltweite
Wohlergehen ja noch immer in einem
Atemzug mit den olympischen Interessen.
Bach gab jetzt in derNew York Timeszwar
zu, dass das IOC auch alternative Szenari-
en erwäge. Wie diese aussehen, sagte er
aber nicht. Er betonte lieber, dass die Spie-
le weiter in diesem Juli stattfinden könn-
ten; eine komplette Absage stehe nicht zur
Debatte, das sei man „den Athleten und
der halben Welt, die bei den Spielen zu-
schaut“ schuldig. Dabei liegt zumindest
dieser Juli nicht mehr im Interesse vieler
Sportler, im Dienst der Gesundheit ist er

schon gar nicht. Der ehemalige DLV-Chef
Clemens Prokop attestierte Bach zuletzt in
derStuttgarter Zeitung, „einfach dumm“
zu agieren; Bach sei mit seinem Starrsinn
als Krisenmanager „ungeeignet“.
Man muss gerade jedenfalls oft an die-
se Strophe einer Rock’n’ Roll-Band den-
ken, sie trägt den wunderschönen Namen
„Everyone is dirty“: „Ist es nicht toll, wenn
Dinge auseinanderfallen? Dann sieht
man, woraus sie gemacht sind.“
Arne Gabius wird am Sonntag übrigens
39 Jahre alt, er hofft, dass ihn der lange
Atem einer 23-jährigen Leistungssport-
karriere auch durch die nächsten Monate
tragen wird. Er verspüre schon eine „Unsi-
cherheit“, er finanziert sich über viele pri-
vate Sponsoren, die ihn nach Leistung be-
zahlen – was gar nicht so einfach ist in
wettkampffreien Zeiten. „Aber ich denke,
wir müssen die nächste Zeit jetzt alle ein
bisschen kürzertreten“, sagt er. Er hat,
nach einem kurzen Anflug von Demotivati-
on, wieder Zuversicht gefasst, er kann ja
erst mal weiter im Freien trainieren; man-
cher Stabhochspringer hat es da schwerer.
„Als Sportler brauchst du immer einen
Fahrplan“, sagt Gabius, in seinem stehen
noch immer die Olympischen Spiele. Aller-
dings jene im Sommer 2021.

Außergewöhnlicher
Sportfunktionär:
Obwohl er die Ge-
schicke des Basket-
ball maßgeblich
beeinflusste, trug
Borislav Stankovic
seine Wichtigkeit
nie vor sich her.
FOTO: DARKO VOJINOVIC / AP

Hilfe für


alle Helfer


FCB-Profis Kimmich und Goretzka
gründen eine Spendeninitiative

Das IOC, findet Gabius,


müsse „jetzt mal über


seinen Schatten springen“


Kreativprogramm in vier Wänden


Bei den Rhein-Neckar Löwen muss die Geschäftsführerin für ein komplettes Handball-Team in Quarantäne planen


Wie das Virus in die Mannschaft
kam? Schwer zu ergünden
für den Handball-Bundesligsten

Mit langem Atem


Immer mehr Sportler fordern die Vertagung der Olympischen Spiele um ein Jahr. Arne Gabius, das Gesicht der deutschen
Ausdauerszene und approbierter Arzt, ist einer von ihnen. Dabei will der 38-Jährige unbedingt noch einen olympischen Marathon laufen

Türöffner


der Globalisierung


36 SPORT HF2 Samstag/Sonntag, 21./22. März 2020, Nr. 68 DEFGH


Er läuft auch in diesen Tagen, „sonst wird man ja verrückt“: Arne Gabius, hier beim Frankfurt-Marathon 2018. FOTO: JAN HUEBNER / IMAGO

In Quarantäne: Spieler der Rhein-Neckar Löwen und ihr Handballtrainer Martin Schwalb (2. v. r.). FOTO: AXEL HEIMKEN / DPA
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