Berliner Zeitung - 21.03.2020

(Rick Simeone) #1
Berliner Zeitung·Nummer 69·21./22. März 2020–Seite 11*
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Berlin

Unerwartet:Wastun,wenndasDerbyamSonnabendausfällt?Seite 12


Unaufhaltbar:DerTÜVglaubttrotzCoronaandenBER-EröffnungsterminSeite 13


NACHRICHTEN


Mittes Bürgermeister mit
Coronavirus infiziert

AuchMittesBürgermeisterStephan
vonDassel(Grüne)hatsichmitdem
Coronavirusinfiziert.DasVideofor-
mat„Mittespricht“sendeteeram
FreitagausderhäuslichenQuaran-
täne.„Nunversteheich,wiegefähr-
lichdas Virusseinkannfürdiejeni-
gen,dienichtsogesundsind,wieich
esnormalerweisebin“,sagtDassel
indem VideoundbatalleBerliner,
sichstriktandieVorgabendesSenats
zuhalten:KeinAufenthaltinGrup-
pen,Mindestabstandvon1,5Meter,
ReduzierungallerKontakte.(ann.)

Bürgerämter bitten:
VorBesuch anrufen!

DieBürgerämterdeckenabsofort
nurnochdringendeBürgeranfragen
ab.KundensollenvoreinemBesuch
telefonischabklären,obsievorbei-
kommensollen.Dasteiltedie Se-
natsinnenverwaltungamFreitag
mit.EsgebenichtinallenBüroge-
bäudendieMöglichkeit,denMin-
destabstandeinzuhalten.Einige
Bürgerämtermüsstendeswegen
ganzschließen,andereliefennur
nochimNotbetrieb .Anrufersollen
die115wählen.(ann.)

Spielplätze jetzt in zehn von
zwölf Bezirkengesperrt

MehralsdreiViertelderBezirkeha-
bensichinzwischenfüreineSper-
rungder Spielplätzeentschieden.
AmFreitaggabzuerstdasBezirks-
amtin Pankowbekannt,dassdieöf-
fentlichenSpielplätzeabM ontagzur
EindämmungderCovid-19-Pande-
miebisaufweiteresgeschlossensein
sollen.„IchbitteSieeindringlich,
dieserAnordnungFolgezuleisten“,
soBezirksstadtratVollrad Kuhn
(Grüne).Späterschlosssichauch
NeuköllnalszehnterBezirkan.(dpa)

Bis zu 800 Mitarbeiter für
Not-Krankenhaus erforderlich

IndernächstenWochesolldamitbe-
gonnenwerden,eine Halleaufdem
MessegeländezumNot-Kranken-
hausfür Covid-19-Patientenumzu-
bauen.DassagteProjektleiterAl-
brecht BroemmeamFreitag.Fürdas
KlinikummitbiszutausendBetten
würden600bis800Kräftemitver-
schiedenenQualifikationenge-
braucht.Bishergebees30bis40frei-
willigeMeldungen,obwohlbisher
keinöffentlicherAufrufgestartet
wurde .Einensolchensollezueinem
späterenZeitpunktgeben.(dpa)

ZuerschöpftzumÖffnen


DerSenathatSuper-undBaumärktenerlaubt,amSonntagzuverkaufen–dochdiewollengarnicht


VonAnnika Leister

B


egrenzte Kunden-Anzahl
im Geschäft und ratio-
nierte Mengen Klopapier:
Berlins Bau- undSuper-
märkte rüsten sich gegen dasCoro-
navirus .Während viele andereGe-
schäftesowiealleBarsundKneipen
ganz schließen mussten,reißen die
Hamsterkäufe in den Geschäften,
die der Berliner Senat vomCorona-
Schließbefehl ausgenommen hat,
nichtab.
Für die Angestellten inVerkauf
und Logistik herrschen seitWochen
Ausnahmezustände.Wie erschöpft
die Branche ist,zeigt, dass sie ein
sonstverlockendesAngebotbeinahe
geschlossen ausschlagen wird:Von
12bis18Uhrand iesemSonntaghat
derSenatunteranderemSuper-und
Baumärktenerlaubtzuöffnen.Doch
diewollengarnicht.
Manhalte eineErwe iterung der
Öffnungszeitennichtfürnotwendig,
teiltedieSupermarktketteEdekader
Berliner Zeitung am Freitag mit.

„Schon jetzt sind vieleKollegen an
den Grenzen ihrer Belastbarkeit.“
Ganz ähnlich klingtesvonder Bau-
marktketteObi,dieinvielenFilialen
nur noch 100Kunden gleichzeitig
einlässt:„Wirwolleneinezusätzliche
BelastungfürunsereMitarbeiterver-
meiden.“
Nils Busch-Petersen, Hauptge-
schäftsführer desHandelsverbands
Berlin-Brandenburg, schätzt, dass
die meistenGeschäfte geschlossen
halten, um für Ordnung zu sorgen.
Er bitte umVerständnis.Man habe
so turbulenteTage hinter sich, da
„müssen wir mal Kraft schöpfen“.
Lediglich einige „kleinereEinzel-
kämpfer“ würden amSonntag wohl
die Gelegenheit nutzen.Berlinern
empfiehlt er,schon vorher einzu-
kaufen:„GehenSielieberheuteoder
morgennochmalundbesorgenSie,
wasSiebrauchen.“
Wassie brauchen–das ist aller-
dings einweit auslegbarerBegriff.
Immer mehrSupermärkte inBerlin
weisen Höchstmengen aus,damit
nicht wenige Kunden alleBestände

an Artikeln wie Klopapier undNu-
deln aufkaufen. Manmüsse den
„Abverkauf einiger Artikel leider li-
mitieren“, fordertein Supermarkt
auf einemAushang an derKasse.
Undlistetauf:MaximaldreiKonser-
venvon jederSorte, eine Packung
Klopapier,zweiPaketeMehl,undso
weiter.
In den Geschäften nimmtNils
Busch-Petersen eine gestiegene Ag-
gressivitätderKundenwar.„DieMen-
schen wollen dieMengenbeschrän-
kungen nicht einhalten.“In anderen
Städten Deutschlands berichtet die
Polizei bereits vonhandgreiflichen
Auseinandersetzungen in der
Schlange odervorden Regalen. In
Würselen bei Aachen wurde in der
Nachtzu FreitaggardieScheibeeines
Autoseingeschlagen–das heiß be-
gehrte Diebes gut:zweiPaketeKlopa-
pier zu achtRollen, wie das ZDF be-
richtete.
Busch-Petersen bittet eindrück-
lichumRücksichtnahmeundSolida-
rität.DieAngestellteninLogistikund
VerkaufstündenextremunterDruck.

UndfürKämpfeumNahrungsmittel
gebe es schlicht keinenGrund: „Die
Grundversorgungwerdenwiri mmer
gewährleisten.“LückenindenRega-
len gebe es zurzeit maximalwegen
der hohenZahl vonHamst erkäufen.
SiestelltendieMärktevorlogistische
Herausforderungen. „Aberwenn es
Lückengibt,schließenwirsie.“
Immermehr Kunden schwenken
aber auch um:Eismann, vonvielen
fast vergessener Tiefkühlfrost-Liefe-
rant,meldetzurzeitso hohenA bsatz
„wieniezuvor“.MancherKundebe-
stelle für mehr als 400Euro,umd ie
heimische EistruhebiszumAnschlag
aufzufüllen.Dochauch beiEismann
wirdSolidaritätgeradegroßgeschrie-
ben: „Großbestellungen werden
nachrangig behandelt“, teilt dasUn-
ternehmenmit.

Hochbetrieb in Zeiten denPandemie: Ein Sicherheitsdienst regelt den Einlass vor einem Drogeriemarkt amKurfürstendamm. DPA

Annika Leister
wird den Sonntag auf der
Couchverbringen.

Einmal Grenze


und zurück


Homeoffice


PetraAhnehatihren
Arbeitsplatzvorübergehend
nachBrandenburgverlegt.

D


er Tagbegann mit einerFahrt
Richtung Polen. Tags zuvor
hatteZofiaangerufen,eineguteBe-
kannte.IhreStimmeklanggedrückt.
SiewollenachHause,sagtesie .Nach
Polen.IhrMannseischonda,esma-
che sie nervös,jetzt allein inBerlin
zu sein. Ob wir sie zurGrenzebrin-
gen könnten?Aufder anderenSeite
würdePjotrwarten,ihrMann.
Als wir am nächstenMorgen vor
ihrem Haus in Moabit ankamen,
meinMann,ich,diezweiKinderund
derHund,standZofiaschonaufder
Straße.Siesprachdavon,wiefurcht-
bar alles sei. „Ohdum eine Güte“,
sagtesieimmerwieder.Und:„Ichbin
unter Stress.“ Sieerzählte vonVer-
wandteninEnglandundItalien,die
nun alle nachPolen zurückkehren
würden. Siesprach vonden ge-
schlossenenGrenzen und was wohl
werden würde.Das Coronavirus er-
wähnte sie nicht einmal. Es war
nichtdasVirusselbst,dassiesoner-
vösmachte.Esw ardieArt,wieesdas
Leben veränderte.Ich dachte,dass
das womöglich seine gefährlichste
Nebenwirkung ist: dass es vielen
Menschen jetzt dasGefühl gibt, die
Welt sei aus denFugen, ihnen die
Ruhe nimmt und sie verletzlich
macht.
Wirfuhren über Landstraßen,
draußen zogBrandenburgvorbei,
flach und leer.ImRadio hörten wir
von50K ilometer langenStaus Rich-
tung Polen. Aufder Strecke,die wir
herausgesuchthatten,zeigteGoogle-
mapsfreieFahrtan.JenäherwirKüst-
rin-Kietz kamen, einemGrenzüber-
gangnurfürPkwundPersonen,desto
leerer wurde es.AmEnde waren da
nurwirundsechsPolizisten,dieuns
freundlichweiterwinkten.
An de rBrück e, hinter derPolen
begann,warteteneinpaarAutos.Wir
hielten hinter dem letzten und lie-
ßenZofiaaussteigen.Pjotrriefan,er
könneunsvonderanderenSeitese-
hen. Wirblickten Zofia hinterher.
Eine kleineFrau mit einem großen
Rollkoffer,auf demWegzue iner
Grenze, die sie passieren konnte,
weil sie Polin war .Wir aber nicht,
weilwir Deutschewaren.Ichmerkte,
dassesmichauchpackte,diesesGe-
fühl,dassdieDingenichtmehrwa-
ren,wiesieseinsollten.
Wirfuhren weiterinunserHäus-
chen auf dem Land, das jetzt näher
warals Berlin.Ichpacktemeinezwei
Computer aus,loggte mich insRe-
daktionssystem ein und schrieb ei-
nenTextdarüber,obm animmunist,
wenn man dasCoronavirus hatte.
IchsahausdemFenster,vormirlag
der Wald. Nach der Arbeit ging ich
mit demHund spazieren, ich traf
niemanden. „SocialDistancing“ ist
in Brandenburgganz normal.Und
imWaldverschwandmeineUnruhe.
Ichüberlegte,obm anden Berlinern
stattderdrohendenAusgangssperre
nichtAusflügeindieWäldervero rd-
nen sollte.Brandenburgist so leer,
siewürdensichgarnichtbegegnen.
Keine Ansteckungsgefahr.Natur
kanndas,innereRuhegeben.Wahr-
scheinlichbrauchenwirdiejetztam
allermeisten.


HausärztefühlensichimStichgelassen


MedizinerbeklagenvorallemfehlendeAusstattungmitSchutzkleidungundDesinfektionsmitteln


H


ausärzte inBrandenburgund
Berlin fordernmehr Unterstüt-
zunginderCoronakrise .„Wirfühlen
unsim Stichgelassen,dennvonden
Verantwortlichenkommtnichts,weil
dieseStellenselbstüberfordertsind“,
sagtederVorsitzendedesHausärzte-
verbandes,Wolfgang Kreischer,am
Freitag.EsgebekeinenklarenLeitfa-
den für dieMediziner,etwa im Um-
gangmitVerdachtsfällen.DieBedin-
gungenändertensichjedenTag.
VonKrankenkassen, Gesund-
heitsämternund Kassenärztlichen
Vereinigungen fühle man sich nicht
ausreichend unterstützt,vorallem
was dieAusrüstung mit Schutzklei-
dung undDesinfektionsmittel an-
gehe,sagte Kreischer.Auch Test-

möglichkeitenvorOrt fehlten.Der
Verband vertri tt etwa tausend Ärzte
inBerlinund Brandenburg.
AmMontagbereitshattesichdie
Kassenärztliche Vereinigung (KV)
Berlin mit einem ähnlichenAppell

an die Öffentlichkeit gewandt: Es
werdedringend Nachschub an
Schutzmaterialbenötigt.
Laut einerUmfrage des Landes-
verbandes ist die Verunsicherung
unter denMedizinerngroß. Aufdie

Frage „FühlenSiesich zur zeit für
eine weitereAusbreitung desCoro-
navirusgerüstet?“,antwortetedabei
einedeutlicheMehrheitder631be-
fragten Ärzte mit „Nein“.Ebenfalls
eine Mehrheit gab an, dass ihnen
Schutzkleidung wie Brillen oder
SchutzmaskensowiePersonalfehle.
KreischerbegrüßtedenVorschlag
der Brandenburger Landesärzte-
kammer,dass Ärzte imRuhestand
ihren Kollegenbeidertelefonischen
Patientenberatung helfen sollten.
DiepensioniertenMediziner könn-
tenmitihrerlangjährigenErfahrung
wertvolleHilfeleisten,ohnedassih-
nen selbst eineInfizierung drohe,
hatte KammerpräsidentFrank-Ull-
richSchulzvorgeschlagen.(dpa)

Umfrage zur Corona-Krisebefragt wurden 673 Hausärzte in Berlin und Brandenburg


Ja
11,0%

Sonstiges/
Keine Angabe
6,2%

Nein
82,8%

Fühlen Sie sich zur Zeit für eine weitere
Ausbreitung des Corona-Virus gerüstet?

Fühlen Sie sich von Politik/Krankenver-
sicherung/RKI ausreichend informiert und
unterstützt?
Ja
Nein
Jein
Sonstiges/
Keine Angabe

167
410
46
50

Gesamt
673
befragte
Ärzte

BLZ/GALANTY; QUELLE: HAUSÄRZTEVERBAND BERLIN-BRANDENBURG

1000

800

600

400

200

0

Entwicklung der Berliner
Corona-Fälleseit 1. März 2020

BLZ/GALANTY; QUELLE: SENATSVERW. FÜR GESUNDHEIT


  1. März


Stand: 20. März, 16.30 Uhr
20.März

868

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