Berliner Zeitung - 21.03.2020

(Rick Simeone) #1

Politik


4 * Berliner Zeitung·Nummer 69·21./22. März 2020 ·························································································································································································································································································


NACHRICHTEN


Staus an Grenze zuPolen


aufgelöst


DieLageaufdenBrandenburgerAu-
tobahnenRichtungPolenhatsich
entspannt.Nachkilometerlangen
Lkw-StausindenvergangenenTa-
gendurchverstärkteKontrollenin
derCorona-KriserolltderVerkehr
wieder.„AndenGrenzübergängen
gibteskeineProbleme“,sagteeine
SprecherindesBrandenburgerPoli-
zeipräsidiumsamFreitag.Kurzvor
MitternachthabesichderRückstau
langsamabgebaut,dieFahrzeuge
hättenlosfahrenkönnen.(dpa)


Corona: Bundeswehr will


deutschlandweit helfen


DieBundeswehrwillbaldbundes-
weitzurAmtshilfefürzivileBehörden
inder Corona-Kriseeinsatzfähigsein.
DazuwürdenweitereUnterstüt-
zungskräftevorbereitet,sagteGene-
ralleutnantMartinSchelleis,derdie
VerantwortungfürdieKoordination
dermilitärischenAmtshilfeinderCo-
rona-Krisehat,amFreitagder Deut-
schenPresse-Agentur.(dpa)


Putin und Assad sprechen


über Lage in Syrien


Syriens Präsident Bashar al-Assad und
Russlands Staatschef Wladimir Putin AP


DerrussischePräsidentWladimir
Putinund SyriensStaatschefBa-
scharal-AssadhabenbeieinemTe-
lefonatdieLageumdieumkämpfte
ProvinzIdliberörtert.Dabeiseies
umdie Umsetzungderzwischen
RusslandundderTürkeivereinbar-
tenSchrittefüreineStabilisierung
desLandeswieauchumhumanitäre
Hilfegegangen,teiltederKremlam
Freitagmit.Detailswurdennichtge-
nannt.(dpa)


Taliban töten


22 afghanische Soldaten


InAfghanistansindbeieinemmut-
maßlichenAngriffderradikal-isla-
mistischenTalibanaufeinenStütz-
punktlokalerSicherheitskräftemin-
destens22Soldatengetötetworden.
DerÜberfallereignetesichinder
NachtzumFreitaginderProvinzSa-
bulimSüdendesLandes,nurwe-
nigeStundenvorBeginndespersi-
schenNeuenJahres Norus.(dpa)


Schwedenlässt


dieSchulen


offen


Regierungreagiert
erstaunlichgelassen

VonFrederik Bombosch

W


ährend anderswo inEuropa
dasöffentlicheLebenzumEr-
liegen gekommen ist, während di-
verse Staatschefsvoneinem „Krieg
gegendasVirus“sprachen,beließes
JohanCarlsonamFreitagbeieinem
freundlichenAppell. „Überlegt, ob
ihr jetzt wirklich in Urlaub fahren
wollt“, rief der Chef der schwedi-
schenGesundheitsbehördeFolkhäl-
somyndighetenbeieinerPressekon-
ferenz am Freitag seinen Landsleu-
tenzu.ReiseninnerhalbdesLandes
könntendazu beitragen, das Coro-
naviruszuverbreiten.
Trotz 1É23 registrierten Corona-
Infektionenund1ÉTodesfällen–die
Infektionsrate entspricht damit der
inBerlin–begegnenRegierungund
BehördenderPandemieerstaunlich
gelassen.Zu den bisher drastischs-
tenMaßnahmengehörteamDiens-
tag eine Empfehlungan die Hoch-
schulen des Landes,Vorlesungen
undSeminareeinzustellen–derdie
Rektoren umgehend nachkamen.
DieSchulen jedoch sind weiterhin
geöffnetundsolleneszunächstauch
bleiben.„DiepositivenEffekteeiner
Schließung wären vernachlässig-
bar“, gab sich Johan Carlson über-
zeugt. Auch Restaurants und Sport-
stätten sind weiterhin geöffnet,
ebensowiedieGrenzen.
Auswirkungenaufdasöffentliche
Leben hat die Pandemietrotzdem.
DenneinesunterscheidetSchweden
vonvielen anderen europäischen
Ländern: Empfehlungender Behör-
den nehmenviele Leute ernst. In
Stockholm sind die Straßen leer,
auch ohne Anordnung haben die
meisten Kinos und Theater ge-
schlossen.Volvohat die Produktion
eingestellt.Undauchdas:Klopapier
istzurMangelwaregeworden.
Gelassensindlängstnichtalle.Jo-
hanStyrud, Vorsitzender der Stock-
holmer Ärztebundes,warnte am
DonnerstagimschwedischenRund-
funkvordramatischenZuständenin
denKliniken.„Wirsindnichtgutvor-
bereitet“, sagte er.Unter anderem
fehleeinklaresBildder Ausbreitung,
da Corona-Tests nur stichprobenar-
tigduchgeführtwerden.
FürdieseStrategiehatsichdieRe-
gierung auf Anraten ihres obersten
Epidemiologen AndersTegnell ent-
schieden.Massente sts,soi sterüber-
zeugt, würden zu viele Kapazitäten
im Gesundheitswesen binden.Teg-
nell geht davon aus,dass Infizierte
ohne klareSymptomedas Virus
kaumverbreiten.Dassda snicht un-
eingeschränktgilt,weißer.Aberman
dürfesichnichtaufAbweichungen
vomRegelfallkonzentrieren,ister
überzeugt.
TegnellsAutoritätallerdingshat
gelitten. Er verzichtete darauf,
schwedischen Skiurlaubernnach
derRückkehrausItalienund'ster-
reichhäuslicheIsolationzuempfeh-
len. Siewurde ndaraufhin zurwe-
sentlichenQuelle derAusbreitung
im Land.DerEpidemiologe erklärte
garam5.März,dieAusbreitung habe
nunwohl dasMaximum erreicht.
Geradeei nmal94 Infiziertegabesin
Schwedenzud iesemZeitpunkt.

WoständigTotenglockenläuten


DienorditalienischeProvinzBergamoistdasneueEpizentrumderCorona-Pandemie


VonRegina Kerner

D


ie Bilder derMilitärlast-
wagen,dienachtsdurch
die menschenleeren
Straßen vonBergamo
fuhren –auchimdeutschenFernse-
hen ausgestrahlt –, waren gespens-
tisch. Weil Stadt und umliegende
Provinz die höchsteZahl vonCo-
rona-Toten im inzwischenweltwei-
tenVirus-EpizentrumItalienhaben,
musste amMittwochabend die Ar-
mee einspringen.Etliche Dutzend
Särge wurden in Orte wieModena,
Parmaund Rimini gebracht, wo die
Leichen eingeäschertwerden, wie
die LokalzeitungL’EcodiB ergamo
berichtet. Dienächtliche Lkw-Ko-
lonne gilt inItalien schon als das
Symbolbild überhaupt für dieCo-
rona-Katastrophe.
Italien hat China mit inzwischen
4000 Covid-19-Totenweit überholt,
die Opferzahlen steigen immer
schneller.Innerhalb vonnur 24
Stunden starben bis Freitagabend
mehr als É00Menschen, 380 davon
allein in der norditalienischenRe-
gion Lombardei. Dortwiederum ist
die Provinz Berg amo,nordöstlich
vonMailand,amstärkstengetroffen.
Seit Ende Februar der erste einhei-
mischeCorona-Fallentdecktwurde,
gab es dortmehr als É00Tote.Das
L’EcodiB ergamo druckt täglich ein
Dutzend SeitenTodesanzeigen.
Nicht nur die Leichenhalle der
120000-Einwohner-Stadt ist voll.
Fast 150 Särgereihten sich in der
Friedhofskirche „Allerheiligen“, bis
BürgermeisterGiorgio GoridasMili-
tärzu Hilferief.DieMehrzahlderFa-
milien habe sich für eineEinäsche-

rung ihrerVerstorbenen entschie-
den, erklärteGori.Aber das örtliche
Krematorium bewältige das nicht,
obwohlesrundumdieUhrarbeite.
ProTag können dorthöchstens 25
Leicheneingeäschertwerden.
Auch die Bestatter inBerg amo
sindangesichtsdervielenTotenvöl-
lig überfordert.„Ich schlafe seit drei
Tagennichtmehr“,sagtederBeerdi-
gungsunternehmerNicolasFacheris
derNachrichtenagenturAnsa.Anei-
nem einzigenTaghat er 40 Tote be-

statten müssen.Danach hatte er ei-
nen Nervenzusammenbruch. „Das
Schlimmste ist, dass wir den Ange-
hörigensagenmüssen,dasssieihre
Lieben nicht einmal mehr sehen
dürfen“,klagteer.
UmeineVerbreitungdesViruszu
verhindern,müssenVerstorbeneso-
fortine inengeschlossenenSargge-
legt werden. Seit die Regierung in
Romjede Ar tvon Menschenan-
sammlung untersagt und eineAus-
gangssperreverhängthat,sindauch
Trauergottesdienste und -feiernun-
möglich. Nurengste Angehörige
dürfen beiBeerdigungen dabei sein
–doch die finden kaum mehr statt.

DasVirus macht auchvorden Pfar-
rernnichthalt.13Priestersindinder
Diözese Berg amolautkatholischem
Hilfswer kCaritas schon gestorben.
Papst Franziskus hatte Geistliche
dazuaufgerufen,KranketrotzInfek-
tionsgefahrzubesuchen.
DerTodder Covid-19-Erkrankten
ist in jederHinsicht ein einsamer.
Angehörige dürfen sie nicht mehr
sehen,dasmedizinischePersonalist
hinter Atemmasken und Schutz-
monturenversteckt. DasKranken-

„Die 'fen der Krematorien laufen ununter-


brochen,Beerdigungenwerden nicht mehr


gefeiert, und wir machen jede halbeStunde


eine Bestattung. Es ist unvorstellbar.“


Giorgio Gori,BürgermeistervonBergamo

haus „PapstJohannes 9III.“ inBer-
gamo habe an die PflegekräfteTab-
lets ausgegeben, damit sie dieSter-
benden noch einmal aufnehmen
und den Angehörigenzeigen könn-
ten,schreibtdieZeitungLaRepubb-
lica. Aber die Ärzte und Pflegekräfte
in der hoffnungslos überfüllten Kli-
nik,diebiszurvölligenErschöpfung
rund um dieUhrarbeiten,werden
dafürwohlkaumdieZeitfinden.
SiestellenschonseitWochenHil-
ferufe insInternet. „Wir habenver-
zweifeltenBedarfanÄ rzten, Pflege-
rinnen, Beatmungsgeräten und
Schutzausrüstung“, appellierte der
medizinischeLeiterStefanoFagiuoli

auf Englisch in einemVideo an den
Restder Welt.Er ve rknüpftedasmit
dem dringlichenAufruf an alleZu-
schauer:„Bitte,bleibtzu Hause!“Nur
das könneverhindern, dass es auch
anderswo zu so unglaublichenZu-
ständenwieinBerg amokommt.Ita-
liensPremierGiuseppeContehatin-
zwischenangekündigt,300zusätzli-
che Ärzte und Pfleger in die Krisen-
gebieteNorditalienszuschicken.
Wieso geradeItalien und insbe-
sondereder Norden so starkbetrof-
fen sind, erklärte derEpidemiologe
PierLuigiLopalcoamFreitaginder
Repubblica: „DiesemViruskommt
man entweder zuvor oder man holt
esnichtwiederein.“Undmanhabe
dieEpidemieinItalienerstbemerkt,
als sie bereits in einem fortgeschrit-
tenen Stadium war.Inzwischen ge-
henWissenschaftundGesundheits-
behörden davon aus,dass das Virus
in Norditalien schon ab AnfangJa-
nuarin Umlaufwar–Wochenbevor
dannam20.FebruarimkleinenOrt
Codogno naheCremona bei einem
38JahrealtenManagererstmalseine
imInlanderfolgteInfektiondiagnos-
tiziertwurde.Aberdaswarwohlnur
dieSpitzeeinesenormenEisbergs.
EinHoffnungsschimmer immer-
hin ist dieNachricht, dass es dem
vermeintlichen ersten italienischen
Corona-Infizierten namens Mattia
nach wochenlanger künstlicherBe-
atmungnunbessergeht.Ersollbald
entlassenwerden.

ReginaKerner
findet die Berichte aus
Bergamo erschütternd.

MehrfürRentner


DieAltersbezügeinneuenLändernerreichenab1.JulifastWestniveau


D


ie rund 21 Millionen Rentner
können sich imSommer auf
spürbareRentensteigerungen
freuen. InWestdeutschlandsteigtdie
Renteum3,45Proz ent,indenneuen
Ländernum4 ,20Proz ent.Dasteilte
das Bundessozialministerium am
Freitagin Berlinmit. Damitwachsen
die Renten am 1.Juli noch etwas
stärker als zunächstvorhergesagt.
Eine monatlicheRente von
Euro,dienuraufWest-Beiträgenbe-
ruht, erhöht sich dadurch um 34,
Euro,einegleichhoheRentemit Ost-
Beiträgenum42,20Euro.
DieRentenin Ostdeutschlandnä-
hernsich weiter an dieWestbezüge
an.DeraktuelleRentenwer timO sten
steigt auf 9È,2Proz ent desRenten-

wertsWest. Biszum Jahr 2024 soll er
aufgrund einerGesetzesvorgabevon
201È schrittweise auf 100Proz ent
klettern.DerRentenwertgibtkonkret
inEuro an,wievieleinEntgeltpunkt
in der Rentenversicherungwert istÇ
einEntgeltpunkt–berechn etanhand
einerkompliziertenFormel–istmaß-
geblichfürdieHöhederRente.
DasRentenn iveau beträgt 48,
Proz ent–es zeigtan, wie hoch das
Absicherungsniveau derRente im
VergleichzudenLöhnenist.Grund-
lagefürdieRentenanpassungistdie
Lohnentwicklung im verg angenen
Jahr.Die für dieRentenanpassung
relevante Lohnsteigerung beträgt
3,28 Proz entind en alten Ländern
und3,83Proz entindenneuenLän-

dern. Auch die Beitragsentwicklung
unddasVerhältnisvonBeitragszah-
lernundRentnernspieleneineRolle.
DerBeitragssatzvon18,ÉProz ent
dürftelautdemjüngstenRentenver-
sicherungsbericht bis 2024 stabil
bleiben.Bis2025dar ferl autGesetz
auch nicht über 20Proz ent steigen.
Danndürfteeransteigen.
DieRentenerhöhung dürfte dem
Staat zusätzlicheEinkommensteuer
in dreistelligerMillionenhöhe brin-
gen.Aufgrundeinerzunächstniedri-
ger vorhergesagtenSteigerung war
das Bundesfinanzministerium be-
reits von420 Millionen Euro ausge-
gangen.2019warenes390Millionen
Euro,inden Jahren zuvor 350 und
220Millionen.(dpa)

In Cremona errichtet das US-amerikanischeevangelikale Hilfswerk„Samaritan’sPurse“ (Barmherziger Samariter)ein Feldkrankenhaus. DPA/CLAUDIO FURLAN

Der Krankenhaus-Eingang für Coronapati-
enten in Stockholm führtüber ein Zelt.AFP

LiebeGesundheitsarbeiter,
nicht alleHeldentragen Umhänge.

Danke,
dass wiruns aufEuchverlassenkönnen!

http://www.klinikhelden.berlin

#COVID19#flattenthecurve
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