Berliner Zeitung - 21.03.2020

(Rick Simeone) #1

21./22. MÄRZ 2020 5


LEBEN &STERBEN


Wirund


dasVirus


H


ändewaschen ist wieder inMode ge-
kommen.Eswirdnichtmehrwildinder
Gegend herumgeniest.Homeoffice und der
VorteilderdigitalenVernetzungsindauchim
letzten Büroangekommen. Eine Krank-
schreibung ohne Arztbesuch war hier in
Deutschlandkaumvorstellbar,undaufein-
mal ist es möglich.DieVideosprechstunde
oderdiedigitaleKommunikationmiteinem
Arzt sind angekommen.DasBeste ist: End-
lichdar fjeder,dereine Erkältunghat, diese
auch ohne dieSuggestion des schlechten
Gewissens,inR uhezu Hauseauskurieren.
EinGespenstgehtuminEuropa.DasGe-
spenstisteinVirus,dasunsererGesellschaft
die Maske herunterreißt. Es sieht nicht gut
aus,was zum Vorschein kommt.DiePanik-
mache derPresse,der die Toten der Meere
oder dieMenschen, die in Lagernzusam-
mengepfercht unter unmenschlichen Be-
dingungen leben müssen, kaum mehr eine
Schlagzeilewert sind. DieTalkshows,ind e-
nen Ärzte,die ger nein bisschen in der Öf-
fentlichkeit stehen wollen, imFach Epide-
miologie aber sicher nicht mitFachwissen

bringt, wirdine iner fremdenWohnung ka-
serniert.DasEssen wir dihr vordie Tür ge-
stellt.
DieWHO ruft den Gesundheitsnotstand
aus.Notstand ist ein beängstigendesWort.
EinkurzerBlickaufdieWebsitederOrgani-
sationgenügt,umzuerklären,warumdieser
Schritt vorsorglichundwichtigist.DieMaß-
nahmesagtnochnichtsüberdieGefährlich-
keitdes Virusaus.Hiergehtesumeinfachere
und grenzübergreifendeZusammenarbeit.
VorallemgehtesumdenSchutzderLänder,
die kaum ein flächendeckendesGesund-
heitssystem haben.Malaria, Cholera,Ma-
sernundHIVsindnureinpaarderKrankhei-
ten, gegen die dortnicht erst seit dreiWo-
chengekämpftwird.
Corona kann aber auch unserGesund-
heitssystem insWanken bringen.DieSorge
istnichteinmassenhaftesSterben,sondern
eine Überlastung der Krankenhäuser,die
schonimnormalenAblaufmitdembekann-
ten Pflegenotstand im alltäglichenAblauf
konfrontiertsind. Zusätz lich massenweise
Corona-Patienten würde dasSystem nicht

Heute: Sabine Kroh, Hebamme


verkraften. Dassowieso überlastete und
überarbeitetePersonal müsste mit den eh
knappenRessourcen zusätzlicheBelastun-
genstemmen.DasSyste m–mitseinenKran-
kenhäusern, die in harterKonkurrenz mit-
einandermöglichstvielUmsatzer wirtschaf-
ten sollen –offenbartsos eine ganzen
Schwächen. Eine WhatsApp-Kettennach-
richtmit der Aufforderung, aufBalkonen
BeifallzuklatschenfürdieMenschen,dieim
Krankenhaus arbeiten, hilft den Pflegern
undSchwesternnicht,dennwenndieKrise
vorbeiist,wirdmansiewiedervergessen.
DieguteNachrichtist:Diesesmilliarden-
schwer e, monetär ausgerichteteGesund-
heitssystem, dasvorallem vonMenschen
am Laufen gehalten wird, die unfassbar
schlecht bezahltwerden, sollte die Krise
letztlichmeisternkönnen.Vielleichtwerden
wir uns so zumindest wieder bewusst, dass
wir hier miteinander auf dem sicherenTeil
derErdkugellebendürfen.

glänzen,AngstundSorgeverbreiten.Beson-
nenheitundRuheinderA ufklärungsindlei-
dereine Seltenheit.
LustigeC omics zumViruserheiterndas
Netz.In einemkurzenundgestelltenVideo,
in welchem eineFrau, nachdem sie an der
Bushal test elle niest, eiskalt abgeknallt wird,
geht viral.DerHamster wirdzumWortwitz.
Witzigistdasnicht.
In der Schwangerenambulanz im Kran-
kenhaus fehlen überNachtalle Desinfekti-
onsmittel aus denVorratsschränken.In den
Gängen hat jemand dieDesinfektionsstän-
der einfach abgebaut.DieAtemschutzmas-
ken werden jetzt imGiftschrankverschlos-
sen.AldibietetgleichfertiggepackteHams-
terkaufkörbe inverschiedenenPreiskatego-
rien an. Desinfektionsmittel sind nur noch
zumdoppeltenPreiszuhaben.Meinetürki-
sche Nachbarin erklärtmir ausführlich im
Fahrstuhl,warumsiesovieleTütenvollerLe-
bensmittelhat,dieihrevierKinderihrtragen
helfen. Eine Freundin, die in den USA ihre
Familiebesuchtundnatürlichdiezuerwar-
tende Erkältung aus dem Flugzeug mit-

NächsteWocheschreibt an dieser Stelle der Bestatter Eric
Wrede.

D


ieDesignerinarbeitetsehrnah
anderScheibe.Sobekommtsie
vielTageslichtab.AberHanne
Willmannsitztdadurchauchwie
ineinemSchaufenster,eingekeiltzwischen
orientalischen Imbissen und wuseligen
Start-up-Büros nahe der U-Bahnstation
EberswalderStraße.„Ichbinesgewohnt,auf
kleinem Raum klarzukommen“, sagt sie,
während sie hereinbittet in das „Studio
HanneWillmann“,einerdgeschossigesZim-
mer vonknapp 20Quadratmetern, das sie
sichmitzweiMitarbeiterinnenteilt.
DasLächelnder31-Jährigenverrät:Sieist
es gewohnt, dass ihreBesucher in diesem
Prenzlauer-Berg-Umfeld etwas anderes er-
warten. Also mindestens ein Loftambiente
im aufmöbliertenIndustrie-Chic, das sich
im Hinterhof auftut.Dasgibt es aber nicht.
Nureinen Lagerraum imKeller.Willmann
sagt: „D averanstalten wir auch manchmal
unserKreativ-Chaos.Ansonstenräumenwir
die Computer vonunseren Tischen, wenn
wirPlatzbenötigen,umetwaanneuenFor-
menzuarbeiten.“
DieseFraukannzupacken.Undesg ehört
offensichtlichzuihrenherausragendenCha-
rakterzügen, denBlick fürs Wesentliche zu
bewahren,wennandereMenschensichver-
zettelnodersichingedanklichenAusschwei-
fungenverlieren.Esliegtgeradeeinmalfünf
Jahrezurück,dassHanneWillmannihrStu-
diumanderBerlinerUniversitätderKünste
abgeschlossen hat.Siehat sich danach un-
mittelbar alsProduktdesignerin selbststän-
dig gemacht, in ihrem jetzigen, eigentlich
längstvielzukleinemStudio.
Beider Möbelmesse„imm cologne“ An-
fang desJahres in Köln präsentierteHanne
WillmanngleichsechsNeuheitenundunter-
mauerte damit ihrenStatus: alsweiblicher
Jung-Star der deutschen Produktdesign-
Szene ,dieansonstenvonMännernwieKon-
stantin Grcic, Stefan Diez oder Sebastian
Herkner dominiertwird. Schon 2017 wurde
dieinderniedersächsischenKleinstadtFrie-
soythe aufgewachsene Ingenieurstochter
mit dem „GermanDesign Award“ ausge-
zeichnet, und seitdemverläuft ihreKarriere
steilnachoben.
Willmann entwirft Lampen, Geschirr,
Stühle,Regale,BettenoderBad-Accessoires.
Siearbeitet als Kreativ-Direktorin für das
UnternehmenInterlübke,ihr Repertoir eer-
weitertsichinimposantemTempo.
EinBlickfangbeimKölnerBranchentref-
fenwardieLiegemitdemNamen„Charpai“,
dieWillmannfürdieMarkeSchönbuchent-
wickelthat.AlsCharpaisbezeichnetmanin
IndienflachelänglicheGestelle,dieinvielen


HäusernzumalltäglichenInventargehören.
Siesind schnell zuverrücken,werden zum
Ausruhenbenutzt,dienenaberauchalsAb-
stellfläche.HanneWillmannhatdieseleicht-
füßige Flexibilität in eine eigene Ästhetik
transformiert.Entstanden ist so einTages-
bett, das ohnehin starkimTrend liegt und
hier durch eine besonderepuristischeEle-
ganzbesticht.Dieflachen,strapazierfähigen
Kissen, farblichvariabel, machen imHand-
umdrehen aus einem Schlaflager eineSitz-
reihe,einestilvolleBücherablage,einindivi-
duelleswohnlichesUpsetting.
IhrDesignsei„vorallemsehrclean“,sagt
sie.„Ichstrebe eine große Klarheit an und
setztesiemitvielLeidenschaftimDetailum.
ImIdealfallwirkenmeineProduktesehrhar-
monisch, während auf dem zweitenBlick

Selbstbewusstsein und Zielstrebigkeit
warenbeiHanneWillmannfrühausgeprägt.
Sieerzählt vonihren Erfahrungen imDe-
signstudium, das mehrheitlichFrauen ab-
schließen,diesichaufdemMarktdannaber
wenigerdurchsetzenkönnenalsihremänn-
lichen Kollegen:„Während sich die meisten
anderenStudentinnen eher aufs Aktzeich-
nen freuten, habe ich damals dasHauptse-
minar ,Technologie undKonstruktion‘ ge-
wählt–eineklar eMännerdomäne.“
Holzstemmen,flexen,handfesteMecha-
nik–dashabesie„alsKraftanstrengung,aber
auch großeBereicherung“ empfunden.Da-
beiseienFrauentechnischnichtwenigerta-
lentiert, davon ist Willmann überzeugt:
„Abe rmanmusssichauchtrauen,Klischees
zuüberwinden.“
DassHanneWillmannschonalsKindsol-
che Barrieren nicht kannte,lag starkamEl-
ternhaus.„AlsIngenieurfürAnlagentechnik
hat meinVater all seine Kinder gleicherma-
ßen gefördert“, erinnertsie sich. „Wenn
meine Brüder mit LegosteinenihreSchiffe
bauten,habe ich selbstverständlichmitge-
macht.“Lächelndfügt sie an: „Allerdings
habeichauchschongernedieKajütenein-
gerichtet.“ IhrerkunstaffinenMutter habe
sie beimRestaurieren alter Möbel geholfen:
„Insofernführe ich meine Begabungen
heutewohlganzgutzusammen.“
Während in SkandinavienProdukt-Desi-
gnerinnen im Premium-Segment eine
Selbstverständlichkeitsind, ist Hanne Will-
mann im deutschenMarktnochimmer die
große Ausnahme.Das habe ihr zweifelsfrei
geholfen,sichdurchzusetzen,undWillmann
nennt zwei Frauen, die sie starkgefördert
hätten: Carolin Sangha, die Kreativ-Chefin
vonSchönbuch, und Angela Schramm,
Mitinhaberin des Familienunternehmens

Uwe Killingträumtseit langem von
einer Tagesliege, die nichtdanach
aussieht.Endlichwurdeer fündig.

Schramm.AlsJung-Designerinhabesieei-
nenEntwurfandenBettenherstellerge-
schickt:„Angela Schrammhatnachzwei
Stundengeantwortet:,Dasfindenwirgut
undwollenesmitihnenmachen.‘Hierausist
schließlich unseresehr fruchtbareZusam-
menarbeiterwachsen.“
WeiblichesDesign?EsisteinAttribut,das
für Hanne Willmann keineRelevanz hat.
„Natürlich gibt esUnterschiede imGestal-
tungsprozess,beispielsweise wuchtig und
massiv imGegensatz zu einer feinerenGe-
staltung“,sagtsie,„dochesstörtmich,dass
mirdas Attributfemininmeistensdannzu-
geschriebenwird,wennder Betrachter weiß,
dass es eineFrau gemacht hat.Genau das
möchte ich gerne aufbrechen.“In einem
Vorstellungsgespräch bei einemKunden sei
sievorJahreneinmalmitdemSatzkonfron-
tiertworden: „Wie wäreesdenn, wenn Sie
erst mal mit einem Accessoireanfangen?“
Willmanns Reaktion war ebenfalls eine
Frage:„IstdasbeiIhnengenerellso,dassdie
Männer fürsGroße zuständig sind und die
FrauendieVasengestalten?“
Neben ihremComputer liegen mehrere
Bücher,esi st die frisch eingekaufte Lektüre
fürsWochenende.ObenaufliegtderRoman
„HundertJahreEinsamkeit“ vonGabriel
GarcíaMárquez.Willmannsagt:„AmKamin
Belletristiklesen,meditieren,gutessen,mit
meinemMannZeitverbringen–dasbrauche
ichals Ausgleich,sonstwürdeichimJobam
Raddrehen.“ EinBuchüber Design findet
sichnichtimStapel.

Pur,aber bitte mitFarbe:
die Liege „Charpai“ und
weitere Entwürfe von
Hanne Willmann
©SCHÖNBUCH 2020 THOMAS WIUF (2)

Die große Klarheit


HanneWillmann


beliefertvonihrem


Design-Studioin


PrenzlauerBerg


internationale


Design-Markenmit


ihrenEntwürfen.


EinAtelierbesuch


VonUweKilling


Sorgt für „positive Irritationen“: die Berliner Desi-
gnerin Hanne Willmann. WWW.THOMASWIUFSCHWARTZ.COM

dannkleine,positiveIrritationeneineRolle
spielen.“Dazupasst,dassdiesichtbarauch
modischversierteDesigneringerneOveralls
trägt,beiunseremTreffenineinerschwarzen
Variante aus elegant fallendem Stoff, die
Hosenbeine weit geschnitten. Es ist die
Symbiose aus Arbeitskleidung, Außenwir-
kungundsensiblemStilempfinden.
Im Regal nebenWillmanns Schreibtisch
steht eineVase,die Aufmerksamkeit erregt,
weil das wuchtigeGefäß auf einem fragilen
Glassockel fußt.Daslässt denverwendeten
Beton geradezu schwebendvomBoden ab-
heben. HanneWillmann fertigte das Objekt
nochwährenddesStudiumsundweckteda-
mit dieNeugierde des dänischen Labels
Menu. DieVase steht somit auch für ihren
FrühstartinsUnternehmerische:„Wennich
etwasSchönesschaffe,möchteichauchdar-
überreden,esletztlichvermarkten“,sagtsie.
ZudemhatteichsicherauchdasGlück,dass
esimdeutschsprachigenRaumimmernoch
kaum eigenständigeweibliche Produkt-De-
signer gibt.So haben sich auch dieMedien
vonAnfanganstarkfürmichinteressiert.“
DieZusammenarbeitmitdenDänentrug
dazubei,dassdenWillmann-Produktenan-
fangs oft dasEtikett „NordicStyle“ ange-
hängtwordenist.DochihreklareFormspra-
che und ihreVorliebe fürNaturmaterialien
verdichtensichzueinemeigenenStil,dersi-
chervonihrennorddeutschenWurzeln,aber
genauso starkvom Bauhaus und derMo-
derneder1920er-Jahregeprägtist.Vorallem
erweitertWillmannsDesignstetigseinVoka-
bular.Siesagtselbst:„Anfangswarichmini-
malistischer.DochichhabedasGefühl,dass
meine Entwürfe gerade etwasverspielter,
opulenter und auch bunterwerden. Es gibt
eingewachsenesSelbstvertrauen,jetztnoch
mehrdasabzurufen,wasinmirsteckt.“
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