Leben
DreiIndoor-Bewegungsspiele–undzumFrühlingsbeginn:
wasder UnterschiedzwischenWetter und Klimaist
DER STANDARD FÜR KINDER
SechsTipps,wie man die Krise
besser überwindet
ÄNGSTE BESIEGEN
Seite 25 Seite 24
SA./SO., 21./22.MÄRZ2 020 23
Illustration: Fatih Aydogdu
Die Schulen sind zu, die Kinder zu Hause, dazuHomeoffice. Seit einerWocheversucht auch dieAutorinHeidi List,
so etwaswie Normalität in den Alltag zu bringen. EinTagebuch über Ängste, Scheitern–und erneutesAufrappeln.
Frühlingshaft
E
sist erste Montag der
Coronavirus-Krise. Viele
Geschäfte bleiben zu. Bei
uns herrscht Ferienstim-
mung. Die Schulen sind nämlich
auch geschlossen. Die Buben, sie
sind elf und fast acht, sind im
Glück. Ich mache ihnen Früh-
stück, lächle, stehe vor ihnen und
versuche ihrem Geplapper zu fol-
gen. Aber eigentlich ist im Kopf
nur Watte. Was passiert hier? Wie-
so sind die Kinder da? Was für ein
Virus? Wird jemand erkranken,
den ich kenne? Gar sterben? Ich
schieleaufmeinHandy.Estrudeln
Nachrichten ein. „Bitte um Rück-
ruf!“ steht da. Oder „Sendung fällt
bis auf weiteres aus“. „Ichbin ge-
feu ert.“ Okay. Ich lausche weiter
den Erzählungendes Elfjährigen.
Er ist vom Skikurs zurück, wohl
dieletzteTrancheanSchülern,die
das noch geschafft hat. Ich bin er-
staunt, wie viel man zugleich den-
kenkann.„Wielangewirdsichdas
mit dem Geld ausgehen?“ „Ich
mussmeinenElternsagen,dasssie
daheimbleiben sollen!“ und „Wo-
her zum Geier bekomme ich jetzt
die Info, was die Kinder für die
Schule zu tun haben?“
Später sitzen die Kinder vor
ihren Arbeitsblättern. Die Schu-
len haben sie in einem Kraftakt
überdasWochenendezusammen-
gestellt und deppensicher an uns
Eltern vermittelt. Ich versuche,
mich hinzusetzen und meine
Mails zu ordnen, eine To-do-Liste
zu schreiben. Vertage es. Ich ver-
rechne mich prompt bei der Kon-
trolle der Mathematikeinheit des
Kleinen. Er macht mich darauf
aufmerksam. Der Große teilt das
via Whatsapp seinem Freundes-
kreis mit. „LOL“, „LOL“, „LOL“,
lässt er mich lesen. Der Rest des
Tages vergeht ausschließlich mit
Sondersendungen schauen und
den Kindern zu viel Zeit vor dem
Computer erlauben. Ich höre ver-
schiedene Playlisten von österrei-
chischen Künstlern durch, die
kursieren. Großartig. Alle arbeits-
los jetzt. Ich nehme mir vor, nach
dem Spuk mit den Kindern auf
viele Konzerte zu gehen.
Tag2/Dienstag
Der Vater der Kinder ruft an und
sagt, er habe ab sofort nichts mehr
zu tun. Er ist Kabarettist. Alle
Theater sind zu. Die Kinder johlen
begeistert. Ich versuche sie in eine
Art Stundenplan hineinzudiszi-
plinieren. Ich bin stolz auf mein
Doris-Day-mäßiges Homeschoo-
ling mit Arbeiten daneben, wäh-
rend die Wäsche trocknet und die
Gemüsesuppe simmert. Bleibe
dann prompt für drei Stunden in
den sozialen Medien hängen, es
kursieren Witzchen, ein Mann
prostet sich selber dreimal im
Spiegel zu. Ein anderer spielt mit
dem Staubsaugerroboter Schach.
„Freut euch auf die Zeitumstel-
lung,dakönntihreineStundelän-
ger zu Hause bleiben.“ Ich denke
an die Familien, in denen es jetzt
schon kracht. Jetzt, wo allen das
Leben genommen ist, dass sie so
schön ablenkt, muss sich wohl je-
der anschauen, wo er gerade ist.
Und mit wem. Jeder. Ein Auftrag-
geber teilt via Whatsapp mit, dass
er jetzt duschen geht. Ich freue
mich über die Nähe. Wie eigen-
artig. Die Kinder gehen in den Hof
Fußball spielen. Sie rätseln, ob die
Nachbarkinder mitspielen kön-
nen. Deren Mütter beschließen,
dass alle für sich spielen sollen.
Sechs Kinder, drei Bälle, streng
nach Familien aufgeteilt.
Ich gehe einkaufen. Im Geschäft
stelle ich fest, dass das Gemüse
aus ist. Es ist vier Uhr nachmit-
tags, und es gibt nur mehr Karfiol.
Keine Karotten, keine Kartoffeln,
nicht einmal die Äpfel, die nie
nach was schmecken. Der Einkauf
gestaltet sich als Eiertanz, denn
alle beharren auf ihren Meter Ab-
stand. Eine Freundin ruft an und
sagt, sie schickt dann später ihre
Tochter vorbei, der ist fad. Ich leh-
ne ab. Sie ist beleidigt. Ich komme
mit Minipizzas und Küchenrollen
nach Hause. Klopapier war aus.
Daheim scrolle ich durch die
Nachrichten. Der amerikanische
Präsident sagt konsequent „chi-
nese virus“, die Briten und die
Holländer setzen auf „Herdenim-
munität“. In Griechenland brennt
ein Flüchtlingslager. Italien ist im
Ausnahmezustand. In Österreich
wird zu sterben begonnen. Die
Kinder keifen sich an. Ich verdon-
nere sie zu zehn Liegestützen pro
Schimpfwort, damit haben sie
nun zu tun. Meine Freundin ruft
an und weint. Sie muss ihre Mit-
arbeiterinnen zur Kurzarbeit an-
melden. Sie hat Existenzängste.
Wir stellen fest, dass es tröstlich
ist, dass es allen so geht. Es fällt ir-
gendwie die Scham weg. Man hat
nicht versagt, man ist nicht
schuld. Es ist nur furchtbar. Wir
überlegen, ob wir uns im Wiener-
wald mit unseren Hunden treffen
können, mit viel Abstand.
Tag3/Mittwoch
Alle drei Tage verdoppelt sich
die Infiziertenzahl, ist zu lesen.
Das sind in zwei Wochen über
10.000 Kranke. Ich denke nach,
was jetzt das Wichtigste ist. Nie-
mand soll krank werden. Ich den-
ke nicht weiter. Das hat keinen
Sinn. Den Kindern gebe ich schul-
frei, die Druckerpatrone ist aus,
und ich habe keine Ahnung, wo
ich eine herkriegen soll. Sie ma-
chen lauter Blödsinn, vorrangig
vor den Computern. Ich versuche
alles an Konsequenz zusammen-
zukratzen und begebe mich in
eine Skype-Konferenz, nach der
mehr Fragen offen sind als vorher.
Aber es ist nett zu sehen, wie die
Kollegen so wohnen.
Tag4/Donnerstag
Wir haben in der Früh geplankt,
für die Muskeln. Ich wäre beinahe
nicht mehr aufgekommen,ich ma-
chedasjanormalerweisenicht.Der
fast Achtjährige gibt mir eine lange
Liste mit Namen von Kindern, die
er für Samstag zu seiner Geburts-
tagsparty einladen möchte. Ich zie-
he ihn auf meinen Schoß und er-
kläre noch einmal, dass er diesmal
ein kleines Fest haben wird. Sein
Papa wird sein Lieblingsessen ko-
chen. Und sein Bruder ihm eine
Torte backen, er kann sich wün-
schen, welche. Geschenkegibt es
natürlich. Und wir werden die
ganze Wohnung dekorieren. „Kei-
ne Omi?“, fragt er. Nein, diesmal
nicht, aber im Sommer dann ma-
chen wir ein riesiges gemeinsames
Fest. „Dann bleibe ich so lange sie-
ben, bis die Omi mitfeiern kann“,
sagt er. Er weint nicht. Ich weiß
nicht genau, was in ihm vorgeht.
Wie ist das, wenn mit sieben alles
anders ist. Daheim und weltweit?
Wir basteln ein wenig an der Deko
für die Wohnung, aber so richtig
Lusthatniemandvonuns.Dasliegt
nicht an der Stimmung. Wir bas-
teln einfach nicht gern. Die Putz-
frau ruft an, sie kommt nichtmehr.
Auf Facebook wird darauf hin-
gewiesen, dass die Herren Shake-
speare und Beethoven in Zeiten
von Seuchenquarantäne Meister-
werke geschaffen haben. Newton
hat die Gravitation entdeckt. Ich
erzähle den Kindern von dem
österreichischen Wissenschafter,
der an einem Medikament arbei-
tet, das gegen das Virus helfen
soll. Der Kleine fragt, ob der Adolf
Einstein heißt. Ich kann endlich
lachen. Im Fernsehen zeigen sie
Bilder von Fischen, die man in Ve-
nedig wieder im klaren Wasser er-
kennen kann. Sieht aus, als könn-
teninEuropadieKlimazieleheuer
erreicht werden. Gut.
18 Uhr. Ich mache das Fenster
auf. Wir warten gespannt, was
passiert. Es soll geklatscht wer-
den, als Dank an die Arbeiter in
den Systemerhalterjobs. Oder mu-
siziert. Alles bleibt ruhig. Fad. Ir-
gendwer hat geschrieben, es sind
meist die Berufe, die immer den
Ruf hatten, man müsse sie ergrei-
fen, wenn man nichts Gescheites
gelernt hat. Was wären wir jetzt
nur ohne sie?
Die Nacht auf Freitag endet
abrupt. Es ist vier Uhr früh. Ich set-
ze mich auf und hab’s auf einmal
verstanden. Das ist jetzt so. Das
passiert wirklich. Ich muss die
Sorgen wegdrücken, für die Kin-
der da sein. Keine Artikelmehr
übe rPrognosen, über die Deut-
schen, die keine Sanitätsware
nach Österreichdurchlassen. Wo
bleibt Europa? Die Solidarität?
WaspassiertmitdensyrischenGe-
flüchteten an der Grenze zu Grie-
chenland. In den Lagern auf Les-
bos? Tirol hat zu spät reagiert! Je-
des für sich ist es eigentlich wert,
Thema für tagelange Twitterstür-
me zu sein. Immer noch kenne ich
keinen Erkrankungsfall persön-
lich. Weil jetzt geht es ja erst rich-
tig los, sagt man. In der Lombardei
holt das Militär hunderte Tote ab,
weil keiner kommt, um sie zu be-
erdigen. Wir sind zwei Wochen
hinter den Italienern. Ich gehe im
Wohnzimmer auf und ab, bis ich
mich besser fühle. Der Hund bellt
im Schlaf. Es wird Tag.
Tag5/Freitag
Es ist Abend.Den ganzen Tag
vergeigt. Ich kapituliere. Ichbin
ganz ruhig. Ich nehmemir jetzt das
Privileg und genieße dieZeitmit
den Kindern.Und aus. Ein Ge-
schenk.Ich sitzeamBettder Bu-
ben.DerKleineschläftmitGeburts-
tagskrone, damiters ie gleich in der
erstenSekunde,wen neraufwacht,
aufdem Kopfhat.Eswirddie größ-
te kleinsteachteGeburtstagsparty
werden, schöner und liebevoller
als alles auf der Welt. Es wirddas
Fest sein, von demwir bis ans Ende
unserer Tagesprechenwerden.
JetztschließeichnocheineLebens-
versicherung ab undpumpe noch
irgendwenumGeldan.Wirdschon
werden. Und danngeheich schla-
fen.Happy Birthday,Toni.
Leben
Plötzlich sitzen alle
zu Hause. Die Kinder
sind verunsichert,
die Eltern auch.
Trotzdem muss so
etwas wie Normalität
in den Alltag kommen.
Foto: Getty Images