Die Welt - 20.03.2020

(C. Jardin) #1
VVVerdientes erdientes
Ausruhen.
Eine Krebstherpie
iiist anstrengend. st anstrengend.
Sie kann bis
zu zwölf Monaten
dauern

J


uri ist ein freundlicher, sanf-
ter Junge mit warmem Begrü-
ßungslächeln auch für Frem-
de. Eine Chefärztin steht
plötzlich in seinem Zimmer,
trägt einen Mundschutz und sucht das
Gespräch mit Jonas Szymanski, seinem
VVVater. Jonas Szymanski trägt auch einenater. Jonas Szymanski trägt auch einen
Mundschutz und schläft im Bett neben
seinem Sohn. Es sei denn, die Mutter
schläft dort. Die Eltern wechseln sich ab.
Sie wollen rund um die Uhr bei ihrem

leukämiekranken Kind sein. Juri ist sie-
ben, liegt neben seinem Löwen und be-
kommt alles, was in seinem Zimmer ge-
sprochen wird mit. Er darf das Zimmer
nicht verlassen. Sein Immunsystem ist
angegriffen. Er lugt über seine Bettde-
cke. „Ich möchte wieder gesund wer-
den“, sagt er, dann schließen sich für ei-
nen halbwachen Schlaf seine langen,
dunklen Wimpern über den Augen. „Die
Wimpern hat er von seiner Mutter“, sagt
Juris Vater.
„„„Wir haben viel Glück“, sagt Juris Va-Wir haben viel Glück“, sagt Juris Va-
ter auch. „Wir wohnen hier in der Nähe,
schaffen es schnell in die Klinik. Wir ha-
ben Großeltern und Freunde, die uns
unterstützen. Frisches Essen für Juri
vorbeibringen, weil dessen Appetit
durch die Chemotherapie gelitten hat.“
Juri soll sein Gewicht halten.
AAAuf dem Fensterbrett im viertenuf dem Fensterbrett im vierten
Stock der Kinderonkologie der Charité
Campus Virchow-Klinikum steht eine
Armada kleiner Raubtiere, am Fenster
hängen die Briefe seiner Mitschüler:
„Lieber Juri, ich wünsche Dir, dass Du
bald gesund wirst“, schreibt Nikolas.
Professor Angelika Eggert ist eine
Spitzenkraft in ihrem Fach. „Es gibt so
viele neue Chancen in der Krebsthera-
pie, Überraschungen, die vor fünf Jahren
noch niemand erwartet hat“, sagt die
Klinikdirektorin der Kinderonkologie im
Berliner Bezirk Wedding. „Als Universi-
tätsklinik ist es unsere Aufgabe, erfolg-
versprechende Therapien zu untersu-
chen und sie dann in der Breite bereitzu-
stellen.“ Die Krebsbehandlung basiert
auf wissenschaftlich abgesicherten The-
rapieverfahren – und dauert in der Regel
zzzwischen drei bis 12 Monate. Etwa 120wischen drei bis 12 Monate. Etwa 120
Kinder und Jugendliche werden an der
Klinik für Pädiatrie, die seit 2017 als On-
kologisches Fachzentrum zertifiziert ist,
pro Jahr behandelt. Die Stammzellen-
transplantation bildet mit rund 40 bis 50
Transplantationen jährlich einen
Schwerpunkt der Klinik.
Wir könnten viel mehr tun“, ist Ange-
lika Eggert sich sicher. Nur das passende
Personal fehle. Auf der Kinderonkologie
brauche man erfahrene Kinderkranken-
schwestern mit tiefem Wissen in Theo-
rie und Praxis, die sich auch mit den Ne-
benwirkungen der Behandlung ausken-
nen. Aber wie findet man die? „Freie Ver-
mittler bieten bessere Löhne und Ar-
beitszeiten, weniger Früh- und Nacht-

dienste und werben auch schon mal Per-
sonal ab, das bei uns ausgebildet wurde.“
ZZZwei Kinderkrankenschwestern, diewei Kinderkrankenschwestern, die
selbst geduldig die Neuen anlernen, zu-
sätzlich zu allen sonstigen Arbeiten, be-
stätigen das. „Hier ist mein zu Hause“,
erzählt eine. Das hier sei eine echte Auf-
gabe, erzählen die jungen Frauen, wäh-
rend ein kleiner Junge auf Socken seiner
Mutter folgt und ein Baby hinter der
Glaswand in seiner Box von zwei
Schwestern versorgt wird. „Ich bin die,
die pikt“, erzählt eine der Schwestern,
„das merken sich Kinder.“ Alles dauert
doppelt so lange wie bei Erwachsenen.
Und welches Kind liebt schon das kalte
Gel auf der Haut, das beim Ultraschall
aufgetragen werden muss? Auch Blut ab-
nehmen dauert dreimal länger. Hinzu
kommen sorgfältige Übergaben. Im
Frühdienst sind in der Regel vier
Schwestern auf der Station, im Spät-
dienst drei und nachts zwei, bei 16 Pa-
tienten. Kind und Eltern können jeder-
zeit klingeln.
Ohne ein gutes Team, Rückhalt durch
Freunde und Familie und positive Rück-
meldung durch Kinder und Eltern sei
dieser Beruf nicht machbar, sagen die
Schwestern. Es gibt die älteren Kinder,
die nach der Entlassung vorbeischauen,
weil sie die Station wegen des langen
AAAufenthalts als eine Art Zuhause emp-ufenthalts als eine Art Zuhause emp-
fffinden. „Da kommen Glücksgefühle“,inden. „Da kommen Glücksgefühle“,
sind sich die Schwestern einig.
„„„Wir können über 80 Prozent unsererWir können über 80 Prozent unserer
Patienten helfen,“ weiß Angelika Eggert.
Trotzdem schwebt über jeder erfolgrei-
chen Behandlung die Angst vor einer
RRRückkehr, einem Rezidiv.ückkehr, einem Rezidiv.
Für Eltern steht die Frage im Raum:
„Hätten wir etwas besser machen kön-
nen? Aber wir hatten ja keinerlei Erfah-
rung. Es ist ein Gefühl des Ausgeliefert-
seins“, erzählt Juris Vater.
„Am Anfang haben wir nur von Nacht
zu Nacht gedacht,von Tag zu Tag, jetzt
denken wir an Juris Geburtstag in die-
sem Monat. Den wollen wir feiern. Und
wir hoffen, dass Juris Schwester als
Transplant-Spenderin infrage kommt.
Das wollen wir testen.“ Heute wollte Ju-
ris Großvater vorbeikommen, Süßes
bringen, aber er hat Husten und darf
den Enkel nicht anstecken. „Vermutlich
sind wir unserem Sohn jetzt näher, ver-
bringen mehr Zeit mit ihm als ohne
Krankheit“, überlegt Jonas Szymanski.
Berührung, Augenkontakt, sich etwas
erzählen, all das ist ja möglich. Bis jetzt
hat sein Arbeitgeber und auch der sei-
ner Frau auf die neue Lebenssituation
Rücksicht genommen. „Irgendwann
werden wir uns aber etwas Neues über-
legen müssen“, sagt der Software-Con-
sultant.
WWWenn Juri sich nicht zu schwachenn Juri sich nicht zu schwach
fffühlt, kommt ein Lehrer zum Einzelun-ühlt, kommt ein Lehrer zum Einzelun-
terricht bei ihm vorbei. Auch Musik- und
KKKunsttherapeuten stehen zur Verfü-unsttherapeuten stehen zur Verfü-
gggung. Für Ablenkung und Unterhaltungung. Für Ablenkung und Unterhaltung
ist in der Klinik gesorgt. Auf dem Flur
hat ein Kind ein Schaukelpferd aus dem

Spielzimmer gezerrt, von den Wänden
schauen blaue Kühe. Überall lenken
Spielsachen, Fotos und Malereien die
Kinder von ihrer Krankheit ab. Sie spie-
len und lachen, gleichzeitig wirken die
kleinen Patienten seltsam erwachsen
und nachdenklich.
„Die Chemotherapie ist bei Kindern
und Jugendlichen sogar stärker als bei
Erwachsenen“, weiß Angelika Eggert.
Ihr Körper verkrafte das besser, weil die
Zellen sich schnell teilten.
„Unser Spektrum ist sehr groß. Wir
behandeln Kinder und Jugendliche bis
zum 18. Lebensjahr. Von der akuten Leu-
kämie und genetischen Bluter-
krankungen bis zu Hirntumoren. Wir
halten alles vor.“ Das geschehe in enger
AAAbsprache mit dem Klinikum Buch. Im-bsprache mit dem Klinikum Buch. Im-
mer mit der Frage, welche Patienten in
welchem Setting am besten aufgehoben
seien. Nicht immer rechne sich das.
AAAuch die Frage, wer zusammen in einuch die Frage, wer zusammen in ein
Zimmer gehe, sei nicht immer einfach zu
beantworten. „Familien und Kinder
müssen passen.“
2 4 Ärzte, 25 Pflegekräfte und sechs
Mitarbeiter im psychosozialen Dienst
arbeiten auf der Kinderonkologie, hinzu
kommen die unentbehrlichen Ehren-
amtlichen. Eigentlich stehen 19 Betten
zur Verfügung, drei werden wegen Pfle-
gekräftemangel nicht belegt. Allein bei
Knochenmarktransplantationen bleiben
die Kinder acht Wochen in der Klinik.
Infusionen, Überwachung, Piksen, das
Arbeitspensum von Ärzten und Schwes-
tern ist enorm. Nicht so ihr Gehalt. „Je-
mand, der Strafzettel an nicht korrekt
parkende Autos heftet, verdient ähn-
lich“, betonen die Kinderkranken-
schwestern. „Es würde schon helfen,
wenn wenigstens die Wochenend- und
Spätdienste steuerfrei wären“, findet
Angelika Eggert.
Therapien können von sechs Wochen
bis zu einem Jahr dauern. Dazwischen
darf der kleine Patient, wenn alles gut
läuft, nach Hause. Doch davor liegen vie-
le Untersuchungen: Ein Kind kommt mit
einer Verdachtsdiagnose, es folgen eine
Ultraschalluntersuchung und eine Biop-
sie. Es wird geschaut, ob es schon Metas-
tasen gibt.
Angelika Eggert findet ein aufmun-
terndes Wort für jede kleine Patientin
und jeden Patienten. Einem Jungen in
der Tagesklinik macht sie Mut. Seine
Körpergröße soll gemessen werden.
AAAuch das Körpergewicht spielt eine zen-uch das Körpergewicht spielt eine zen-
trale Rolle. Chemotherapie, Strahlen-
therapie, alles wird individuell festge-
legt. Auf Ärzte, Pflegekräfte und Eltern
stürzt bei all den Untersuchungen viel
ein. Eltern merken plötzlich, dass sie ihr
Kind nicht mehr beschützen können.
Kein Tag ist wie der andere in seinen He-
rausforderungen. „Es gilt, überforderte
Eltern mithilfe von Familientherapeuten
zurück ins Boot zu holen. Diese Eltern
halten den Kontrollverlust nicht aus und
suchen in der Klinik Schuldige für ihr
Schicksal“, sagt Angelika Eggert. Die Kli-

nik hilft auch bei der Kinderbetreuung
fffür Geschwister und anderen logisti-ür Geschwister und anderen logisti-
schen und bürokratischen Hürden.
AAAuch mit der kliniküblichen Transpa-uch mit der kliniküblichen Transpa-
renz in Bezug auf die Schwere der Er-
krankung kommen nicht alle Eltern klar.
Es passiert, dass Väter mit ausländi-

schen Wurzeln nicht möchten, dass die
Kindsmutter die ganze Wahrheit über
die Krankheit erfährt. Interkulturelle
Reibungsverluste sind programmiert.
Dass die Kommunikation nicht an man-
gelnden Sprachkenntnissen scheitert, ist
den Übersetzern zu verdanken. In einer

Ecke der Station hängt eine weiße Lam-
pe. Daneben sind zwei Rosenkränze,
vom Papst gesegnet. Die Lampe wird an-
geknipst, wenn eine Kind gestorben ist.
Sie blieb an diesem Tag bis zum frühen
Nachmittag ausgeschaltet. Ein guter
Tag, bis jetzt.

VON ANKE-SOPHIE MEYER

Montags kommen


die CLOWNS


Eine Krebs-Diagnose bei Kindern ist ein Schock.


Das Leben der Familien gerät oft für lange Zeit


aus den Fugen. Ein Besuch in der Kinderonkologie


der Berliner Charité


GETTY IMAGES/CULTURA RF

/FRANK AND HELENA

Anspruchsvolles


Fernsehen erkennt


man an der Farbe.


ZDFmediathek

WR 5


20.03.20 Freitag,20.März2020


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Freitag,20.März2020

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DIE WELT FREITAG,20.MÄRZ2020 MEDIZIN DER ZUKUNFT 5


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