Berliner Zeitung - 20.03.2020

(Darren Dugan) #1
Berliner Zeitung·Nummer 68·Freitag, 20. März 2020–Seite 11**
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B e rlin


Bewegung:AuchinCorona-ZeitenkannmangemeinsamSportmachen Seite 12


Stillstand:DieS-BahnschränktihrAngeboteinundlässtZügestehen Seite 14


NACHRICHTEN


Krankenhäuser und Heime
suchenFreiwillige

DieBerlinerKrankenhäuserrufenan-
gesichtsderzuerwartendenhohen
PatientenzahlenwegendesCorona-
virusdieBevölkerungzuUnterstüt-
zungauf.„UmdenhohenBedarfan
FachkräftenfürdieVersorgungvon
Covid-Patie ntenzugewährleisten,
wollenwiralleMöglichkeitennutzen,
dasPersonalindenKrankenhäusern
zuverstärken.AuchdiePflegeein-
richtungenmüssenpersonellunter-
stütztwerden,umd ieBewohnersi-
cherbetreuenzukönnen“,teilteGe-
schäftsführerMarcSchreineram
Donnerstagmit.Berlinerinnenund
Berlinermiteinermedizinischen
Ausbildungwerdengebete n,sichper
Mailan KrankenhäuseroderPflege-
einrichtungenzuwenden.Inder
E-MailsolltenallewesentlichenDa-
ten–Name,Geburtsdatum,An-
schrift, QualifikationundBerufser-
fahrung–aufgefüh rtsein,heißtesin
derMitteilungderKrankenhausge-
sellschaftweiter.Derweilsprachsich
dieCDU-Fraktiondafüraus,dieAb-
schl üsse vonÄrztenundPflegekräf-
tenausdemAuslands ofortanzuer-
kennen.„GeradeinderCorona-Krise
brauchenwirjetztschnelleperso-
nelleVerstärkungausdemAusland“,
sagtedergesundheitspolitischeSpre-
cherde rCDU,Tim-ChristopherZee-
len. (dpa)

Bestimmte Geschäfte
dürfen auch sonntags öffnen

EinigeGeschäfteinBerlindürfenan-
gesichtsderhohenNachfragenach
LebensmittelnundHygieneproduk-
teninderCoronakriseabsofortauch
amSonntagöffnen–abernur von
bis18 Uhr.Esgiltaberalswahr-
scheinlich,dasssichnurwenigeEin-
richtungendaranbeteiligenwerden.
ÖffnendürfenamSonntagfortanLe-
bensmittelhändler,Getränke-und
Wochenmärkte,Sanit ärhäuser ,Dro-
gerien, ZeitungskioskssowieBau-
märkteundGeschäftefürdenTierbe-
darf,wiedieSenatsverwaltungfürAr-
beitundSozialesfestlegte.Diesgilt
vorerstbis19.April. (dpa)

Abiturprüfungen können
sich verschieben

Wegender Corona-Pandemiesind
dieSchulengeschlossen,auchAb-
schlussprüfungensindnichtimmer
wiegeplantmöglich.FürdieAbitur-
prüfungenkönnengenerellauchdie
Nachschreibterminegenutztwerden.
Dasteiltee inSprecherder Senatsver-
waltungfürBildungamDonnerstag
aufAnfragemit.„DieEntscheidu ng
tref fendiejeweiligenSchulleitun-
gen.“DaraufhättensichBerlinsBil-
dungssenatorinSandraScheeresund
BrandenburgsBildungsministerin
BrittaErnstverständigt. (dpa)

SchnellereVirus-Tests für
krankePolizisten gefordert

DieGewerkschaftderPolizei Berlin
(GdP)fordertbeschleunigteCorona-
virus-TestsfürerkranktePolizisten
undbestimmteandereBerufe .Ange-
sichtsder„absolutenAusnahmesitu-
ation“seiFlexibilitätimGesundheits-
systemgefragt,„sodassdieBeschäf-
tigtenindensystemrelevantenBe-
rufsgruppenbeivorliegenden
Krankheitssymptomenunverzüglich
aufdas VirusgetestetunddieseTests
ausgewertetwerden“,erklärteGdP-
LandeschefNorbertCioma. (dpa)

Problemfallpositiv


SchoneineinzelnerCoronafallkanninRegierungundParlamenteineKettenreaktionauslösen


VonElmar Schütze

D


iesmalistesnochgutge-
gangen.Michael Müller
istnichtmitdemCorona-
virus infiziert. DerTest,
den derRegierende Bürgermeister
am Mittwoch hatte machen lassen,
fiel negativ aus,entsprechend groß
war die Erleichterung imRoten Rat-
haus.EinanderesErgebnishätteeine
Kettenreaktionauslösenkönnen.
Angesichts derrasant steigenden
ZahlvonErkrankten,Infiziertenoder
nur Isolierten wirddie Frage immer
drängender,was passiert,wenn die
beidenwichtigstenSäulendespoliti-
schenLebensinBerlin–Abgeordne-
tenhausundSenat–gleichzeitigaus-
fallenineinerLage,ind ertäglichEnt-
scheidungen getroffenwerden müs-
sen. Noch vorein paar Tagen war es
leicht,einsolchesSzenariowegzuwi-
schen.UndselbstalsesamMittwoch
inden Bereichdesmöglichenrückte,
wurdeesignoriert.Geradeersthatten
sich Müller,weitereSenatoren sowie
Parlamentarier mit dem zwischen-
zeitlich positiv getesteten israeli-
schenBotschaftergetroffen.Plötzlich
warnichtklar,wersichangestecktha-
benkönnte.PlötzlichstanddieFrage
imRaum:Wasistwenn...?
Dasseikein Problem,erklärteGe-
sundheitssenatorin Dilek Kalayci
(SPD)nochamMittwochabenddem

RBB:„SelbstverständlichistderSenat
handlungsfähig.“Dasbleibeauchso,
wenneseinenPositiv-Testgibt.Man
könne auchTelefonkonferenz ein-
richten. Zudem verlaufe die Krank-
heitmeistrechtmilde,sod assder Be-
trof fenewohlweiterarbeitenkönnte.
Sicherlich können sich die elfSe-
natsmitglieder lange Zeit mittels
Technikverständigen,selbstwennsie
sichnichttreffendürfen.Dassetztal-
lerdingsvoraus,dass dies gesund-
heitlichüberhauptmöglichist.
BeimAbgeordnetenhausistesan-
ders.Est agtper Definitionöffentlich.
„Ein Parlament, zu dem es keine Öf-
fentlichkeit gibt, ist keinParlament“,
sagt Daniel Wesener,Parlamentari-
scher Geschäftsführer derGrünen,
unddamitfürdasFunktionierendes
HohenHausesmitzuständig.

NunistinderKrisederBegriffÖf-
fentlichkeit schon starkeingeengt
worden.DieFraktionen haben sich
darauf geeinigt, keine Gäste mehr in
den Plenarsaal zu lassen, um An-
steckungsrisikenzuminimieren.Ein-
zig Presse vertreter dürfen nochrein.
Dennoch droht demParlament der
Kollaps.LautLandesverfassungmuss
mehr als die Hälfte anwesend sein,
umbeschlussfähigzusein.Beiderzeit
160 Abgeordneten sind das mindes-
tens81.ObdasnächstenDonnerstag
erreichtwird,wenndieindieserWo-
cheausgefallenePlenarsitzungnach-
geholtwerdensoll, istnichtsicher.
Wasalso tun?Noch am Dienstag
war ein Vorstoß gescheitert, per eili-
gerVerfassungsän derungeinNotpar-
lament zu etablieren, das sehr viel
kleinerseinkönnte.EineMindestan-

zahlgibtesdabeiübrigensnicht.Ver-
fass ungsrechtler halten selbst eine
Zahl von30für ausreichend.Den-
noch gab es in allenFraktionenBe-
denkengegeneineVerfassungsände-
rungim Hauruckverfahren.AmEnde
wollte niemand eine dafür notwen-
digeZweidrittelmehrheiterzwingen.
Grünen-P olitiker Wesener gehört
zu den Skeptikern.„Es besteht keine
unmittelbareGefahr“, sagte er der
BerlinerZeitung.Dennochplädierter
füreineÄnderungderGeschäftsord-
nung desParlaments.Sol ieße sich
etwadasPairing vereinbaren.Dasist
in angelsächsischen Parlamenten
eineVerabredungdarüber,dassselbst
bei Personalknappheit die Mehr-
heitsverhältnisse gewahrtbleiben.
Bedeutet: Wenn bei einerFraktion
alsoein Drittelausfällt,lassendiean-
derenebenfallseinDrittelzu Hause.
ImAbgeordnetenhauskannsoein
Verfahren funktionieren.Beim Senat
muss nur einMitglied in der Lage
sein, „gegebenenfallsvomKranken-
bettausdieAmtsgeschäftezuführen
undUntersch riftenzuleisten,dienur
ein Senatsmitglied leisten darf“,
heißtesausderSenatskanzlei.

Das Berliner Abgeordnetenhaus: Im Landesparlament wurde offenbar bis Donnerstag nochkein Coronafall bei den Abgeordneten festgestellt. IMAGO IMAGES

VIERMAL POSITIV IM BUNDESTAG

Abgeordnetenhaus:Bisher
sind keine positiven Corona-
Fälle genanntworden. Ob es
bereits Kontaktpersonen
gibt, die zu Hause bleiben
müssen, ist unbekannt.

Bundestag:Mindestens vier
Abgeordnete sind positivge-
testetworden.Wieviele der
709 Mandatsträger in häus-
licher Isolierung bleiben
müssen, ist offen.

Parteien:In allen Fraktionen
aller Parlamentewerden
Kontakte stark reduziert.Te-
lefon- undVideokonferenzen
ersetzen regelmäßigeZu-
sammenkünfte.

Elmar Schütze
will bei der nächstenParla-
mentssitzunggenau zählen

Im Schutz der


Dunkelheit


S


eitgenaueinerWochebinich
jetztimHomeofficeundkannsa-
gen,dassdasehernichtsfürmichist,
jedenfalls auf Dauer.Gleichzeitig
wächstinunsallenjageradedieAh-
nung,dasssichdergegenwärtigeZu-
stand nochrecht lange hinziehen
könnte,nicht wahr?Keine schönen
Aussichten.
Sieben Tage haben genügt, um
mir dasGefühl zu geben,vonden
wichtigenDingen des Lebens abge-
schnittenzusein.TrotzInternetund
Dauerfernsehen.DasLeben nur zu
Hause zu verbringen, istMist. Ich
mussdazusagen,dassichdasHaus
in den letzten dreiTagen nichtver-
lassen habe,weil ich Husten und
Halsschmerzenhabe.Sehr wenig
Husten, nur ganz leichtesHalskrat-
zenund, nein, keinFieber.Ich bin
ziemlichsicher,dassichnureineEr-
kältunghabe.Abernatürlichgehöre
ichdamitnichtaufdieStraße.Soi st
ausdemHomeofficenuneineQua-
rantänegeworden.Ausunserem Rei-
henhaus inSteglitz derZauberberg.
Undaus mir ,der umtriebigenRe-
dakteurin,einejammerndeSofakar-
toffel.
Dabeihatteichmichindenletz-
tenJahrenoftdanachgesehnt.Nicht
jedeszweiteAbendessenmitderFa-
miliezuverpassen.MitdenKindern
zu diskutieren, ohne daran zu den-
ken,dassjetztalleeigentlichinsBett
müssen.Aber schon dasWochen-
endehatsichzähhingezogen.Mein
Arbeitsplatz ist dasFamiliensofa im
Wohnzimmer,ummöglichst keine
Live-Schalte imFernsehen zuver-
passen.MeinMannistLehrer,erv er-
sucht derzeit vomArbeitszimmer
aus per Mail und Telefon denKon-
takt zu seinen Schülernaufrechtzu-
erhalten.UnsereTeenagersöhnesky-
pen mit ihrenFreunden in ihren
Zimmern. Gnadeuns Gott,wenndas
Internetzusammenbricht!
Beiden gemeinsamenAbendes-
sen geht es meist darum, dass die
Jungsdas Hausverlassenwollenund
wirversuchen,siedaranzuhindern.
Ichvor allem,weil ich neidisch auf
siebin.Esistnunmalso,dassunfrei-
willige Isolation nicht immer das
Beste im Menschen zumVorschein
bringt. DerKompromiss dieserDis-
kussionen ist meist, dass dieJungs
imDunkelnrausgehenundzuallen
Fremden Abstand halten.Wirsind
eineVampirfamiliegeworden.
SeitMittwochwissenwir,dasswir
nunauchinderRedaktioneinenCo-
rona-Verdachtsfall haben.Darüber
hat uns diePersonalabteilung per
Mail informiertund nachgefragt,
werengeren Kontakt mit demBe-
troffenen hatte.Was ein engerer
Kontaktist,wirddabeivomBundes-
gesundheitsministerium sehr nüch-
terndefiniert: persönlicheGesprä-
che vonetwa 15 Minuten und/oder
vondemBetroffenenangeniestoder
angehustetwordenzusein.
WasLetzteres betrifft, sind wir
alle,glaube ich, auf der sicheren
Seite.Persönliche Gespräche mit
meinenKolleginnen undKollegen
würdeichdennochgernesobaldwie
möglichwiederführen.Vonmiraus
auchlängerals15Minuten.


MorgenimHomeoffice:PetraAhne landet
unverhofft an der polnischen Grenze und stellt
fest, dass „Social Distancing“kein Problemist.


Homeoffice


ChristineDankbarkann
nichtrausund
beneidetihreSöhne.

VerwirrspielmitderCorona-Statistik


DasRKIveröffentlichtandereFallzahlenalsimInternetzufindensindundörtlichgemeldetwerden.Woranliegtdas?


VonTorsten Harmsen

D


er Senat gab am Abend be-
kannt, dass es 688 nachgewie-
sene Coronafälle inBerlin gibt, das
sind 115 mehr als amTagdavor .Da
waren neunPatienten in intensiv-
medizinischerBetreuung –nun15.
DochdieZahlensindverwirrend
und unterscheiden sich stark. Am
Donnerstag teilte dasRobert-Koch-
Institut (RKI) mit, dass inDeutsch-
land 10999 Menschen infiziert
seien. Es gebe 20 Todesfälle.Die
Weltkarte auf derInternetseite der
Johns Hopkins University in den
USAzeigteaber14481Infizierteund
43Verstorbenean.

WiekommteszusolcheinemUn-
terschied?ZunächstzuderUniversi-
tät: Hier hat einForscherteam be-
reits im Januar eine interaktiveOn-
line-Karte entwickelt, um die
schnelleVerbreitungdesViruszuz ei-
gen.Sieberuhtaufautomatischein-
laufenden Daten aus unzähligen
Quellen.DazugehörendieWHO,na-
tionale Behörden, lokale Medien,
Twitteraccounts vonOrganisatio-
nen.Sielaufenzusammenundsind
denZahlendesRKIvoraus.
DasRKIhinktoftauchregionalen
Zahlen hinterher.Das liegt amMel-
dewegunddaran,wannZahlenver-
öffentlichtwerden.DerWegsiehtso
aus:EinArztstelltdie Infektionfest,

dasses„aufgrunddesMeldeverzugs
zwischen demBekanntwerdenvon
FällenvorOrtundderÜbermittlung
an das RKI“Abweichungen geben
könne,wiedas Instituterklärt.
Hinzu kommt, dass durch die ex-
ponentielleAusbreitungdieDifferenz
zwischendervomRKIum10Uhrver-
kündetenFallzahl und derSituation
amAbendimmergrößerwird.
DieDaten sind ohnehin nur ein
Richtwert.Auch deshalb,weil viele
Infizierte gar keineSymptomezei-
gen. In eine rbritischen Studie wird
geschätzt,dasseinDrittelallerFälle
symptomlosabläuft.Manmerkt also
oftgarnicht,dassman„Coronahat“,
kannabervieleanstecken.

einLaborbestätigtsie.EineMeldung
gehtansGesundheitsamt.Dieseser-
fasst jedenFall elektronisch, wobei
händisch mehrereInfos eingegeben
werden,diefürdieBeobachtungei-
ner Epidemie wichtig sind.Dabei
wirdeine RKI-Softwareverwendet.
DieDaten gehen mehrmals amTag
an die Landesgesundheitsbehörde
undwerdenansRKIgeleitet.
Mitunter liegen vorOrt schon
neue Daten vor, aber die elektroni-
sche Erfassung hinkt hinterher,weil
Amtsärzte überlastet sind. Land-
kreise veröffentlichen eigenständig
neue Fallzahlen.Seit einigenTagen
gibtdasRKIausschließlichdieelek-
tronisch übermittelten Fälle an, so-
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