VonUlrich Paul
D
urchdie Corona-Krisesindviele
Berliner vonEinnahmeverlus-
tenbedroht.Daskannfür Mieterfa-
tale Folgen haben.Denn Haushalte,
die an zwei aufeinanderfolgenden
Terminen mit mehr als einerMo-
natsmiete inVerzug sind,riskieren
die fristlose Kündigung.Um zu ver-
hindern, dassMieter ihr eWohnung
verlieren, fordertder Berliner Miet-
erverein(BMV)einenSchutzschirm
beiMietzahlungsverzug.
„Wir müssen dafürSorgetragen,
dass aufgrund der Corona-Krise
nichtdieohnehinfinanziellbenach-
teiligtenHaushalte,die schwerste
LastausdenwirtschaftlichenFolgen
tragen“, sagte BMV-Geschäftsführer
Reiner Wild am Donnerstag. Der
Mieterverein appelliereand ie Ver-
mieter,bei Zahlungsverzug von
Wohnungs- und Gewerbemietern
großzügigeStundungen zu gewäh-
renundauchdenVerzichtzuprüfen,
solange die ordnungsgemäße Be-
wirtschaftungnichtgefährdetsei.
DerMietervereinfordertzugleich
eine Verschärfung des gesetzlichen
Kündigungsschutzes.Und zwar in-
nerhalb kürzester Zeit. „Der Schutz
derWohnungs-undGewerbemieter
vorKündigungenwegen Zahlungs-
verzugesmussam25.März2020im
BundestagdurcheineÄnderungdes
BürgerlichenGesetz buchs (BGB) si-
chergestelltwerden“,sagteWild.Da-
nach sollen sowohl ordentliche als
auch außerordentliche Kündigun-
genwegenZahlungsverzugesausge-
schlossenwerden –ess ei denn, die
Mietrückstände betragen mehr als
sechsMonatsmieten.Damitdie Ver-
mieter nicht auf ihrenForderungen
sitzenbleiben,solleinFondseinge-
richte twerden, der imNotfall ein-
springt. Stellen Mieter bei dem
FondseinenAntragaufÜbernahme
derMietschulden,solleinemögliche
Kündigungwegen Zahlungsverzugs
unwirksamwerden. DieForderung
zur Einrichtung eines solchen „Si-
cher-Wohnen-Fonds“ wirdbundes-
weit vomDeutschen Mieterbund
unddemBundesverbanddeutscher
Wohnungs- undImmobilienunter-
nehmenunterstützt.
DerBerliner Mieterverein appel-
liertzudem an dieVermieter ,die
Vollstreckung vonWohnungsräu-
mungenzustoppen.ImHi nblickauf
eine möglicheAusgangssperr ewäre
dies ohnehin nicht möglich.In Fäl-
len,indenendieVermieterdieRäu-
mungweiterbetreiben,seiendieBe-
zirksbehörden aufgefordert, gemäß
dem AllgemeinenSicherhe its- und
OrdnungsgesetzdieWohnungzube-
schlagnahmen.
DieDeutscheWohnen,mitmehr
als 100000Wohnungen größter pri-
vater Vermieter inBerlin,e rklärte,
dass sie imEinzelfall bereit sei, bei
Wohnungs- und Gewerbemietern
Mietzahlungenzustunden.„Undwir
verzichten auf Räumungsverfah-
ren“,sagte Sprecherin ManuelaDa-
mianakis.Ähnlich äußerte sich die
Vonovia. „W ir prüfen jeden einzel-
nenFallun dbemühenunsumindi-
viduelle Lösungen“, erklärte eine
Sprecherin.Diesechslandeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften sagten
nach Angaben der Stadtentwick-
lungsverwaltung einen kulanten
UmgangmitMieternzu,di einZ ah-
lungsschwierigkeitengeraten.
B e rlin
14 Berliner Zeitung·Nummer 68·Freitag, 20. März 2020 ·························································································································································································································································································
Schutzschirm
fürMieter
verlangt
VermietersollenBeträgezur
Notstundenodererlassen
Anzeige
S-BahnlegtdreiLinienstill
Weiter eEinschränkungenimBerlinerNahverkehr.BVGwillnachBeschwerdenwiederetwasöfterfahren
VonPeter Neumann
D
ie S-Bahn Berlin
schränktihrAngebotfür
dieFahrgäste weiterein.
Am Donnerstag teilte
das Tochterunternehmen derDeut-
schen Bahn (DB) mit, dass drei S-
Bahn-LinienvonSonnabendanvor-
übergehend nicht mehr befahren
werden. Eingestelltwerden die S26,
dieTeltowStadtmitWaidmannslust
verbindet, die S45 zwischen Süd-
kreuzundFlughafenSchönefeldso-
wie die S85, die derzeit noch zwi-
schenGrünauundPankowverkehrt.
Diese Änderungen sollen bisEnde
derOsterferien(19.April)gelten.
Zu Donnerstag hatte die S-Bahn
bereitsdieVerstärkerzügeimBerufs-
verk ehraufdenLinienS1,S3undS
eingestellt.Im Zeichen vonCorona
leidet auch sie wie dieBerlinerVer-
kehrsbetriebe(BVG)unterrückläufi-
gen Fahrgastzahlen. DieZahl der
Krankmeldungen nimmt dagegen
zu. Beim Fahrpersonal beträgt die
Quote mittlerweile etwa 15Proz ent,
hießesinUnternehmenskreisen.
DieamD onnerstag bekannt ge-
gebenen Einschränkungen haben
abernichtzurFolge,dassTeiledesS-
Bahn-Netzesohnefahrplanmäßigen
Zugbetriebsind.DieLinien,dienun
vorübergehend eingestelltwerden,
verlaufen parallel zu anderenRou-
ten. Allerdings führen die Änderun-
gen dazu, das es zwischenPriester-
wegund TeltowStadt sowie zwi-
schenAdlershofundSchönefeldnur
nocheinen20-Minuten-Taktgibt.
Busse waren überfüllt
Wieberichtet hat auch dieBVGda-
mit begonnen, denVerkehr einzu-
schränken–zunächst beiBussen
und Straßenbahnen. Inzwischen
prüftdasLandesunternehmenaber,
wo dasFahrtenangebot zumindest
etwas wieder aufgestockt werden
sollte.„Wirschauen,oballeBerliner
gutangeschlossensind“,sagteBVG-
Sprecherin PetraNelken.Dabeihät-
ten die Planer wichtigeEinrichtun-
gen wie Krankenhäuser,Polizeiab-
schnitte und dieBetriebshöfe der
StadtreinigungimBlick.Esseimög-
lich, dass zu Schichtwechselzeiten
wiedermehrBussefahren,hießes.
MitdiesenÜberlegungenreagiert
dieBVGdarauf,dassderBusverkehr
amerstenTagderEinschränkungen
teilweise zu große Lücken aufwies.
Fahrgäste beschwerten sich. „Auf
manchenBusbetriebshöfen ging es
chaotisch zu“, sagteJens Wieseke,
Sprecher desBerliner Fahrgastver-
bandsIGEB.Berichtenzufolgenahm
esviel ZeitinAnspruch,dieFahrerzu
informieren.Hinzu kam, dass der
BusverkehramMittwochzumindest
aufeinigenBetriebshöfennachdem
Sonnabendfahrplan organisiert
wurde .Weil dieserFahrplan mor-
gens vielerorts einen späterenBe-
triebsbeginnalssonstundnureinen
20-Minuten-Takt vorsieht, kamen
Berufstätige zu spät zur Arbeit.Im
Internet ist davon dieRede,dass
Krankenhäuserbetroffenwaren.
„Uns wurde berichtet, dass die
BussezumTeilsehr vollwaren“,be-
stätigte Wieseke.Ein Beispiel: „Wo
sonst Gelenkbusse fuhren, erschien
nur einZwölf-Meter-Bus“–keine
gute Idee angesichts derWarnung
vonVirologen,denKontaktzuande-
renMenschen nach Möglichkeit zu
meiden.WieberichtethattedieBVG
angekündigt, große Busse durch
kleinezuersetzen,umnicht„warme
Luftdurch Berlinfahrenzumüssen“.
NachInformationenderBerliner
Zeitung wirddiese Sichtweise aber
auch imSenat kritisch bewertet.Im
Zeichen vonCorona wäreesn ötig,
den Fahrgästen nichtweniger,son-
dernmehr Platz zur Verfügung zu
stellen,umGedrängezuvermeiden.
Hoher Krankenstand
„Wir haben bereits jetzt 40 bis 50
Proz entwenigerFahrgästealssonst,
aber unser Angebot in deutlich ge-
ringerem Maße verringert“, entgeg-
nete BVG-Sprecherin Nelken. Die
Zahl der eingesetztenFahrzeuge, in
derPlanersprache Umläufe ge-
nannt, sei um achtProz ent gesun-
ken.DieU-Bahnistdabeiabernoch
nicht eingerechnet, denn dortsoll
dieAusdünnungaufeinenZehn-Mi-
nuten-Takt erst amMontag in Kraft
treten. DemVernehmennachgabes
nur amMittwoch Busfahrten nach
demSonnabend-Fahrplan, inzwi-
schenfahrendieBussewieangekün-
digt allezehn Minuten. Im Busbe-
reichhabensichmittlerweile20 Pro-
zent des Personals krankgemeldet.
BeiderU-BahnträgtdieQuotebiszu
19,beiderStraßenbahn13Proz ent.
Peter Neumann
dankt den Mitarbeiternim
Verkehr für ihren Einsatz.
UnserEssen
stellenFremde
vordieTür
Wieese inerNeuköllnerWG
inQuarantäneergeht
VonEleonoraRoldán Mendívil
W
ir haben heute wieder einen
frischenEinkauf vordie Tür
gelegt bekommen.Seit neun Tagen
leben mein Mitbewohner,mein
Partner und ich inCorona-Quaran-
täne.Bis jetzt haben wir vierEin-
käufevonengeren Freundinnenund
Freunden vorbeigebracht bekom-
men.Aberjetztmüssenimmermehr
Menschen aus unserem Umfeld
selbstin Quarantäne.Deshalbhaben
wirübereinenNachbarschafts-Chat
Menschengesucht,dieunsEinkäufe
vorbeibringenkönnten.
Fünf uns unbekannteMenschen
aus unserer unmittelbarenNeuköll-
nerNachbarschafthabensichgemel-
det,einedavonwarJuliane.AmM itt-
wochhabenwirsieschonvomFens-
terausgesehen,alssiemiteinemKar-
tonvollerLebensmittelaufdemWeg
zuunswar.Esf ühltsichmerkwürdig
undschönan,dassMenschen,diewir
gar nicht persönlich kennen, bereit
sind, für uns einzukaufen.Wirquat-
schen kurzdurch dieverschlossene
Tür.Sol äuftdasimmerab,seitwirin
Quarantänesind.
Juliane hat nicht alles besorgen
können, was auf derEinkaufsliste
stand. Wirversichernihr,dass wir
das auch beim nächstenEinkauf
dannmitaufschreibenkönnen.Aber
Juliane will wiederkommen. Am
Donnerstagumkurzvor10 Uhrklin-
gelt es wieder und noch eineKiste
und eine Tütevoller Lebensmittel
stehenvorunsererTür.Einpaar Os-
terglockenliegenmitobendrauf.Wir
sindsehrgerührtundwollenJuliane
undalleunsereUnterstützerzueiner
Quarantäne-After-Party einladen,
sobalddaswiedermöglichist.
WirernährenunsindiesenTagen
noch frischer und gesünder als
sonst.Bisjetztgabesnochnichtsaus
derDose.BeimKochenwechselnwir
unsab .Werkocht,mussnichtabwa-
schen. Dabei ist auch bereits das
FrühstückeingrößeresUnterfangen
–von Spiegeleier,Pfannkuchenund
selbstgepresstemOrangensaftistal-
les dabei.Nicht an jedemTag, aber
mehrmalsproWoche.
Wirfühlen uns sehr privilegiert
und wissen: Essen istLuxus,das
sollte es aber eigentlich nicht sein.
Allein inDeutschlandwerden jähr-
lich18 MillionenTonnen,einDrittel
derLebensmittelproduktion,wegge-
worfen. GleichzeitighungernMillio-
nen Menschen weltweit –auch vor
der Corona-Pandemie.Wenn dem-
nächst weltweit massenhaftMen-
schen entlassenwerden, wir ddie
Rate der Hungernden exponentiell
in die Höhe schießen.Wiekönnen
wir alsGesellschaftUnternehmen
verpflichten, überzählige Lebens-
mittelkostenlosbereitzustellen?
9
Nach der BVGwill auch die S-Bahn denVerkehr einschränken. IMAGO IMAGES
SelbstdasFernsehenmussPausemachen
O
scar-P reisträgerJochen Ale-
xander Freydank hatte in sei-
ner Wohnung inPrenzlauerBerg
Vorkehrungen für eine längereAb-
wesenheit getroffen: „Mein Kühl-
schrank war nicht nur leer,erw ar
sogarabgetaut.“
Eigentlich sollte der Regisseur
zweieinhalb Monate in Hamburg
mitder Miniserie„Dusollstnichtlü-
gen“ fürSat.1 zu tun haben, aber
dann kamCorona und unterbrach
dieProduktionkurzvorihremBerg-
fest.
„Offiziellistdieauchnichtabge-
brochen, sondernpausiert.“ Das
Team und dieHauptdarstellerFeli-
citasWollund BarryAtsma wurden
nach Hause geschickt. DieStim-
mungamDrehortbezeichnetFrey-
dank als „angespannt, weil die
Leute sich ernsthaft Sorgen ma-
chen“. Menschen beimFilm sind
ebenvorallemauchersteinmalei-
nes:Menschen.
Beiden Einkäufen zum Füllen
seines Kühlschranks kamFreydank
sich wie einHamsterervor. Wa sal-
lerdings nicht seinHauptproblem
war:„WennichinmeinerStraßedie
LeuteindenCaféssitzenundinihre
WenndieProduktioneiner
Mini-SeriewegenCoronaplötzlich
unterbrochenwird
vonAndreas Kurtz
[email protected]
Jochen AlexanderFreydank ist nun doch nicht zu Dreharbeiten in Hamburg.CHRI STIAN SCHULZ
Hipsterbär te grinsen sehe,kriege
ichrichtigschlechteLaune.“
Fürdie ZeitnachdenKontaktbe-
schränkungen wegen Corona hat
FreydankeinenWunsch:„Ichhoffe,
dasswirdanninunsererBranche,in
der man eherIchals Wirsagt, fair
miteinanderversuchen, den Stau
an unfertigen und neuen, startbe-
reitenProduktionenaufzulösen.“
Freydankmusstezuvornochnie
einen Dreh abbrechen: „Ich hatte
aber schon mal Schäden amFilm-
material, die es notwendig mach-
ten,etwasnochmalzudrehen.“So-
gar bei seinem Oscar-prämierten
Film „Spielzeugland“ ist ihm das
passiert: „Damals hat esGlück ge-
bracht.“
Freydankmussnachderberufli-
chen Vollbremsung aus rasanter
Fahrterst mal zurRuhe kommen.
Dann will er die unerwartete freie
Zeitnutzen,umanDrehbü cher nzu
arbeiten.Undsoziale Kontakte zu
pflegen: „Ichwerdeviel mit Men-
schen telefonieren, mit denen sich
die Kommunikation zuletztwegen
derArbeitsbelastungoftaufwenige
Worteper WhatsApp beschränken
musste.“
In Quarantäne
Tag
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R e ise
Burg Scharfenstein: Zwischen
Volkskunst und Legenden
Coronakrise:Waswird jetzt
aus meinem Osterurlaub?