Der Standard - 20.03.2020

(Ann) #1

20 |FREITAG, 20 .MÄRZ2 02 0DKultur ERSTANDARD


STANDARDRÄTSEL dst.at/Raetsel


WWa aaaggrreecchht t:: 11 Na super: Mit dem Seitenhieb wen zu häkeln, ist der
Gipfel! 44 Probier, was dir am Lebensmittelpunkt vorgesetzt wird
7 7 Wo Gestrasste in derSalmbareine katalandesübliche Promena-
denmischung bestellen? 88 DieÄußerung ist schluckaufschluss-
reich–etnunck? 99 Ihr gilt ofenbar der Einzug der Radiatoren in
der Thermenregion 1122 Dort die Probe aufs Experiment zu machen,
ist Messenssache 1144 Wenn sie damit unsere Autorität aushöhlen,
ist Schluss mit der Sabotierliebe zu den Wühlmäusen 1155 Ob sich
dieseDiebeim Doppelpack davonstehlen? 1166 Ob die comischen
Gestalten sie vom Bagateller knabbern? 1199 Ober-Begriff aus dem
Unntergeschoß 2200 Wird ihr nächster Film in den Fosterferien fer-
tig? 2211 Ihr Riesenapparat soll Ökonomischer Gegen Krankheit hel-
fen? 2222 Wenn sie im Kreissaal den Bogen überspannt, nimmts die
Decke krumm
SSeennkkrreecchhtt:: 22Bitte die Mobile-ität ad infinitum fortschreiben,sobald
einerneuter Piepertönt 33 Er wird von der Architektinannextra zum
Altbestand geplant44BeirichtigemFokussieren sollteseine Mund-
landung gelingen 55 Verachtung über wenig gewindbringende Dneh-
stifteausdrücken? Ja Prustekuchen! 66 Bitte die Antwort auf die
Rauchfangfrage schlotrecht eintragen (Mz) 1100 Ob die Festung vor
einer leichten Beschädigungder letzten Kaiserin schützte? 1111 Der
Kollege von 20 waagrechtwäreim FilmnoirDe-platziert 1133 In Wis-
consin wirklichimGestruepp (kein Fake!) 1177 Was hat das alteHer-
zogtum im FanjournalverLoiren? 1188 Kommt gegenYearesschluss in
die Fifties und ist heut fast am end
RRäättsseellaauuffllöössuunngg NNrr.. 9 944336 6 vvoomm 1 19 9..33..2 2002200
WW:: 11 DUPLIKAT 66 SPORN 77 MEINECKE 99 IAEA 1100 KRIMINELLE
1 122 AUSGEWECHSELT 1177 SCHATULLEN 1199 MONT 2200 SCHEUCHE
2 211 TIROL 2222 RESTGELD SS: : 11 DEMOKRAT 22 PLINIUS 33 ALKMENE
4 4 SPRIESS 55 PRIEL 88 ELISE 1111 STINKEND 1133 GASTHOF 1144 HOUSE
1 155 ETLICHE 1166 NOTIZ 1188 ASCHE

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Nr. 9437©phoenixen; http://www.phoenixen.at

Beweisstoffsammlung


fürdas künftigeGlück


Walter BenjaminsKurzprosasammlung „Einbahnstraße“


RonaldPohl

D


er Begriff der „Passage“ ent-
faltet seinen ganzen Zau-
ber, wenn man eine Groß-
stadt wie Paris nostalgisch ins
Auge fasst. Für Walter Benjamin
wird die Metropole des 19. Jahr-
hunderts zur Teststrecke. Auf
ihrem Stadtgebiet, am bunten
Wirbel ihrer flüchtigen Sensatio-
nen, soll sich die Sensibilität des
modernen Menschen bewähren.
In Benjamins zum Weinen
schöner KurzprosasammlungEin-
bahnstraße(1928) wird der ver-
gängliche Eindruck zum Gegen-
stand der Kontemplation. Die
Moderne ist die Tabula rasa, die
höchstens Bruchstücke und
Trümmer hinterlässt. Ihre ver-
waisten Gegenstände deuten auf
Kindheitsmuster hin. Und stets
sind es Durchbrüche und Quer-


verbindungen, die ein Gewirr aus
Straßenverläufen und Wohn-
blocks (mit Gassenlokalen) erken-
nen lassen: als Parcours von lau-
ter kleinen, unscheinbaren Sensa-
tionen. So entsteht, unter Kapitel-
überschriften wie „Fundbüro“,
„Coiffeur für penible Damen“ oder
„Bogenlampe“, eine Kartografie
von Prägestätten. Orte, die helfen
sollen, Produkte einer regsamen
Empfindsamkeit in Aphorismen
und Merksätze umzumünzen.
„Der Blick ist die Neige des
Menschen“: Solche Einsichten ge-
langen z. B. unter dem Geschäfts-
schild „Optiker“ in die Auslage.
Benjamin, das ewige Kind unter
denGroßdenkerndes20.Jahrhun-
derts, verbietet sich jede plane Il-
lustration von Thesen, die man
der Wirklichkeit wie ein grobes
Netz aus Begriffen überwerfen
kann. Lieber arbeitet er an der Ver-
wischung des Unterschieds von
These und Argument. Auf einem
Portal in Florenz sieht er die
„Spes“ Andrea de Pisanos sitzen.
Sie erhebt „die Arme nach einer
Frucht, die ihr unerreichbar
bleibt. Dennoch ist sie geflügelt.“
Schlusssatz der kleinen Betrach-
tung: „Nichts ist wahrer.“
Es ließe sich im Nachhall sol-
cher Genieblitze getrost behaup-
ten: Manche Wörter sind eben ge-
flügelter als andere. Aber nichts
wäre falscher, als den philosophi-


schenProsakünstlerWalterBenja-
min (1892–1940) der Kurzatmig-
keitzuverdächtigen.Einigeseiner
Bucheinträge schwellen an zu
kleinen Essays. Was unter dem
ausladenden Titel Hochherr-
schaftlich möblierte Zehnzimmer-
wohnungsich pointiert verewigt
findet, ist das vervollständigte
Bild der Unkultur um 1900: Über-
bleibsel des überladenen „Inte-
rieurs der sechziger bis neunziger
Jahre“. In diesem weisen noch die
abgeschmackten Dekorationsstü-
cke, der Dolch im Silbergehänge
überm Diwan, auf den mörderi-
schen Verwendungszweck hin.
Der Charakter der bürgerlichen
Wohnung sei es eben, so Benja-
min, nach dem „namenlosen Mör-
derzuzittern“.Insgesamtwirddas
Muster einer Ordnung rekonstru-
iert, deren angeblich eherne Prin-
zipien von Vergänglichkeit kün-
den. Vom Unrechtsgehalt einer im
Ganzen erodierenden Gesell-
schaft zeugen auch Benjamins
Einträge zur Weimarer Republik.
Und doch wird man diese 80
Buchseiten –abgerechnet die
zahlreichen Nachträge und Va-
rianten–für eine Feinnervigkeit
schätzen, die im Unrat der Zivili-
sation den Stoff einer kommenden
Erlösung aufstöbert. Wie dem
kindlichen Auge die prismatische
Farbenpracht eines einfachen Sat-
zes Briefmarken unverlierbar
bleibt, so sind noch im zerstörten
Hausrat genug Keimstoffe enthal-
ten: Beweismittel für künftiges
Glück.
Wir Menschen dürfen nicht
glauben, unerkannt zu bleiben
und aus der Verantwortung ausge-
schlossen zu sein: „Beim Ekel vor
TierenistdiebeherrschendeEmp-
findung die Angst, in der Berüh-
rung von ihnen erkannt zu wer-
den.“ Ein für alle Mal erkannt zu
sein und sich dennoch gegen eine
Entwicklung nicht zu sperren, die
uns und unseren menschlichen
Möglichkeiten besser zu Gesicht
steht: In der Gestaltung einer sol-
chen rätselhaften Transformation
steckt das ganze Geheimnis.
Die eigene Vergangenheit,
schreibt Benjamin, wäre es wert,
als„AusgeburtdesZwangesund
der Not betrachtet“ zu werden.
Das Leben wäre als „schöne Figur“
anzusehen, der „auf Transporten
alle Glieder abgeschlagen wur-
den“. Sie gäbe nichts als den kost-
baren Block ab, aus dem man „das
BildseinerZukunftzuhauenhat.“
Man muss sich Sisyphos nicht le-
diglich als glücklichen Mann vor-
stellen. Er ist obendrein autoplas-
tischer Bildhauer.
„Einbahnstraße“ ist u. a. in der Bibliothek
Suhrkamp verfügbar.

PROPHET
DER

MODERNE


1


2


3


WATCHLIST


Foto: Klagenfurter Ensemble

Theater


Film


Literatur
In Aki Kaurismäkis Film Das
Mädchen aus der Streichholzfabrik
geht es um zwischenmenschli-
che Gleichgültigkeit. DasKlagen-
furter Ensemble streamt seine
Theaterversion in der Regie von
Angie Mautz derzeit kostenfrei
auf der Website: http://klagen-
furterensemble.at/videos. (afze)

Eine Mischung aus Satire, Hor-
rorundGefängnisfilm,dasist„El
Hoyo“ von Galder Gaztelu-Urru-
tia, unter dem TitelDer Schacht
ab heute aufNetflix:Jede nTag
schiebt sich eine Ebene voller
Nahrung durch die Stockwerke
eines Gefängnisses. Die oben be-
kommen am meisten ab. (kam)

In „Decamerone“ vertreiben die
vor der Pest Geflüchteten sich
die Zeit mit Erzählen. Passend
zuCoronaistheuteWeltgeschich-
tentag.Erwird auch online gefei-
ert, etwa vom VEE auf sound-
cloud.com/erzaehlerverband,Er-
zähler ohne Grenzenteilt auf Face-
book Youtube-Erzähler-Links.

Der Choreograf


mitder Kämpfernatur


Abderkommenden Spielzeit wirdeine der aktuell wichtigstenFiguren der
deutschenTanzwelt dasWiener Staatsballett unddie Geschicke
der Ballettakademie lenken: Martin Schläpfer.Ein Porträt.

durch seine Gastspiele bei Im-
pulstanz und im Festspielhaus
St. Pölten bekannte Cloud Gate
Dance Theatre.
Mit der Ballettakademie hat
Schläpfer jetzt die Gelegenheit,
einen nach dem Skandal des Vor-
jahres offenen Reformstau zu be-
arbeiten. Auch da scheint Roščić
an den Richtigen geraten zu sein:
„Mich hat auch die Schule nach
Wien gelockt: Weil ich seit dreißig
Jahren unterrichte. Damit habe
ich begonnen–und nicht als Cho-
reograf oder Ballettdirektor.“ Er
hat die Akademie bereits unter die
Lupe genommen. „Wir sind da am
Bauen und Evaluieren. Nach dem
Bericht der Sonderkommission
habe ich zusammen mit Roščić
eine vierköpfige Expertengruppe
gegründet, die den ganzen Prozess
begleitet, damit hier die richtigen
Weichen gestellt werden.“
Die Gruppe setzt sich zusam-
men aus Mavis Staines, Leiterin
der National Ballet School in To-
ronto, Jason Beechey, Rektor der
Palucca Hochschule für Tanz in
Dresden, Patrick Armand, Leiter
der San Francisco Ballet School,
sowie dem niederländischen
Tanzpädagogen und Leiter des
Holland Dance Festival Samuel
Wuersten. Ein erlesenes Team,
dessen Analyse die Basis für die
Neustrukturierung der Akademie
bildet.
Schläpfer will hier „im Ver-
gleich mit Institutionen, die struk-
turell und personell den richtigen
Standard haben“, arbeiten. Es
brauche „ganz klare Regelungen
für die Kinder und den Umgang
mit ihnen“. Als grundsätzliches
Ziel formuliert der künftige künst-
lerische Leiter der Schule, „dass
diese akademische Ausbildung
nichtweiterinVerrufkommt,son-
dern dass man etwas baut, das das
Gegenteil beweist“. Das gelte ganz
allgemein, denn kürzlich ist auch
die Staatliche Ballettschule in
Berlin in Kritik geraten.
„Es wird nicht ohne zusätzliche
Mittel und ein klares Bekenntnis
für diese Akademie gehen“, fügt
Schläpfer an. Was von den bishe-
rigen Aussichten auf ausreichen-
de Finanzierung nach den Belas-
tungen durch die Epidemie übrig
bleibt, ist abzuwarten. Aber der
bekennende Wien-Fan ist eine
Kämpfernatur. In Zeiten wie die-
sen keine schlechte Eigenschaft.

A


ufbruch, Reibung und
Arbeit.Das sindReizwörter,
die Martin Schläpfer ver-
wendet, wenn er auf seine künfti-
gen Funktionen als Direktor des
Wiener Staatsballetts und als
künstlerischer Leiter der Ballett-
akademie angesprochen wird.
Und weil der gebürtige Schweizer
–heute einer der prominentesten
Ballettchoreografen Deutschlands
–einüberlegterCharakterist,setzt
er noch nach: „Man wird sehen,
was sich daraus entwickelt.“
Ab Beginn der Spielzeit 2020/21
will der 60-Jährige als Nachfolger
von Manuel Legris im Haus am
Ring und in der Volksoper neue
Akzente setzen. Im Moment berei-
tet er noch seinen Abschied als
Tanzchef der Deutschen Oper am
Rhein vor, die in Düsseldorf und
Duisburg verortetist.Epidemiebe-
dingt wird das ein Farewell im
Ausnahmezustand.Dakönneman
nur „relativ gelassen bleiben“,
kommentiert der Choreograf.

Spitzenkraft
Zurück zur Zukunft. Er sei, sagt
Schläpfer im Gespräch mit dem
STANDARD,„einer der wenigen
noch verbliebenen Choreografen-
Direktoren, die ein großes Haus
leiten“. Seit 1994 hat er in Bern,
Mainz und anschließend in Düs-
seldorf gezeigt, dass er’s bestens
kann. Bogdan Roščić,designierter
Staatsoperndirektor nach Domi-
nique Meyer, konnte hier zweifel-
los eine Spitzenkraft akquirieren.
Schläpfer hat mit seinem Œuvre
von mehr als 70 Stücken einem
deutschen Kritiker zufolge „ein
glanzvolles Kapitel deutscher Bal-
lettgeschichte geschrieben“.
Nicht weniger braucht es auch
für die 103-köpfige Wiener Com-
pagnie, die–nach ihrem Schlin-
gerkurs unter Renato Zanella und
einem Durchhänger bei Gyula Ha-
rangozó–von Manuel Legris zu
einem der besten Ballettensem-
bles Europas entwickelt wurde.
Legris war mit seinem Klassik-
Fokus so beliebt, dass die durch-
schnittliche Auslastung der Tanz-
aufführungen in der vorigen Sai-
son jene der Opern übertraf. Das
hatte es zuvor noch nie gegeben.
Jetzt ist der Moment, einen neu-
en Sprung zu wagen. Für Schläp-
fer heißt das: „Integrieren, was da
war, und nach vorne schieben in
Bereiche, die meiner Meinung

nach bisher zu wenig berücksich-
tigt wurden. Klassische Hand-
lungsballette werden ihren Platz
im Spielplan behalten.“ Das gehö-
re zu dieser Compagnie, sei aber
eine Frage des Ausmaßes. „Und
ich finde schon, dass eine Welt-
compagnie von dieser Größe auch
ganz klar den zeitgenössischen
Tanz repräsentieren soll.“
Die einst übliche strikte Tren-
nung zwischen „klassisch“ und
„modern“ hält er für obsolet. Also
würde ihm im Idealfall vorschwe-
ben, dass man „zum Beispiel ein
Stück von Lin Hwai-min ganz
selbstverständlich neben einem
Nurejew-Schwanensee“zeigt. Zur
Erinnerung: Der Choreograf Lin
Hwai-min leitet in Taiwan das
international gelobte, bei uns

HelmutPloebst

Mit Vorschusslorbeeren wechselt
Martin Schläpfer nach Wien.
Foto: Max Brunnert
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