Der Standard - 20.03.2020

(Ann) #1

24 |FREITAG,20.MÄRZ2 02 0DKommentar ERSTANDARD


dst.at/cartoons

Es braucht mehrTests


Klaus Taschwer

T


esten, testen, testen, fordert die WHO seit Tagen.
Sämtliche wissenschaftlichen Studien bestätigen,
dass die Ausbreitung von Covid-19 vor allem dort
nachhaltig eingedämmt werden konnte, wo man genau
wusste, wer tatsächlich infiziert ist. Das gelang in Südko-
rea mit bisher fast 300.000 Tests.
Denn das Tückische an Covid-19 ist, dass auch infizier-
te Personen ohne Symptome Überträger sein können. Die
Dunkelziffer ist entsprechend hoch. Einen Gegner kann
man aber nur bekämpfen, wenn man weiß, wo er sich ge-
rade aufhält. Island plant deshalb, alle 370.000 Isländer zu
testen, und in der Schweiz hat man die Kapazitäten auf bis
zu 7000 Tests täglich hochgefahren.
Österreich gehörte in den letzten sieben Tagen zu den
Ländern mit den weltweit höchsten Steigerungsraten bei
den Neuinfektionen. Die Testrate blieb zuletzt mit jeweils
rund 1700 konstant gering. Das reicht bei weitem nicht
für allebegründeten Verdachtsfälle, sondern nur für die
schwersten Fälle und das medizinische Personal.
Für die nächsten Tage habe man eine Kapazität von
30.000 Tests, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anscho-
ber am Donnerstag etwas vage. Diese Kapazität sollte so
bald wie möglich weiter aufgestockt werden. Das würde
auch den jetzt potenziell Infizierten die Gewissheit geben,
dass sie nach überstandener Infektion den Kontakt mit an-
deren Personen wiederaufnehmen können.


GefahrenzoneFamilie


Vanessa Gaigg

D


ie eigenen vier Wände gelten derzeit als der sichers-
te Ort–besonders für jene, die der Krankheit am
stärksten ausgeliefert sind. Aber auch für alle ande-
ren ist der Rückzug ins Private alternativlos.
Doch gerade daraus erwachsen neue Herausforderun-
gen. Denn für manche wird der sicherste Ort zur Gefahren-
zone: In der Quarantäne kann es eng werden–besonders
dann, wenn sich ohnehin schon zu viele Menschen zu klei-
ne Wohnungen teilen müssen. Zusätzlich fallen soziale
Kontakte außerhalb der Familie weg. Viele zittern um ihre
Jobs. Das ist eine fatale Kombination.
Es wäre eine Überraschung, wenn es da nicht zu einem
Anstieg der häuslichen Gewalt kommen würde. Daher
muss dafür gesorgt werden, dass sich die zuständigen
Opferschutzeinrichtungen ausreichend auf dieses Risiko
vorbereiten können.
Das von der Regierung angekündigte Maßnahmenpaket
inklusive Aufstockung der Frauen-Helpline ist daher ein
guter Schritt. Es braucht aber auch mehr Plätze in Frauen-
häusern. Manche von ihnen operieren schon länger am
Rande ihrer Möglichkeiten. Es ist zu hoffen, dass die Bun-
desländer es von sich aus schaffen, vorausschauend aus-
reichend Platz zur Verfügung zu stellen.
Sollte das nicht gelingen, muss Frauenministerin Susan-
ne Raab dafür sorgen. Das wird Geld kosten. Zögerlichkeit
wäre dann jedenfalls fehl am Platz.


KeineNerven für Erdoğan


Florian Niederndorfer

G


erade einmal drei Wochen ist es her, dass der türki-
sche Präsident Tayyip Erdoğan mit seiner Grenzöff-
nung für Flüchtlinge die europäische Politik gehörig
durcheinandergeschüttelt hat. Vorbeiwar es mit der Ruhe,
die sich die EU beim Herrscher vom Bosporus erkauft hat-
te. Denn urplötzlich sorgten wieder die Bilder der Verzwei-
felten an Europas Einfallstoren für Schlagzeilen–ganz
nach Erdoğans Geschmack, der die Migranten als Faust-
pfand ins Spiel brachte, um bei der EU mehr Geld für die
Versorgung der Flüchtlinge in seinem Land zu erpressen.
Sein zynisches Kalkül wäre wohl auch aufgegangen, hät-
te sich nicht zeitgleich eine wenngleich unsichtbare, tat-
sächlich aber weit bedrohlichere Gefahr aufgetürmt. Seit
Corona hat Europa keine Nerven mehr für die Probleme der
Flüchtlinge, egal ob sie auf Lesbos dahinvegetieren oder im
Niemandsland zwischen Griechenland und der Türkei.
Und schon gar nicht für Erdoğans Provokationen.
Mit vagen Versprechungen abgespeist, musste der Prä-
sident nun einsehen, dass er mit seiner Taktik gescheitert
ist –und nutzte seinerseits die Corona-Krise, um zurück-
zurudern und die Grenze wieder zu schließen.
Das Problem an der EU-Südgrenze wird aber auch noch
da sein, wenn die Corona-Plage dereinst besiegt ist–und
wird Europa dann mit umso größerer Wucht treffen. Auf
Dauer wegschauen und kleinreden ist auch hier keine gute
Idee.


FLÜCHTLINGSPOLITIK


SCHUTZVOR HÄUSLICHER GEWALT


EINDÄMMUNG DES VIRUS


1984 darfnicht die Zukunft werden


Immer mehr Staaten schaffen in der Corona-Krise eine Überwachungsinfrastruktur


menzurEindämmung,selbstwenndie-
se die Grundrechte beschneiden, nur
noch lauter werden. Die Abwägung
zwischen Datenschutz und der Sicher-
heit der Bevölkerung–ein ständiges
Dilemma der Netzpolitik–wird noch
intensiver debattiert werden. Schon
jetzt zeigen Umfragen in Deutschland,
dass Bürger sich immer mehr mit Ein-
schnitten einverstanden erklären.
Wenn das Menschenlebenrettet,
hat es vorübergehend Sinn. Aber:Wir
müssen auf unsere Rechtsstaatlichkeit
achten und klare juristische Grenzen
definieren. Wir müssen sicherstellen,
dassdiese Notlösungen auch wirklich

rückgängiggemacht werden, sobald
die Krisebewältigt ist. In einer Lage
wie der jetzigen ist es essenziell, sich
vor Augen zu halten: Es wird eine Zeit
nach dem Virus geben.
Der EU-Datenschutzbeauftragte
warnte kürzlich vor der Verwendung
von Handydaten: „Dieselben Daten
könnenauch fürsehr undemokratische
Zwecke genutzt werden.“ Damit hat er
leider recht. Als Gesellschaft ist es in
einer solchen Situation umso wichti-
ger sicherzustellen, dass wir die Büch-
sederPandoranichtöffnen–undeines
TagesineinemÜberwachungs staatauf-
wachen.

P


lötzlich ging es schnell mit der
Massenüberwachung.Esbraucht
nureinenkurzenBlicknachSüd-
koreaoderChina,undselbstGeorgeOr-
well würde staunen: Durch die Stand-
ortüberwachung des Smartphones,
kombiniert mit einem rigorosen Netz
anÜberwachungskameras,diemitGe-
sichtserkennungstechnologie ausge-
stattet sind, werden Nutzer auf Schritt
und Tritt überwacht. Dadurch soll der
Kontakt zu Infizierten nachgewiesen
werden. Bürger werden im Falle eines
Zusammentreffens mit einer nachweis-
lich erkrankten Person per SMS oder
Push-Nachricht in die Quarantäne ge-
schickt. Orwells 1984 wird 2020 teil-
weise zur Realität.
Wer unter Corona-Verdacht steht,
darf nicht hinaus, wer die Öffis nutzt,
muss belegen, dass er oder sie „sau-
ber“ ist. Diese Strategie zeitigt offen-
bar Erfolg: Südkorea wird für seine
Maßnahmen gelobt, wobei das wohl
auch mit der hohen Zahl der Testun-
gen zu tun hat. In China flauen die
Neuinfektionen völlig ab–allerdings
miteinemschalenBeigeschmack.Denn
die Krise zeigt die enorm invasiven
Möglichkeiten auf, die Staaten heute
haben. Der gläserne Bürger ist längst
keine dystopische Vorstellung mehr.

A


uch in der EU greift man immer
mehr in die tiefe Kiste der Über-
wachungstechnologien. Die ge-
nutzten Maßnahmen sind dabei nicht
mit den vor allem in Asien verwende-
ten Instrumenten zu vergleichen. Etwa
übermittelte die teilstaatliche A1 der
heimischenRegierung Bewegungsströ-
me von Nutzern, damit diese prüfen
kann, ob die Ausgangssperre Wirkung
zeigt. Anonymisiert, wie man nicht
müdewurdezubetonen.Dasmagfrag-
würdig sein, da die Anonymisierung
von Mobilfunkdaten, sodass nachträg-
lich keine Rückschlüsse möglich sind,
technisch schwierig ist,abervergleich-
bar mit Südkorea ist es nicht.
Dazu gesellen sich Italien, Deutsch-
land, Litauen–die Liste der Länder,
dieSmartphone-Überwachungnutzen,
wird immer länger. Auch sie halten
sich vergleichsweise noch zurück. In
Israel wurde hingegen beschlossen,
Überwachungsmaßnahmen,dieeigent-
lich gegen Terroristen genutzt werden,
im Antiviruskampf auf die Bevölke-
rung anzuwenden.
Eines ist sicher: Die aktuelle Krise
wird sich verschlimmern, die Zahl der
Toten wird definitiv weiter steigen.
Und damit wird der Ruf nach Maßnah-

Muzayen Al-Youssef

KOPFDESTAGES


D


as Einbrechen der
gewohnten Nor-
malität ging in
den vergangenen Tagen
mit einem beachtlichen
Tempo voran. Nicht nur
was das Virus, sondern
auch was wirtschaft-
liche Umwälzungen be-
trifft: Zehntausende
Menschen sind plötzlich
arbeitslos,andere ban-
gen um ihr Unterneh-
men, Grenzen sinddicht,
Läden geschlossen.
Jede Krise braucht die
besonnenen Kommuni-
katoren, und manchmal
reicht auch schon ein
Satz, um Menschen wie-
der eine Perspektive und
etwas Optimismus zu
geben. Das ist Johannes
Kopf, dem Chef des
Arbeitsmarktservice
(AMS), am Dienstag ge-
lungen. „Wo aber Gefahr
ist, wächst das Rettende auch“, sagte
Kopf in einem Ö1-Interview, den Lyri-
ker Friedrich Hölderlin zitierend.
Sprich: Wir sind nicht machtlos, auch
wenn das kurz so erscheinen mag.
Für Kopf, der das AMS seit 2006
gemeinsam mit Herbert Buchinger lei-
tet, ist es nach der Weltwirtschafts-
krise 2008 die zweite fundamentale
Krise am Arbeitsmarkt. Notsituatio-
nen und Umbrüche sind für ihn
also nicht neu. Seine Bestellung galt
als ein Akt schwarz-blauen Posten-
schachers, aber wie das in Öster-
reich oft der Fall ist, hat dieser auch
talentierte Menschen nach oben ge-
bracht.

Der studierte Jurist,
Jahrgang 1977, begann
seine Karriere in der In-
dustriellenvereinigung,
bevor er ins Kabinett des
damaligen Wirtschafts-
ministers Martin Barten-
stein wechselte. Er ist
kein trockener Manager,
hat großes Interesse für
arbeitsmarktpolitische
Fragen. Er mischt sich
auchinpolitischeDebat-
ten ein: sei es, um vor
Kürzungen bei Sprach-
kursen für Flüchtlinge
zu warnen oder um sich
gegen die Darstellung zu
verwahren, alle Arbeits-
losenwürdeninderHän-
gematte herumliegen.
Wobei er ein Meister
darinist, so zu kommuni-
zieren,dass die zentralen
Player in derArbeits-
marktpolitik,Arbeitgeber
und Arbeitnehmer, ihn
unterstützen.Ein Beispiel: Kopfdräng-
te stets darauf, dass Jobsuchendemobi-
lerwerdenmüssen,etwaimTourismus.
Parallel kritisierte er, dass viele Hote-
liers schlechte Bedingungen für Job-
suchende anbieten. Der Rückhalt der
Sozialpartnerhalf ihmdannauch,als
er zwischenzeitlich unter Türkis-Blau
in Ungnade fiel.
Kopf ist verheiratet und hat drei
Söhne. Er ist begeisterter Fotograf und
DJ. Bei Kritik, die er für unbegründet
hält, kann er schon gereizt reagieren,
doch im Regelfall ist er für kritische
Debatten zu haben. Letzteres wird in
den kommenden Monaten essenziell
sein. András Szigetvari

Besonnener


Kommunikator


mitHang zurLyrik


Johannes Kopf leitet
seit 14 Jahren das
Arbeitsmarktservice.
Foto:APA/Techt

Impressum und Offenlegung:Herausgeber:Oscar Bronner;Geschäftsführung:Mag.Alexander Mitteräcker;Verlagsleitung:Martin Kneschaurek;Chefredaktion:Dipl.-Biol. Martin Kotynek, Stellvertretung: Mag. Rainer
Schüller, NanaSiebert, Mag. Petra Stuiber;Eigentümerin (100%)/Medieninhaberin,Verlagsort, Redaktions- und Verwaltungsadresse:STANDARDVerlagsgesellschaft m.b.H., A-1030 Wien, Vordere Zollamtsstraße 13;
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