Der Standard - 20.03.2020

(Ann) #1

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MancheWirtshäuser sind dieReise
wert,anderelohnenden Besuch
schon allein,weil dieReise dorthin


so schön ist.BeimRestaurant Im
Rau, dasvergangenesJahr im Pech-
graben,einem engenSeitental der


Enns im GemeindegebietvonGroß-
raming in Oberösterreich, eröffnet
hat,gilteindeutigLetzteres.Okay,


dieWestautobahn bis Amstetten
will man nur unbeschadet hinter
sichbringen, dann aber wird es


ziemlichschnell spektakulär –
wenn man etwazwischenBruck-
bachund Ertl eineNavi-Abzwei-


gungverpasst,worauf Google Maps
zur Strafeauf einen besserenKuh-
steig umleitet.


Plötzlichtut sichimletzten Licht
desTages einweitesTalauf,mit
winterstarren Almen und rauchi-


gem Speckduft in der Luft,vor allem
aber,inder Ferne, mit derweit oben
thronenden Basilikaauf demSonn-


tagberg.DeraufgehendeVollmond
taucht die Szenerie in silbernes
Licht,der Fotograf am Steuerflucht


verhalten, schließlichstaksenso-
gar ein paarverfroreneRehe durchs
Bild.FüreinenAugenblickmöchte


man glauben, das Land sei imFrie-
den mit sichselbst.


Gasthauswareinmal


Dann geht es über dramatischeSer-


pentinen insTal, da steht derWald
wie eine schwarzeWand, ein Bach
rauscht,undRollsplitt macht die


Fahrt zur Rutschpartie. Irgend-
wann, nachwenigenDörfern, sehr
viel dunklemTann und nochmehr


Kurven, steht manvordemWirts-
hausvonKlemensSchraml.Unter
seinemVater hieß es nochGasthaus


Steiger,seit derSohn übernommen
und umgebaut hat,ist es dasRestau-
rant ImRau.


Vonaußen sieht das nochwie ein
gestandenesWirtshaus aus, bis hin


Himbeer-Ente
gefällig?Klemens
Schraml lehnt sich
mit seinem entrisch
gelegenenNobel-
restaurant in
vielfacher Hinsicht
weit aus demFenster.

Im Rau,
Pechgraben23,
446 3Großraming,
Tel.: 0664/124 69 86,
Di–Sa 12–24Uhr,
MittagsVS€5,40–14,20
HS€12–26,50.
Abends nur Menü,
4Gänge€72,50
6Gänge€93,50
http://www.im-rau.com

zur Eisstockbahn neben dem Haus,
wodieMänner aus demGraben ge-
rade lautstark amSchießen undJoh-
lensindund das Bier aus großen
Krügen fließt. Wiener Schnitzel
oder garSchweinsbraten aber ste-
hen hier nicht mehr auf derKarte,
Gewöhnlichkeiten dieser Art hat
Schramlkonsequentverbannt.Der
jungeMann erkochte nämlichim
Schweizer Jetset-SkidorfZermatt
schon einen Stern und ist offenbar
nicht nachHause zurückgekehrt,
umseineKücheauf volkstümlichzu
trimmen.
Stattdessen hat er das alte Knap-
penwirtshaus der Eltern undGroß-
eltern ausgehöhlt und ein lupenrei-
nes Fine-Dining-Restaurant hi-
neingestemmt,mit einerverglasten
Schauküche undweiten, edel ge-
zimmerten Tischen samt angesag-
ten Besteckladen, in denen neben
Besteck(Silber,Robbe&Berking)

auchdas frischaufgebackene, ei-
gens ausWien importierte Öfferl-
brotwartet.DassesamLandkeine
ordentlichen Bäckermehr gibt,ver-
wundert einwenig–als hipperKoch
aber hat man vielleicht spezielle An-
forderungen.

HalloWelt!


Gemeinsam mitKüchenchef Chris-
topherKoller legtSchraml einkom-
promisslos internationales Menü
vor. Königskrabbenbeine werden
zu noblerTempura frittiert und
durchaus gewagt mit rohmarinier-
te rMakrele und knackigemLöj-
rom-Kaviar ausSchwedenkombi-
niert.Knapp gegarteWildgarnelen
kommen mit Artischockenund ein-
gelegten grünenTomaten in extrem
dichtem Parmesansud zu Tisch.
Meisterlichanden Garpunkt ge-
schmeichelter Atlantik-Heilbutt
badet in einer intensivfordernden
Molke-Miso-Reduktion mit Salzka-
ramell, dazu gibt esfermentierten
KohlrabiundeinenSchlenkerKür-
biskernöl–wuchtigeEdelküche, bei
der nicht nur Einheimische mit den
Ohren schlackern.
In derselbenTonart geht es auch
beimFleischweiter. Eine spektaku-
lär samtFlosse gebratene Enten-
keule(sieheBild)gerät zwar einen
Hauchzutrockenund faserig, dafür
macht die Optik mit gefriergetrock-
neter Himbeere, roterRübe und
Gänseleber umso mehr her.Selbst
derKäsegang, ein ArtFondue auf
tiefschwarzer,alles in Beschlag
nehmender Cremevomfermentier-
ten Knoblauchmit Erdäpfel-Kro-
kant,wirdzur aufwendigen Prezio-
se modelliert.Die Gäste aus derRe-
gion sind ob solchen Muts undWa-
gemuts baffbegeistert–und pilgern
in Scharen zum heimgekehrten
Sohn.Soschön,wenn solchein
Wagnis belohnt wird! R

Eisstock trifft Krabbe


Ein Wirtshausineinem entlegenen Seitental der Enns wurde zu


einem Fine-Dining-Restaurantder kompromisslosen Art.


SeverinCortisRestaurantkritik


Foto:George

sDesrues
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