Der Standard - 20.03.2020

(Ann) #1

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asNeuezeigtsichimmerzuerstimGe-
wanddesAlten.DiesemodischeNotiz
vonKarlMarxbesaß bereits zuZeiten derFran-
zösischenRevolution Gültigkeit.Davor warhöfi-
sche Modevonder städtischennochstriktunter-
schieden. Sie hatten nichts miteinander gemein.
Die Hoffeste fanden eben unterAusschluss der
Öffentlichkeit statt,warendaher nochnicht gla-
mourös. Die Proponenten derFranzösischenRe-
volutionsahensichhingegenzurVergegenständ-
lichungihrerpolitischenSchlagwortegezwun-
gen: Also wurde aus der Gleichheit die allgemei-
ne Wehrpflicht.Die Freiheit zeigte sichinder
neuenWahlmöglichkeit der Kleidung dank der
Modejournale, die das Diktat der barockenKlei-
derordnung beendeten–das waren in Paris
populäreSchritte zuFreiheit und Gleichheit.Die
Wahl vonKostüm und neuen Hosen der Sanscu-
lottenverspracheinerseit sdie Zugehörigkeit zur
neuen Pariser„Gesellschaft“,andererseits ließ
diese allgemeine und „allen“zugängliche Mode
eine eigeneNote in derSelbstdarstellung und In-
dividualisierung zu. Diese Motive blieb en bis
heute in der Mode erhalten. Daherwardas The-
ma der politischenRestauration in der Mode
kaum durchzusetzen.AlsNapoleon1804endlich
Kaiserwar, hatte manfür die Damenmode den
Kompromiss gewählt,wie e seben Marx später
charakterisierte.Fürdie Damenentstammte das
modischeDesign dem spätrömischen Skulptu-
renprogramm.Napoleon selbst trug die lange
Hose der Sansculotten und darüber einen knapp
sitzendenUniformrock. Das nannte man dann
„Empire“.
Die Architektur nahm eine ähnliche Entwick-
lung, freilichlangsamer.Das autoritäreFort-
schrittsprogrammvonClaude-NicolasLedouxin
denFormenvonWürfel, Kugel und Quaderwar
zwar das Muster,wurde jedoch kaum beherzigt.
DerKompromiss, der allgemeineVerbreitung

D


fand,wareine„überzeitliche“Retrospektive wie
in derMode: Die noblenVillen und Palaiswaren
als griechischeTempelverkleideteWohnhäuser
für Bankiers und erfolgreiche Spekulanten. Die
Großbauwerkemussten sichdagegen einer ge-
wissen Bescheidenheit und Klarheit im Entwurf
fügenundvariiertenalsKlassizismushistorische
Formensprachen der Baukunst.InÖsterreich
hatteJosefKornhäusel das Bauprogramm für die
Fürsten Liechtenstein nachdiese m„Zeitge-
schmack“ ausgeri chtet und ebenso für Baden bei
Wien.
Mode oder Architekturwaren äußere Merk-
male dieserZeit geworden, die sichnochnicht
zwischenRevolution undRestauration entschei-
denwollte.
DeutlichwaresindenglamourösenModender
Damen zu sehen, die unter großem Bekleidungs-
aufwandnachdemKriegsendedieTanzunterhal-
tungen desWienerKongresses um 1815 besuch-
ten. Diemännliche Elitewollte denNormen der
neuen Moden entgehen. Sie legte die fantasie-
vollenVarianten jenerUniformen an, die bislang
nur ihre Generäle trugen.(Und dasblieb dann bis
KaiserFranz Josephdie übliche Montur der poli-
tischenElite.)Immerhinverdanktesichdiespek-
takuläreDamenmode der Einfallslosigkeit mas-
kulinerUniformmode und spezialisierte sichauf
saisonalenWandel.

Missionswerk Moderne


UndnachdemKarl Marx 1848 imWiener Thalia-
Theater dieDonaumonarchieals ein„europäi-
schesChina“bezeichnethatte,warklargeworden,
dassimpolitischenKonzeptauchnachMetternich
eineWelt vongestern zumBestand zählte.Pünkt-
lichwar zurVeranschaulichung dieserpolitischen
Doktrin dieWienerRingstraßegeplant worden.
Die Gegenwart solltewenigstensästhetischaus

Heutzutagebesinntman sich gernauf den Glamour derRoaringTwenties


oder der wilden 70er-Jahre. Doch schon viel früherblicktemanverklärtindie


Vergangenheit. EinRückschauauf dieeuropäische Stilgeschichte.


GlamourgegenRetro


EssayText:Reinhold Knoll

demGeistderVergangenheitableitbarsein.Eswar
die perfekteRetrospektive.Und dieberühmte
WienerOperhatte darannennenswerten Anteil.
AlsokonntenmitdiesenHeldenepenindenOpern
RichardWagners undmit denFestumzügen Ma-
karts Stadtwachstum, Industrie und Arbeiter-
elend perfektverdrängtwerden.
DerAufbruchzur Modernewardaher speziell
in Wien wie ein Missionswerk empfundenwor-
den.DerAufdringlichkeit der Geschichte sollte
ein Ende gesetztwerden. Die stilistischenDefini-
tionenvonVer sacrum,Jugendstil,Sezessionwa-
renselbstvomKronprinzenFranzFerdinandwie
Schimpfworteverwendetworden.Dennochwar
im Kapitalbürgertum diese glamouröse Malerei
gefragt,die aufdie Wiedergabe neuerKoketterie
spezialisiertwar. Die noble Dame hattewohl am
spätenVormittagbeiGustavKlimtimAtelierMo-
dellgesessen,hattenachdemImbissim„Sacher“
dieOrdination desDr.Freud aufgesucht,um
nachher nochimSalon derFlöge-Schwestern in
„Mariahilf“ein Kostüm inAuftrag zu geben.Der
abendliche Besuchder Operwar ohnehineine
Pflic ht.Unddaswarschließlichimgroßflächigen
Damenporträtfestgehaltenworden, samtKos-
tümmit „Wespentaille“und monströsem Hut.
Die Modewarein unverzichtbaresAusdrucks-
mittel geworden, und ab1900 warsie nicht nur
auf die mondäneWelt der Damen beschränkt ge-
blieben, bald gabenJournale für den eleganten
Herren denTonan. DerDandy wargeboren.In
der Diskrepanz der Malerei zwischen Gustav
KlimtsGlamourinWienundFranzvonStucksAb-
gründigeminMünchenwardieneueElitederGe-
sellschaftsichtbargeworden–undzugleichwelt-
bürgerlich.Während sichdie Grafen und Barone
nochinbarockerPosemalenließen–steifsitzend
undvermutlichschönerals inWirklichkeit,die
Behördenvertreter mit Goldkette,Orden, Plas-
tron und gespielter Würde, bevorzugte die Fotos: K. k. Hof-Opernthea

ter1915, Verlag

Ledermann, AKON

/Österreichische Nationalbibliothek

,Reinhold Knoll
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