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sesaufÖsterreichischwarebenfallsgebotenwor-
den:Johanna Matz undRomy Schneider. Wieim-
mer in der Geschichtewarauf die Gegenbewe-
gung nicht lange zuwarten.
Zuerstwar noch ungläubigesStaunen im Land.
Man fragte sichauchnoch1968,wasgegen
Wiederaufbau,bescheidenenWohlstandund So-
zialpartnerschaft einzuwenden ist? Die Studen-
tenbewegung hatte hingegen dem Glanz der
Republik misstrautund diesesonderbareKonti-
nuität erheblicherTeile politischer Elitenach
1945hinterfragt.DieserWiderspruchzuden„wei-
ßenWesten“ warinder Kleidung zumAusdruck
gekommen,das Coco-Chanel-Kostümwurde mit
denJeansgetauscht,derBurberryundTrenchcoat
gegendenNato-Anorak,HalbschuhegegenTurn-
schuhe.Wieinder Architektur gegendie Moder-
ne eine Postmoderne erfunden wurde, so gegen
die übertrieben erscheinende Eleganz der Da-
men- undHerrenmodedie abgerissenen Hosen
und heraushängenden Hemdender unrasierten
bourgeoisen Bohemiens.Undindieserununter-
brochenenAbfolge vonTauschund Täuschung
wareineSynchronisation desGlamourösen mit
demRückgewandteneing etreten. Es ist ununter-
scheidbar geworden, denn beidesist Mode.
Postmoderne Beliebigkeit
In Wien waren anfänglichdie beiden Richtungen
der Architektur 1975 nochzuunterscheiden, etwa
zwischen den ArchitektenWilhelm Holzbauer und
Hans Hollein-der eine der autoritären Modernen
zugeordnet,der andere der gespielten Postmoder-
nen. Die traditionelle Modernewareben inzwi-
mondäneWelt dasFoto bei derSommerjauseim
Salzkammergut.Selbstbewusst positionierte
sicheinealternative Elite im „Salettl“bei heißer
Schokolade gegenüber altemAdel und neuer
Arbeiterschaft.
Selbst einWeltkriegkonnte diese zur Liberti-
nage gesteigerte politische Liberalität nicht ein-
dämmen,schongarnichtbeenden.DieModerni-
sierungwartrotz1918 als Heilsvorstellung in
aller Munde: Sie hießRepublik,Wahlrecht und
soziale Gleichberechtigung.Trotzdemwaren die
Neuerungen bald als Dissonanz empfundenwor-
den.DerModernewarder VerlustvonHeimat,
BrauchtumundnationalerIdentitätvorgeworfen
worden. Diesmalwaraber ein „Retro“kein His-
torismus, sondern derNationalsozialismus. Er
warmodernimMissbrauchder Massenbewe-
gungen, in der Begeisterung für Motorisierung
undRassenhass. Ein üblerTaschenspielertrick
hatte diesenAbschaum zumVolkstum erklärt.
DerRückschlag wird für alleZeiten aus den Pro-
jekten der Modernisierung nichtwegzudenken
sein. Die paramilitärischeUniformwarzur Män-
nerkleidung geworden und das „Dirndl“zum
Nachweis nationaler Zugehörigkeit und Mutter-
schaft.Von GlamourwarinEuropakeine Rede
mehr.Das andereLeben in Glanz,Flitter und
Glückhatte deramerikanische Film angekün-
digt,und die neueFrau tänzelte über alle Hürden
des Lebens hinweg–imKino.Für dieTraumwelt
wareineStadt gebautworden: Hollywood.Kei-
nereinzigenSoubrette hatte man zuvorinEuro-
pa ein Städtchen errichtet!Nochimmer sind die
Repräsentantinnen Hollywoodsvon1950infri-
scher Erinnerung:Doris Dayoder Marilyn Mon-
roe. Daswarunübertroffener Glamour inBlond
und roten Lippen, mit glitzernden Halsketten
und pompösen Ringen.Unddie Zigaretteermög-
lichte den Männern souveränes Betragen–gar
Männlichkeit wie auf der Marlboro-Packung. Im
Revuefilmwaren sie alle im Pettycoat oder Smo-
king stets Stiegen zur Bühne hinuntergeschrit-
ten, Lichtkegel begleiteten sie bei strahlendem
Lächeln.Undmanhatte sie alle indenneuenAdel
erhoben: StarGrace Kellywar schließlichbeides
geworden.
Glamourösesauf Österreichisch
Glamourverdeckte dieNeuauflage eines histori-
schenKonflikts.Selbst inWien hatte man ge-
glaubt,mit neuemWestbahnhof amEuropaplatz
und der Stadthalle sei auchindiese raltbackenen
Stadt die Moderne unwiderruflic hangekommen.
(Inzwischen hatte man diese Zitate wieder zer-
stört ...) Mit dem Glanz des Modernen paarten
sichnach1955die wiedereröffnetenWiener
TheaterunddieSalzburgerFestspiele.DieSelbst-
behauptung der jungenRepublikwargelungen,
undsiezierteeinbescheidenerGlanz.Glamourö-
DieVergangenheit
lässt grüßen:
Postkartevonder
Wiener Ringstraße
aus demJahr 1915.
schen„indieJahre“gekommenbeiVerlustvonPro-
portion undForm, hingegen die Postmoderne in
eine Beliebigkeit,die fast wie der Historismus alle
Zitate der Baugeschichte zuvereinensucht. Es ist
wiedieWiedergabeeinesBekleidungsrituals,dasje
nachTageszeitentwederbefolgtwirdoderaberim-
mer deutlicher die Gefahr derVerwahrlosungen in
der Gesellschaft inFormen derVerachtung oder
GleichgültigkeitvorAugen führt. Eigentlichkann
mannurmehrinderFormderAsozialitätzwischen
den Spielarten derVerwahrlosungen unterschei-
den. Die Armen der Gesellschaftwaren jaohnehin
nie mitgezählt worden. Das differenzierende
Merkmal in der Gesellschaft ist heute die unter-
scheidbareFunktionstüchtigkeit und das Alter der
Kommunikationsinstrumente. R
ReinholdKnoll
habilitierte sich 1983
in politischer und
Kultursoziologie sowie
in Geschichte soziolo-
gischer Theorien.