Der Standard - 20.03.2020

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eniger als drei Mal dieWocheHummer.“ So lautete
dieForderung einer der ersten Bediensteten-
Streiks zurKolonialzeit imUS-Bundesstaat Maine.DenGe-
fängnisinsassen wurde dieKakerlakedes Meeres,der damali-
ge Spitzname desLobsters, täglichvorgesetzt.Hummer als
Prestigeproduktwarfreilichunvorstellbar.
Auch Austernwaren ein Arme-Leute-Essen.Um 1850fisc h-
tensie Goldschürfer in der SanFrancisco Bayzigfa ch aus dem
Meer.Ungefähr zurgleichenZeiterfuhr hingegen dieWein-
bergschnecke in Europa hohe Beachtung.FranzösischeFein-
schmeckerreisten bis nachWien, umauf einem der berühm-
ten Schneckenmärkte ein paar der Tierchen zu erstehen. Spä-
ter verloren sie an Bedeutung. Heutzutage sindSchneckenin
Österreichein voneinigenengagierten Produzenten hochge-
haltenes kulinarisches Erbe.
„Es ist immer eineFrage derVerfügbarkeit“,sagtUwe Spie-
kermann.DerWirts chafts -und Sozialhistoriker hat sichin
zahlreichen Arbeiten mit Ernährung undKonsum der Gesell-
schaft im Laufeder Zeit beschäftigt.Den Prestigestatus hätte
Essenschonlangeverloren.„Mittedes19.Jahrhundertsmach-
tendie Kosten für Essen in einem bürgerlichen Haushalt 50
Prozent des Einkommens aus. Heute sind es in einem Ober-
schicht-Haushalt zwischen fünf und zehn Prozent.“ Zeigestolz
gäbe es beim Essen alsokeinen mehr,vielmehr geht es um das
DemonstrierenvonKönnen, sagt der Experte. Das reichevom
kompetenten Mann, der amAbend für seineFreundekocht
und somit zeigt,dass er ein modernerKerl ist,bis zumWissen
über den MikrogehaltvonProdukten. Über Mineralstoffeund
Spurenelemente und die Herkunft Bescheid zu wissen und
nicht mehrFleischgenerell alsKraftlieferant zu sehen, also.
Dasistenvogue. Eshabesichnämlich einwichtiges Element
in dieKulinarik eingeschaltet,für das nicht nur Bekömmlich-
keitundGeschmackzählen,sagtSpiekermann.Unddasseider
Kopf.Und derkann,wenn er seine Kriterien nicht erfüllt sieht,
zur Spucke in der Suppewerden.

Hummer wandelte sich im Lauf der ZeitvomArme-Leute-Essen zumHöhepunktder


Gourmetküche.Heutewird Luxus in derKüche anders definiert: Es zähltNachhaltigkeitstatt


Exotik. Oder würdenSienoch miteiner Flugmango alsNachtisch prahlen?


W


Eis,Eis,Baby


Schon der römischeKaiserNero
ließEisausdenAlpenimBodenver-
graben, um Speiseeis auchimSom-
mergenießenzukönnen.VieleJahr-
hunderte langwardiesnur privi-
legierten Schichten vorbehalten,
bis Speiseeis im17.Jahrhundert in
Paris auchinCafés undschließlich
sogar auf der Straße angeboten
wurde. Eispackungen und-lutscher
daheim in derWohnung einfrieren,
dieser Luxus ist erst seit einigen
Jahrzehnten möglich, alsKühl-und
Gefrierschränkefür die privaten
Haushalte erschwinglichwurden.
Damitwar EiscremezujederTages-
undNachtzeitverfügbar.

Alles aufessen


Geröstete Leber,Lungenstrudel
oder auchgekochtes Beinfleis ch:
LangeZeit waren dies beliebte und
gerne bestellte Gerichte in den hei-
mischen Gasthäusern.Neue Ernäh-
rungsweisenverdrängten sievon
den Speisekarten, und übrigblie-
ben häufignur mageres Filet und
Kotelett.Heute geht es in vielenLo-
kalen und Haushalten wieder zu-
rückzur bewusstenVerwertung des
ganzen Tieres. Dass das nicht nur
auf Fleischbeschränkt sein muss,
beweistJosh Niland,ein autodidak-
tischerKochausAustralien,mitsei-
nem BuchThe Whole Fish-Cook-
book.

Lobsterfür alle


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mages

Essen&TrinkenText:NinaWessely&PetraEder
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