Der Standard - 20.03.2020

(Ann) #1

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n20Jahren alsDesignjournalist klopft man
an dieTüren unzähligerBleiben,vomStu-
dentennest bis zum Protzpalast.Dochdann
kommt einesTages der absoluteWow-Moment,


in dem einem der Mund offensteht oder –
bundesdeutschformuliert–das Blechwegfliegt.
So geschehen im PalaisRasumofsky im dritten


Wiener Bezirk.
DasRasumofsky istkein Palais imReigen der
vielen alten Stadtpalais, die sichgleic heiner auf-


getrennten Perlenkette über die ganze Stadtver-
teilen.Das Rasumofsky ist,wie soll man sagen,
eine Mischung aus einemRoman vonJane


Austen,einemdreidimensionalenDurchblättern
derZeitschriftArchitecturalDigestund einer
Folge der TV-SerieMiami Vice.Und einordentli-


cher Schuss Museum of Modern Art.Der Prunk-
bau funktioniert alsZeitmaschine, in der sich


Wunderkammer anWunderkammer anschmiegt,
allesamtDestillate aus mehr als 200Jahren. Bis
unters Dachfinden sichunzähligeKunstwerke
undDesignschätze, die so manchberühmtem
MuseumKonkurrenz machen.
Nichtsvonall dem ist zu ahnen,während man
aufder Suchenachdem richtigen Eingang seine
Runden um die Anlage mit ihrenpompösen
Säulendreht,bevordieBlicke aufeinereherpope-
ligenGedenktafel pickenbleiben: „In diesem Ge-
bäudewohnteFürstAndrej K.Rasumovsky,Bot-
schafter desRussischenReichesam HofezuWien
(1790–1799, 1801–1807),deralshervorragender
Diplomat,bedeutender Mäzen undFörderer der
Künste ein bleibendes Andenken in der Ge-
schichteEuropas hinterlassen hat“.Zulesen ist,
washaltsodraufsteht,auf einer Gedenktafel,
aber über den guten Mann, der das klassizisti-

I


scheGebäudeerrichtenließ,diesenMusikmäzen
undKunstsammler,gibtesnochmehr zu sagen:
Unter anderem diente er auf englischenSchiffen,
nahmanderSeeschlachtbeiChiosgegendieTür-
kenteil undwurdeangeblichwegen einer Liebes-
affär emit der späteren Gemahlin desZaren Paul
als Gesandter nachNeapelverfrachtet.1814
brachte er es gar zum russischenDelegierten
beimWienerKongress. Am letztenTagjenes
Jahres,auchKaiser Alexander I.vonRussland
warzugegen, brannte einTrakt des Palais nieder.
Dabei ging so mancherKunstschatz inFlammen
auf.Reichtfür eineRomanvorlage, oder?
Vorallem dasKunstsammeln haben die jetzi-
gen Bewohner des Palais, Antonis Stachel und
Adrian Riklin, mit demUrhausherrn gemein. Mit
ihren beiden jugendlichen Liebhabern haben sie
im Palais ein Zuhause für sichund ihreKunst

DasPalais Rasumofskyimdritten Wiener Bezirk


kenntman höchstensvomVorbeigehen. Dass sich


unter seinem Dach eine schier unfassbareSammlung


modernerKunst befindet,weiß kaumjemand.


Ein Besuch beiKurator Antonis Stachel, der hier


mitdem Industriellen Adrian Riklinauch ein


Zuhause fand. Dieses erinnertan„MiamiVice“


ebenso wieandie Ballnächte des WienerKongresses.


Wo das


Wow


wohnt


HausbesuchText:Michael HausenblasFotos: Stefan Oláh

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