Neue Zürcher Zeitung - 25.03.2020

(coco) #1

INTERNATIONALE AUSGABE


Mittwoch, 25. März 2020 FINANZEN 11


WALL-STREET-NOTIZEN

Abgeordnete


versilbernihren


Wissensvorsprung


Der Insi derhandel von Mitgli eder n
des Kongresses ist ein altes Übel

KRIM DELKO, SAN FRANCISCO

WennKongressabgeordnete mit preissen-
sitiven Informationen an der Börse spe-
kulieren, dann ist das gemäss Gesetz In-
siderhandel. Doch was im Gesetz steht,
scheint bei den Gesetzgebern nichtan-
gekommen zu sein.EineReihe von US-
Senatoren haben kurz vor demAusbruch
der Corona-Krise nach einem Briefing
mit dem amerikanischen Nachrichten-
dienst Aktien in Millionenhöhe verkauft.
Das alleinregt die Öffentlichkeit schon
genug auf. Bemerkenswert ist jedoch,
dass die Abgeordneten offenbar trotz kla-
ren Informationen nicht genügend Mass-
nahmen ergriffen haben, um dasLand auf
denkommenden Sturm vorzubereiten.
Kaliforniens Senatorin DianneFein-
stein zum Beispiel hat laut Berich-
ten Millionen von Dollar liquidiert und
muss nun zusehen, wie ihre Heimatstadt
SanFrancisco ähnlich wie viele andere
Metropolen vor der Knappheit der medi-
zinischen Infrastruktur warnt.Warum hat
sie nach dem Sichern ihres persönlichen
Portfolios nicht wenigstens dafür gesorgt,
dass die nötigen medizinischen Massnah-
men schnellstens ergriffen werden?

Institutionalisierte Korruption


Verblüffend an der Affäre ist, dass den
Mitgliedern des amerikanischenKon-
gresses bis vor kurzem der Insider-
handel nicht einmal untersagt war. Erst
mit dem sogenannten StockAct (Stop
Tr ading on Congressional Knowledge)
von 2012 hat Präsident Obama demTun
ein Ende bereitet. Doch die Abgeordne-
ten nehmen sich wohl immer noch das
Recht heraus, von preisrelevanten Infor-
mationen zu profitieren.
Diese Privilegienkultur hat in
Washington tiefeWurzeln. Schon bei der
Gründung der USAwaren die Abgeord-
neten in derLage, von derartigen Infor-
mationen zu profitieren.Wenn die Ge-
biete imWesten zu neuen Bundesstaa-
ten erhoben wurden, waren nicht sel-
tenKongressabgeordnete zuvor fleissig
dabei,Land zu kaufen. Ähnliches galt
für Eisenbahnrechte oder Minenlizen-
zen. Diese sogenannte institutionali-
sierteKorruption hat sich mit denJahren
immer weiter verschärft. Zum Überlau-
fen kam dasFass nach der Krise 2008, als
ähnlich wie heute herauskam, dass zahl-
reicheKongressabgeordnete vom Bör-
sendebakel profitiert haben. Nach dem
darauffolgendenAufruhr ist dann der
StockAct 2012 verabschiedet worden.

Ein Barometer fürdas Ris iko


InWall-Street-Kreisen sind die Gemüter
diesbezüglich allerdings gespalten. Zum
einen bezeichnen viele das unethische
Verhalten als indiskutabel. Doch imGe-
spräch mit Börseninsidernkommt zum
anderen auch dieFrage der schnellen
Verbreitung von Informationen auf. Das
ist schliesslich eine zentraleFunktion der
Finanzmärkte. Wenn Abgeordnete durch
ihrWissen zum Handeln getrieben wer-
den, dann ist das eine wertvolle Infor-
mation, die auch für andere Marktteil-
nehmer nützlich seinkönnte. Man stelle
sich vor, es gäbe einenVirus-Future, des-
sen Preis dieWahrscheinlichkeit eines
Corona-artigen Ausbruchs reflektiert.
Egal, wer davon profitiert – wichtig ist,
dass die Öffentlichkeit so auch einBaro-
meter hätte, umdas Risiko zu bemessen.
Zurzeit sind solche Diskussionenrein
akademischer Natur, und das Handeln
der betreffenden Senatoren ist nicht zu
entschuldigen. Doch langfristigkönnte
man durchaus bessere Risikomanage-
ment-Methoden für solche Katastro-
phen in Betracht ziehen.

Das Umzugswochenen de findet statt


Der Bund hat die Wohnungswechsel zum Monatsende explizit erlaubt – Komplikationensind kaum zu vermeiden


ANDREA MARTEL


AmkommendenWochenende ist Um-
zugstermin –der wichtigste imJahr.
Deutlich über 50 000 Haushalte planen,
in der Zeit zwischenFreitag und Mitt-
woch ihreWohnung zu wechseln.Was
normalerweisekein Problemist, hat in
der Corona-Krise zu Erschwernissen
und Unsicherheiten geführt.
Komplikationen gibt es, weil die
Freunde daheimbleiben, die beim Zügeln
hätten helfen sollen, weil die Umzugs-
firma meldet, siekönne denAuftrag nun
doch nicht ausführen,oder weil die Haus-
verwaltung kurzfristig zur Einschätzung
gelangt, derzeit aus gesundheitlichen
Überlegungen keine Wohnungsüber-
gaben durchführen zu wollen. Unsicher-
heit ist entstanden,weil man ja eigentlich
angehalten wäre, die eigenen vierWände
nicht zu verlassen, und ein Umzugstrupp
allenfalls dasVersammlungsverbot von
über fünfPersonen verletzenkönnte.
Von behördlicher Seite wurde nun
aber klar grünes Licht gegeben.Wie
Martin Tschirren, der Direktor des Bun-
desamts fürWohnungswesen, am Mon-
tag vor den Medien ausführte, sind Um-
züge weiterhin möglich, genauso wie
auch aufBaustellen und in der Indus-
tri e weitergearbeitet wird.Auch bei den
Umzügen seien allerdings die Hygiene-
undVerhaltensvorgaben einzuhalten.
Wie Tschirren einräumte, ist das im Ein-
zelfall vielleicht nicht ganz einfach. Da
sei das Gespräch zwischen den Betrof-
fenen gefragt.


Die Branc he ist erleichtert


Marcel Hug, der Geschäftsführer des
SchweizerischenVerbands der Immo-
bilienwirtschaft (SVIT), ist erleichtert
über den Entscheid: «Wir hätten zur
Not auch mit einem Nein lebenkön-
nen.Wichtig war vor allem, dass es lan-
desweit eine einheitlicheRegelung gibt.
Aber dasJaistnatürlich unserer Ansicht
nach klar die bessere Lösung.»
DerSVIT hat seinen Mitgliedern
schon vor demVotum des Bundes emp-
fohlen, dieWohnungsübergaben trotz
der Corona-Krise durchzuführen. Denn
jede Übergabe, die nicht stattfindet, hat
einenRattenschwanz vonKomplika-
tionen zurFolge, weil die meistenWoh-
nungen nahtlos weitervermietet wer-
den.Laut Hug ist es möglich,Woh-


nungsübergaben so zu organisieren,
dass niemand ein besonderes gesund-
heitliches Risiko eingeht.
Diesbezügliche Handlungsempfeh-
lungen sind auf derWebsite desVer-
bands aufgeschaltet: «Der ausziehende
und der einziehende Mieter sollte die
Möglichkeit haben, den Schlüssel zu de-
ponieren bzw. den deponierten Schlüssel
entgegenzunehmen, so dasskeinKontakt
stattfindet. Bewirtschafter sollen dann
alleine den Zustand der abzugebenden
Wohnung überprüfen.»
Genau so oder ähnlich praktizieren es
die grossen Bewirtschaftungsunterneh-
men:Für Livit oder Privera ist klar, dass
dieWohnungsübergaben wie geplant
durchgeführt werden. Privera etwa, die
rund 30 000 Wohnungen bewirtschaftet,
hat für dieWohnungswechsel ihren Pro-
zess angepasst. Übergaben finden laut
Michael Stucki, demoperativen Lei-
ter des Immobiliendienstleisters, nicht

mehr in derWohnung im Beisein aller
Parteien statt. Die alten und die neuen
Mieter treffen sich stattdessen vor dem
Haus mit dem Mitarbeiter derVerwal-
tung. Nur dieserbetritt dieWohnung und
nimmt sie alleine ab. Der neue Mieter
hat nach dem Einzug zweiWochen Zeit,
seine Beanstandungen zu melden. Selbst
das Unterzeichnen derFormulare muss
laut Stucki nicht vor Ort geschehen: Man
kann sie auch perPost zustellen.
Dass es unter den gegenwärtigen
Umständen vermehrt zuKomplikatio-
nenkommen wird, ist laut Stucki nicht
zu vermeiden. So gibteseinigeFälle
wie jenen der Mieterin aus dem Kan-
tonFreiburg, die letztesWochenende zu
Bekannten nachFrankreichreiste und
dort nun unter «Hausarrest» steht – und
den Schlüssel ihrer altenWohnung nicht
bei sich hat. Oder jenen des Schwei-
zers, der per April nach Amerika aus-
wandern wollte und nun nicht ausreisen

kann. Hier gilt es, individuelle Lösungen
zu finden. DieVermieter stellen teilweise
leereWohnungen für Übergangsnutzun-
gen zur Verfügung.

RunderTisch mitVerbänden


Das Umzugsthema mag auf demWoh-
nungsmarkt derzeit gerade das drän-
gendste sein. Es stellen sichallerdings
noch weitereFragen, wie etwa die, was
passiert, wenn jemand die Miete nicht
mehr zahlen kann, oder was mitVer-
mietern ist, dieAusfälle bei den Mie-
ten haben,aber ihrerseitsRechnungen
oder Hypothekarzinsen zahlen müssen.
Zu solchenFragen, die sowohlWohn-
als insbesondere auch Geschäftsliegen-
schaften betreffen, wird laut Tschir-
ren ein runderTisch mitVertretern von
Mieter- und Vermieterverbänden durch-
geführt. Anschliessend würdenMassnah-
men beschlossen.

Mieter haben keine besonderen Rechte inder Krise


Was ist zu tun, wenn das Reinigungsunternehmen ausfällt? Wie läuftdie Wohnungsabnahme im Krankheitsfall ab?


ANNE-BARBARA LUFT


Am 31. März ist einer der beiden gros-
sen Umzugstermine in der Schweiz.
Unter Mietern undVermietern herrscht
nun grosse Unsicherheit:Können alle
geplanten Umzügetrotz der «ausser-
ordentlichenLage» stattfinden? Der
Bundesrat hat am Montag bestätigt,
dass eskeinen «Zügelstopp» gibt. Der
Mieter kann sich zum heutigen Zeit-
punkt also nicht auf einen Notfall be-
rufen,falls erkeine Umzugsfirma mehr
findet. In Anbetracht der schwierigen
Situation sei daher eine sorgfältige und
rechtzeitige Planung sehr wichtig, sagt
Fabian Gloor, Jurist beim Mieterinnen-
und Mieterverband Deutschschweiz
(MV). Mietern ist zu empfehlen, recht-
zeitig beim Umzugsunternehmen nach-
zufragen, ob sie den Umzug wie geplant
vornehmenkönnen. Sollte dies nicht
möglich sein, so müssen Alternativen
gefunden werden – beispielsweise ein
anderes Unternehmen anfragen oder
Freunde um Hilfe bitten.


BeimAuszug müssenWohnungen
gründlich gereinigt übergeben werden.
Doch wasistzu tun, wenn das gebuchte
Reinigungsunternehmen wegen der
Corona-Pandemie nicht antreten kann?
Mietrechtlich sei man grundsätzlich nicht
verpflichtet, dieWohnung durch einRei-
nigungsunternehmen putzen zu lassen,
sagt Mietrecht-Experte Gloor. Eswürde
dem Mieter dann halt nichts anderes
übrig bleiben, als selbst zu putzen.

Rücksichtnehmen


Mieter sind grundsätzlich nicht verpflich-
tet, dieWohnung persönlichabzugeben.
Wenn man krank ist oder unter Quaran-
täne steht, muss jemand damit beauf-
tragt werden, dieWohnung abzugeben.
Grundsätzlich muss eine gekündigte
Wohnung auchin der gegenwärtigen
Lage am Ende der Mietdauer zurückge-
geben werden.Wer beispielsweise krank
ist, sollte auf jedenFall denVermieter
rechtzeitig darüber informieren und mit
ihm gemeinsam eine Lösung suchen. Den

Schlüssel kann man demVermieter auch
eingeschrieben zurückschicken.
Für Unterhalt, Wiedervermietung
oderVerkauf der Liegenschaft darf der
Vermieter– nachrechtzeitiger Ankündi-
gung – dieWohnung betreten.Dasselbe
gilt, wenn der Mieter auszieht. In Anbe-
tracht der momentanen Situation ist ins-
besondere auf Mieterinnen und Mieter,
die krank sind oder die zu den besonders
gefährdetenPersonengruppen gehören,
besondersRücksicht zu nehmen und auf
eine Besichtigung gänzlich zu verzichten,
sagtJurist Gloor. Der Zutritt kann nach
Ansicht des MV in einem solchenFall
verweigert werden. Dergesunde Men-
schenverstand lege aber nahe, das Zu-
trittsrecht im Interesse der Gesundheit
der Bevölkerung dann gar nicht erst zu
beanspruchen.

Beizeiten dasGesprächsuchen


Die besondere Situation hat auch
für einige Privathaushalte wirtschaft-
licheFolgen. Was passiert, wennMie-

ter ihren Mietzins nicht zahlenkönnen,
weil sie wegen desVirus einreduzier-
tes oder garkein Einkommen haben?
Auch in Zeiten von Corona droht dann
dieKündigung. Um es gar nicht erst so
weitkommen zu lassen,rät Gloor vom
MV, rechtzeitig – idealerweise noch vor
derFälligkeit des Mietzinses – denVer-
mieter anzuschreiben, um die persön-
licheLage zu schildern und um einen
Zahlungsaufschub zu bitten. Denkbar
sind auchVereinbarungen mitRaten-
zahlungen oder das Gewähren länge-
rer Zahlungsfristen. Mieter sollten laut
Gloor eine solche Abmachung unbe-
dingt schriftlich festhalten.
Das Ziel, eine gemeinsame Lösung
zu finden, liegt nach Ansicht von Gloor
im Interesse der ganzen Gesellschaft–
ausserordentliche Umstände verlan-
gen nach ausserordentlichen Lösungen.
Sollte derVermieter dennochkeineVer-
handlungsbereitschaft zeigen und die
Kündigung aussprechen, so sollten Mie-
ter diese nicht einfach hinnehmen, son-
dern innerhalb von 30Tagen anfechten.

Jedes Jahr zieht ein Sechstel aller SchweizerHaushalte um (imBild die ÜberbauungFreilager in Zürich). DOMINIC STEINMANN / NZZ

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