Neue Zürcher Zeitung - 25.03.2020

(coco) #1

INTERNATIONALE AUSGABE


12 MEINUNG & DEBATTE Mittwoch, 25. März 2020


Manager sollen dasBankgeschäftradikal aus der Perspektive derKunden denken. KARIN HOFER / NZZ


Neue Banker


braucht das La nd


Schweizer Finanzhäuser kämpfen in ihren Kerngeschäften mit Ertragserosion und Margendruck.


Die Corona-Krise verstärkt den Leidensdruck noch. Gefragt sind neueGeschäftsmodelle


und Banker, die den Transformationsprozess vorantreiben.Von Ermes Ga llarotti


Das Coronavirus trifft die SchweizerBanken in einer
Umbruchsituation. Zwar haben sie nach derFinanz-
krise von 2007/08 ihre Kapitaldecke verstärkt und
Liquiditätsreserven geäufnet,Kosten gespart und die
Digitalisierung ihrer Angebote und Prozesse voran-
getrieben. Aber die anekdotische Evidenz wird
immer mehr zur Gewissheit: Mitden herkömmlichen
Geschäftsmodellen ist auf dieLängekein Staat mehr
zu machen. Sie sind in dieJahre gekommen, ihr Halt-
barkeitsdatum ist überschritten. Geschäftsfelder, die
vor derFinanzkrise profitabel waren, leiden heute
unter Ertragserosion und Margendruck. Die Corona-
Krise wird einen Leidensdruck massiv verstärken,
der schon vor ihremAusbruch spürbar war.
Im klassischenRetail-Geschäft sind es in erster
Linie hartnäckig niedrige oder gar negativeZinsen,
die zur Bedrohungwerden. Spargelder entgegenzu-
nehmen und sie inForm von Krediten anKunden
weiterzugeben, lohnt sich für eineBank je länger, je
weniger – mit der für sie herausspringenden Zins-
differenz wird es immer schwieriger, Kosten zu de-
cken und Investitionen zu finanzieren.
Vor diesem Hintergrund ist dieVersuchung
gross, schrumpfende Margen über eineAusweitung
des Kreditvolumens zukompensieren. Aber damit
steigt auch das Risiko von Kreditausfällen, denn in
derRegel lassen sichVolumen nur steigern, wenn
Abstriche an der Bonität der Schuldner hingenom-
men werden. Zusätzlich drängenFintech-Anbieter
und Smartphone-Banken in den Markt, ganz nach
dem Motto«Your margin is my opportunity».


Die Unsicherheit bleibt


Die Corona-Krise verschärft den Margendruck zu-
sätzlich.Wenn Unternehmen stillstehen,keine Um-
sätze mehr erwirtschaften, wederRechnungen noch
Löhne bezahlenkönnen, drohen ihnen, ihren Liefe-
ranten und ihren Abnehmern existenzgefährdende


Liquiditätsengpässe. Um diesenFirmenrasche, un-
bürokratische Hilfe zu bieten, bürgt der Bund ab Don-
nerstag zwar für Kredite im Gesamtbetrag von 20 Mil-
liardenFranken, die sie bei ihrerBank beanspruchen
können. Aber ob das ausreicht, um dieWirtschaft in
Gang zu halten, steht auf einem anderen Blatt.
ÄhnlicheProbleme wie bei dem in erster Linie
von inlandorientiertenBanken betriebenen Privat-
undFirmenkundengeschäft stellen sich in derVer-
mögensverwaltung, der zweitenKerntätigkeit schwei-
zerischerBanken. Obwohl ihnenKunden immer neue
Gelderzur Betreuung anvertrauen und der Stock an
verwaltetenVermögen stetig wächst, erodieren die
Kommissions- und Dienstl eistungserträge. Die von
der Corona-Krise ausgelöstenKurseinbrüche schmä-
lern den Marktwert der Depotbestände und brem-
sen damit den Strom bestandesabhängiger Gebühren.
Jehöher der Aktienanteil der investierten Gel-
der ist, umso stärker wirkt dieser negative Effekt.
Zwar sorgt Unsicherheit in derRegel für mehr
Volatilität, was sich in anziehenden Handelsvolu-
mina und damit auch in einer Zunahme der trans-
aktionsabhängigen Erträge manifestiert. Aber ob
das ausreichen wird, um die Ertragsausfälle zu
kompensieren, ist unsicher.
Rächenkönnte sich zudem, dassFinanzhäuser
auf der Suche nach zusätzlichen Erträgen dazu
übergegangen sind, ihrenKunden imVermögens-
verwaltungsgeschäft vermehrt Kredite zu gewäh-
ren. Die Corona-bedingtenKurseinbrüche schmä-
lern den Marktwert derWertschriften, die als
Sicherheit für einen Kredit hinterlegt wurden. Ist
der Kredit nicht mehr gedeckt und ist derKunde
nicht in derLage, neueWertschriften als Sicher-
heit nachzuliefern, liquidiert dieBank sein Depot.
Das istinerster Linie schmerzlich für denKunden,
aber möglicherweise auch für dieBank. Denn statt
dass sie, wie erhofft, zusätzlich zu denVerwaltungs-
gebühren eine Zinsmarge auf dem Kreditverdient,
drohen ihrWertberichtigungen undAusfälle.

Jenseits aller Ertrags- und Kreditrisiken muss
der vomVirus ausgelösteKurssturz die Schweizer
Banken auch aus einem anderen Grund beunruhi-
gen: Er macht sie zu Übernahmekandidaten. Die
beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse (CS),
der Stolz der Branche, sind an der Börse nur noch
etwas über 30 Milliarden beziehungsweise weniger
als 20 MilliardenFranken wert.
Für amerikanische Institute, die beispielsweise
ihrVermögensverwaltungsgeschäft ausbauen oder
ihre Präsenz in Asien stärken möchten,könnte ein
Einstieg durchaus attraktiv sein. Zur Erinnerung:
Allein im vergangenenJahrhat JP Morgan, die füh-
rende amerikanischeBank, einen Gewinn von 36
MilliardenDollar erzielt.Das entspricht ziemlich
genau denJahresgewinnen, die UBS und CS zu-
sammen seit derFinanzkrise ausgewiesen haben.

Für ein Butterbrot


Damit wird klar: Die SchweizerBanken und viele
ihrer europäischenKonkurrenten stehen vor einer
doppelten Herausforderung. Zum einen muss es für
sie in der kurzen und mittlerenFrist darum gehen,
dieFolgenderCorona-Krise zu verdauen und die
seitJahren anhaltende Ertragserosion zu stoppen.
Zum andern gilt es in einer längerfristigen Sicht,
die in dieJahre gekommenen, vomraschenWan-
del überforderten Geschäftsmodelle von Grund auf
neu zu denken. Beides, das Arbeiten an der opera-
tivenFitness und die strategischeTr ansformation,
muss parallel vorangetrieben werden.
Vergleichsweise bekannt mutet dasTerrain an,
wenn es darum geht, die operativeFitness zu ver-
bessern – das ist Management-Alltag. Ein wichti-
ger Hebel sind dieKosten, und weil typischerweise
dreiViertel desKostenblocks einerBankPersonal-
kosten sind, ist ein Ansatzpunkt klar: Es gilt,in den
rückwärtigen Bereichen möglichst vieleTeile der
Wertschöpfungskette zu standardisieren, zu auto-
matisieren und zu digitalisieren.
In Betrachtkommen zudemAuslagerungen
vonBackoffice-Funktionen oderKooperationen
mitBanken und Drittanbietern. Aberauch an der
Front bietet gerade die Digitalisierung die Möglich-
keit, Kunden zu jeder Zeit und von jedem beliebigen
Ort aus über den individuell bevorzugten Kanal Zu-
gangzur Angebotspalette derBank zu eröffnen.Just
die Corona-Krise zeigt, wie wichtig digitale Infra-
strukturen sind – auch und gerade für eineBank.
Viel herausfordernder als die Optimierung der
betrieblichen Effizienz ist die langfristigeTr ansfor-
mation, denn sie bedarf einesradikalen Umden-
kens, einer neuen,alleinan den Bedürfnissen der
Kunden ausgerichteten Unternehmenskultur. Es
liegt in der Natur der Sache, dass es grosse Organi-
sationen wie UBS und CS schwer haben, ihre histo-
risch gewachsenen Strukturen über Bordzu werfen,
aus den Sicherheit bietenden Silos auszubrechen,
die Unsicherheit zu wagen und in ihr nicht nur Risi-
ken, sondern auch Opportunitäten zu sehen.
Wie sollen Manager, die in der Linie gross ge-
worden sind,vom Kreditmitarbeiter zum Kredit-
chef und später gar zum CEO aufgestiegen sind
und ihre Karriere vornehmlich fachlichen Qualifi-
kationen verdanken, eineBank von gestern in die
Bank von morgen überführen?Warum sollen sie
zwar erodierende, aber immer noch ansehnliche Er-
träge aus traditionellen Geschäftsfeldern zuguns-
ten von unsicheren Einnahmen in der Zukunft aufs
Spiel setzen?Wieso sollen sie die Sicherheit ihres
Silosaufgeben und ihreKarriere riskieren? Solange
der Leidensdruck einigermassen erträglich bleibt,
wird das solchen Organisationen inhärente Immun-
system innovatorische Initiativen abwehren.

Generation «soft skills»


Not tut eine Generation von Managern, die denWan-
del als Chance verstehen, dasBankgeschäftradikal
aus derPerspektive derKunden neu denken, Erfah-
rung undWissen aus anderen Branchen mitbringen.
Neben fachlichen Qualifikationen gewinnen «soft
skills» an Bedeutung. Dazu zählen sozialeKompe-
tenzen wieTeamfähigkeit, Empathie oderKommuni-
kationstalent. Aber auch Eigenschaften wie Neugier,
Selbstdisziplin und Eigenverantwortung.
Mittlerweile gibt es durchaus Indizien dafür,
dass Änderungen in Gangkommen.In denver-
gangenenWochen und Monaten haben eine ganze
Reihe europäischerBanken, darunter HSBC, Bar-
clays, DeutscheBank,RoyalBank of Scotland oder
die beiden Schweizer Grossbanken Credit Suisse
und UBS, neue Chefs berufen – einige von ihnen
zum wiederholten Mal seit derFinanzkrise.
Diese neuerlicheWelle personeller Änderungen
ist ein Zeichen dafür, dass es denFinanzhäusern
mit den altenRezepten nicht gelingen will, zu al-
ter Stärke zurückzufinden. Und bietet sie einer
neuen Generation vonFührungspersönlichkeiten
dieMöglichkeit,denTr ansformationsprozessvor-
anzutreiben.
Grosse Erwartungen weckt in dieser Hinsicht
Ralph Hamers, der designierte Nachfolger von Ser-
gio Ermotti an der Spitze der UBS. Er geniesst den
Ruf eines digitalenRegenmachers, der eineBank
fit fürdie Zukunft trimmen kann – man wird sehen.
Jedenfalls wird ihm die Corona-Krise zusätzlichen
Rückenwind verschaffen.

Not tut eine Generation von


Managern, die Erfahrungen


aus anderen Branchen


mitbringen – soziale


Kompetenzen wie


Teamfähigkeit, Empathie


oder Kommunikationstalent


gewinnen an Bedeutung.

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