Neue Zürcher Zeitung - 25.03.2020

(coco) #1

INTERNATIONALE AUSGABE


24 SPORT Mittwoch, 25. März 2020


Home-Office imSchweizer Fussball I: AmMorgen


ist der Cheftrainerjetzt manchmal Lehrer SEITE 25


Home-Office imSchweizer Fussball II: Die Bürotüre


des Klubpräsidenten steht offen, «einfachvirtuell» SEITE 25


Geliebter Feind


In der Corona-Krise fühlen sich diejenigen bestätigt, die im IOK-Präsidenten Thomas Bach schon immer einen spröden Technokraten sahen


DANIEL GERMANN


In Krisen wie diesen braucht der Mensch
einenFreund – und mindestens zwei
Feinde, an denen er dieWut über sein
Leid auslassen kann. Besonders geeig-
net für dieRolle einesFeindes ist dieser
Tage zumindest im SportThomasBach,
Degenfechter a. D., Doktor derRechts-
wissenschaften und vor allem Präsident
des Internationalen OlympischenKomi-
tees (IOK).Wer dieWut erahnen will,
die sich am 66-jährigen Deutschen ent-
lädt, der muss einen kurzen virtuellen
Spaziergang im Irrgarten der sozialen
Netzwerke machen:
«ThomasBach würde auchWinter-
spiele in Ischgl abhalten.»
«ThomasBach zeigt seinen wahren
Charakter.»
«Das Blut klebt an den Händen von
ThomasBach.»
«ThomasBach bekommt jetzt schon
Gold in der Disziplin Ignoranz und
komplette Realitätsverweigerung.»
«ThomasBach, vonBerufGeister-
fahrer.»
«Ich dachte, nach Donald (Trump),
Boris (Johnson) und Wladimir (Putin)
könne nichts schlimmer werden...
Aber dannkommt das IOK vonTho-
mas Bach.»
«ThomasBach ist ein von jeglicher
Moral befreiter Sportfunktionär, und
gerade deshalb schenken wir ihm beim
IOK unser vollstesVertrauen.»
DieAuswahl der Protestnoten er-
hebtkeinen Anspruch aufVollständig-
keit und guten Geschmack.


Unverantwortlich und gefühllos


Es ist High Noon, Zeit der Abrechnung.
Die Colts sind gezückt. Niemand ver-
stand, dass sich das IOK angesichts der
Corona-Krise bis Dienstag nicht zur
Verschiebung der Olympischen Spiele
in diesem Sommer inTokio durchgerun-
gen hatte (siehe Zusatz), während an-
dere Sportverbände ihre Grossanlässe
längst abgeblasen hatten.
Doch als ehemaliger Olympiafech-
ter kennt sichBach aus in derKunst der
Verteidigung. Getroff en hat ihn allent-
halben, dass sich auch Menschenaus
demVertrautenkreis gegen ihn zu stel-
len begannen. Der deutsche Säbelfech-
ter Max Hartung sagte am Samstag
im Sportstudio des ZDF, er werde auf
die Teilnahme an den Spielen verzich-
ten, falls sie in diesem Sommer statt-
fänden. HartungsWort hat Gewicht,
weil er auch der Athletensprecher des
Deutschen Olympischen Sportbundes
ist. Die Kanadierin HayleyWickenhei-
ser, als Eishockey- und Softballspiele-
rin fünfmal an Olympischen Spielen da-
bei und heute Ärztin, schrieb aufTwit-
ter, das IOK handle «unverantwortlich
und gefühllos», wenn es an den Plänen
für Tokio 2020 festhalte.
Wickenheisers Statement war vor
allem deshalb bemerkenswert, weil sie
seit 2014 als Athletenvertreterin im IOK
sitzt. Das kanadische NOK, dem sie an-
gehört, hatte am Sonntagreagiert und
entschieden, in diesem Sommerkeine
Athleten nachTokio zu entsenden.
Das Handlingder Corona-Krise ist
für das IOK zum PR-Desaster gewor-
den. Mässigende Stimmen, wie jene des
SchweizersRené Fasel, der in einem
Interviewmit derNZZ sagte, Bach habe
bisher alles richtiggemacht, wurden
immer mehr zu denAusnahmen.Fasel
ist Mitglied des IOK und gehört damit
gewissermassen von Amtes wegen zum
Kreis derVerdächtigen. Gleichzeitig gilt
er intern als einer der schärfsten Kri-
tikerBachs. Der Deutsche hatFasel
innerhalb des IOK kaltgestellt.
Bach selber trotzte diesem Sturm,
der über ihn hinwegfegte, wie er das
meistens tat: mitLangmut. Erst vor


zehnTagen äusserte er sich erstmals
öffentlich, in derTagesschau der ARD.
In leicht verkrampfter Haltung, mit
einemLächeln auf den Lippen, wie
ins Gesicht geklebt, insistierteer, man
arbeite weiterhin mit voller Kraft auf
die Eröffnung der Spiele am 24.Juli
hin. Man stehe inregelmässigemKon-
takt mit derWeltgesundheitsorganisa-
tion (WHO), deren Empfehlungen man
folgen werde. Und dann sagteer noch:
«Das haben wir schon vor vierJahren
vor den Olympischen Spielen in Rio

de Janeiro getan,als es um das Zika-
Virus ging.»

Dürftiger Ausweis


Dieser eine Satz zeigte das Problem von
Bach und dem IOK:Zumindest vor zehn
Tagen unterschätzten sie das Corona-
virus und seineAuswirkungen noch in
fatalerWeise. Dem Zika-Virus konnten
nur wenigeTodesfälle zweifelsfrei zuge-
schrieben werden. Das Coronavirus hin-
gegen hat bis am Dienstag weltweit be-

reits über16 500 Todesopfer gefordert.
Bach war nicht allein in derFehlinter-
pretation derFakten: Gerade in seiner
deutschen Heimat hat man die Gefähr-
lichkeit desVirus bis vor kurzem sträf-
lich unterschätzt. Die Bundesliga spielte
noch vor vollen Zuschauerrängen, als
in Italien und der Schweiz die Stadien
längst geschlossen waren.
Bachs Ausweis als Krisenmanager an
der Spitze des IOK ist ohnehin dürftig.
Seit 2013 im Amt, hat er bisher nur sel-
ten überzeugt.Er klammert sichan seine

Reformagenda 2020, mit der er seinen
Wahlkampf betrieb, die bis heute a ber
kaum mehr als einPapiertiger ist. Die
Eindämmung des olympischen Gigan-
tismus, die die Agenda zurFolge haben
soll, ist ihm bisher nicht gelungen. Statt-
dessen laufen dem IOK vor allem im
Winter die potenziellen Gastgeber da-
von. Die schlechtesteFigur allerdings
machteBach im Skandal um das rus-
sische Staatsdoping. Statt dieFührung
zu übernehmen, versteckte er sich hin-
ter formaljuristischen Spitzfindigkeiten

und schob dieVerantwortung an seine
Mitgliederverbände ab. Wie nun dieVer-
antwortung für eineReaktion auf das
Coronavirus an die WHO.
Es sehen sich all diejenigen Kriti-
ker bestätigt, die inBach schon immer
einen sprödenTechnokraten sahen, der
vor allem anderen seiner eigenenAgenda
verpflichtet ist. Schon früh suchte er die
Nähe jener Menschen, die ihn persönlich
weiterbrachten. SeineVita als Lobbyist
und Sportfunktionär ist voller Brüche und
Fragezeichen.Er arbeitete für den Sport-
artikelherstellerAdidas, war Berater des
Elektronikkonzerns Siemens und des
Industriedienstleisters MANFerrostaal;
er vertrat die Interessen einer kuwaiti-
schen Investorengesellschaft in Europa.
Und er präsidierte bis zu seinerWahl an
die Spitze des IOK die deutsch-arabische
Handelskammer. Zu diesem Mandat äus-
ser te er sich gegenüber der «Frankfurter
Allgemeinen Zeitung» in einemPorträt
im Jahr 2006 dahingehend, dass derPos-
ten zwar ehrenamtlich sei, aber «beruf-
lich enorm hilfreich».

Immer wiederWidersprüche


Bach hat sich immer wieder inWider-
sprüche verstrickt, musste sich für Man-
date, Bezüge oder Allianzenrechtferti-
gen. Die hohen Entschädigungenals Be-
rater von Siemens drohten in Deutsch-
land zur politischen Krise auszuarten.
Die Nähe zu Ahmadal-Fahad al-Ahmed
al-Sabah gefährdete in letzter Minute
seine Wahl zum IOK-Präsidenten. Der
kuwaitische Scheich hatte in einem deut-
schenTV-Magazin zugegeben, Stimmen
für Bach gesammelt und damit gegen
die Charta verstossen zu haben. Die an-
schliessende Untersuchung der IOK-
Ethikkommission verlief im Sand.
Der Scheich Sabah lässt mittlerweile
weg en Korruptionsvorwürfen all seine
Ämter beim IOK und bei derFifa ruhen


  • freiwillig, wie es offiziell heisst. An
    Bach aber ist bis heute nichts dauerhaft
    hängengeblieben.Vorwürfe und Kritik
    perlen an ihm und seiner glatten, aus-
    druckslosen Oberfläche ab. Der «FAZ»
    hatte er im erwähntenPorträt gesagt:
    «Der überraschendste Angriff imFech-
    ten ist derkerzengeradeAusfall. Den
    habe ich gern gepflegt. Aber man muss
    auch das andere beherrschen.»
    Bach hat sich diese Alternative längst
    zum Glaubenssatz gemacht: Er greift
    nicht mehr frontal an, er taktiert und
    wiegelt ab. DerFairness halber sei ge-
    sagt: Olympia verschiebt man nicht ein-
    fach so – und schon gar nicht sagt man
    die Spiele leichtfertig ab. Japan hat über
    20 MilliardenFranken in sie investiert.
    Die Absage wird dieWirtschaft des
    durch Tsunami undReaktorkatastrophe
    gebeuteltenLandeserschüttern.


ThomasBachtrotzte demSturm, der über ihn hinwegfegte, wie er dasmeistens tat: mit Langmut. LAURENT GILLIÉRON / KEYSTONE

Thomas BachsVita
als Lobbyist
und Sportfunktionär
ist voller Brüche
und Fragezeichen.

Die Olympischen Sommerspielein Japan werden verschoben


(afp)/phb.· Wegen der Coronavirus-
Pandemiehaben sichJapansRegie-
run gschef Shinzo Abe undThomas
Bach, Chef des Internationalen Olym-
pischenKomitees (IOK), auf eineVer-
schiebung der im Sommer inTokio ge-
planten Olympischen Spiele geeinigt.
«Ich habe eineVerschiebung um unge-
fähr einJahr vorgeschlagen, und Prä-
sidentBach war zu 100 Prozent ein-
ver standen», sagte Abe am Dienstag.
Eigentlich sollten die Sommerspiele
vom 24.Juli bis zum 9.August inTokio
stattfinden, in letzter Zeit hatte es aber
weltweit immer massivereForderungen
nach einerVerschiebung gegeben.
Das IOK wollte die Entscheidung
über das Stattfinden der Spiele ur-
sprünglich jetzt noch nicht fällen.Viel-
mehr hatte es noch am Sonntag ange-
kündigt, erst innerhalb derkommenden
vier Wochen über eineVerschiebung zu
ent scheiden.Seitdem erhöhte sich der

Druck aufdas IOK undJapan alsAus-
richterland allerdings nochmals: Unter
anderem kündigten Kanada undAus-
tralien an,in diesem SommerkeineAth-
leten nachTokio zu schicken.Auch der
Präsident desWelt-Leichtathletik-Ver-
bands, Sebastian Coe, forderte eineVer-
schiebung der Spiele.
In einem Brief an das Internationale
OlympischeKomitee hatteSwiss Olym-
pic am Montagein e Verschiebungbe-
antragt. «Die Athletinnen und Athleten
leiden unter schwierigenTrainingsbedin-
gungen», wird derSwiss-Olympic-Präsi-
dentJürg Stahl in der Medienmittei-
lung zitiert. «Zudem haben nun die ers-
ten Länder ihre Olympia-Teilnahme ab-
gesagt. Unter diesenVoraussetzungen
sind aus unserer Sichtkeine fairen,welt-
umspannenden Olympischen Spiele im
Sinne der olympischen Bewegung mög-
lich.» DerDachverband des Schwei-
zer Sports hatte sich schon am Sonntag

schriftlich an das IOK gewandt – mit der
Bitte, einen Zeitrahmen zu definieren für
den Entscheid,ob die Spiele plangemäss
durchgeführt,verschoben oderabgesagt
würden. Dieser Bitte kam das IOK glei-
chentags nach,indem es einen Entscheid
innert Monatsfrist inAussicht stellte.
Bereits vor dem Beschluss des Exeku-
tivrats hatteSwiss Olympic am Mon-
tag angekündigt, analog zum deutschen
Dachverband DOSB eine Athletenum-
frage durchzuführen, um ein umfassen-
des Stimmungsbild zu erhalten.
Neben unzähligen Athletinnen und
Athleten hatte mitWorld Athletics auch
ein zentralerWeltverband des olympi-
schen Sports das IOK zu einerVerschie-
bungaufgefordert. Das nationale olym-
pischeKomitee Kanadas war in der Mei-
nungsbildung viel weiter. Es hatte ent-
schieden,keine Delegation nachTokio
zu entsenden,sollten die Spiele in die-
sem Sommer stattfinden.
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