Neue Zürcher Zeitung - 25.03.2020

(coco) #1

4 INTERNATIONAL Mittwoch, 25. März 2020


INTERNATIONALE AUSGABE


Die AfD wird ihren «Flügel» nicht so leicht los


Radikale Gruppierung um Björn Höcke ze igt vordergründig Kompromissbereitschaft


MARC FELIX SERRAO, BERLIN


Der«Flügel» der AfD verschwindet
wohl inKürze, aber nur dem Namen
nach. Nachdem der Bundesvorstand der
Partei den thüringischenLandesvorsit-
zenden Björn Höcke und dessen Unter-
stützer aufgefordert hatte, ihr Bündnis
aufzulösen, hat der 47-JährigeKompro-
missbereitschaft signalisiert. Es finde ja
bereits eine «Historisierung» der Bewe-
gung statt, sagte er in einem am Samstag
veröffentlichten Gespräch mit demrech-
tenVerleger GötzKubitschek.Nungehe
das, «worüber wir längst nachdenken,
eben schneller». Seine Bewegung habe
in den vergangenen fünfJahren «den
Einbau der AfD ins Establishment» ver-
hindert. Heute brauche es einen neuen
Impuls, der die Einheit derPartei betone.
Mit dem Interview versucht Höcke,
seinen parteiinternen KritikernWind
aus den Segeln zu nehmen und zugleich
den eigenenFührungsanspruch zu be-
kräftigen. Denn die Einheit, die ihm vor-
schwebt, dürfte eine Einheit nach den
Vorstellungen des «Flügels» sein: völ-


kischundradikal. Ob und wann dessen
Name tatsächlich verschwindet, ist noch
unklar. Auf derFacebook-Seite der Be-
wegung hiess es am Sonntag, dass Mel-
dungen über eine bereits beschlossene
Auflösung falsch seien: «Zutreffend ist,
dass wir uns derzeit intensiv mit der
Bewertung und möglichen fristgemäs-
sen Umsetzung des Bundesvorstands-
beschlusses zum ‹Flügel› beschäftigen.»

Meuthen sucht Schulterschluss


Konflikte zwischen vergleichsweise
moderaten AfD-Mitgliedern und den
mittlerweile angeblich etwa 70 00 «Flü-
gel»-Anhängern gibt es seit Jahren.
Doch Letztere wurden von der Spitze
stets geschützt. DenTon gab der heutige
Ehrenvorsitzende Alexander Gauland
vor. Erst kürzlich verortete der 79-Jäh-
rige denParteifreund Höckenochin der
«Mitte» der AfD.
Auch der Co-ParteichefJörgMeu-
then suchte irgendwann den Schulter-
schluss mit denRadikalen. Im Herbst
201 8 machte er erstmals dem Höcke-

IntimusKubitschek seineAufwartung
und hielt bei einer von dessen «Akade-
mien» eineRede. DerVerleger gilt als
strategischerKopf hinter demPoliti-
ker Höcke; die beiden Männerkennen
sich seitJahrzehnten.Auch mit dem
brandenburgischen AfD-Chef Andreas
Kalbitz, dem zweiten starken «Flügel»-
Mann, istKubitschek befreundet.
Der Grund für denKurswechsel des
Parteivorstands ist der Verfassungs-
schutz. Deutschlands Inlandgeheim-
dienst hat den«Flügel» Mitte März
als «erwiesen extremistische Bestre-
bung» eingestuft. Damit kann er die
ganzePalette nachrichtendienstlicher
Instrumente einsetzen. Die AfD-Spitze
reagierte öffentlich mit Empörung und
sprach von einer «Instrumentalisierung»
der Behörde. Meuthen nannte die Mate-
rialsammlung desVerfassungsschutzes
über den «Flügel» ein «politisch moti-
viertes Anti-AfD-Konvolut».
Internist die Nervosität jedoch gross.
Denn «Flügel»-Anhängern drohen be-
rufliche Schwierigkeiten, vor allem
denen, die im Staatsdienst tätig sind.Wer

Mitglied einer extremistischen Organisa-
tion sei, «der wird zukünftig ein Problem
mit seiner Dienststelle bekommen»,
drohte der Verfassungsschutzpräsi-
dentThomas Haldenwang. Die übrigen
AfD-Mitglieder stehen alsParteifreunde
ebenfalls unterRechtfertigungsdruck.
Auch weil der «Flügel»keine feste Struk-
tur undkeine offiziellen Mitgliederlisten
hat,könnten der AfD als Ganzes die Be-
obachtung durch den Geheimdienst und
das damit verbundene Stigma drohen.
WestdeutscheLandesverbände melde-
ten in den vergangenenWochen bereits
etlicheAustritte.

Höcke bekräftigt Kurs


Höckes Interview zeigt, dass er sich
von alledem wenig beeindrucken lässt.
Erst kürzlich hat er bei einemAuftritt
im Dorf desVerlegersKubitschek sei-
nenkonfrontativenKurs unter lautem
Applaus bekräftigt. Der frühere Lehrer
forderte, dass all diejenigen, «die nicht
in derLage sind, dasWichtigste zu le-
ben, was wir zu leisten haben, nämlich

die Einheit, dass die allmählich auch mal
ausgeschwitzt werden».
Der «Flügel» zieht sein Selbst-
bewusstsein aus denWahlerfolgen sei-
nerFührungsleute. Mit Höcke landete
die AfD bei der thüringischenLandtags-
wahl im Oktober mit 23,4 Prozent auf
Platz zwei, noch vor der CDU.Gleiches
war Kalbitz zuvor in Brandenburg gelun-
gen. In Hamburg, wo derLandesverband
alsrelativ moderat gilt, kam die AfD bei
der Bürgerschaftswahl imFebruar indes
nur knapp über dieFünfprozenthürde.
Höcke und Kalbitz werden in der
Auseinandersetzung mit ihren partei-
internen Kritikern auf ihre Erfolge ver-
weisen und sichkeineKursänderung
verordnen lassen. Für denFall, dass der
Name «Flügel» tatsächlich verschwindet,
wäre das lediglich ein symbolischer Akt,
um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Der
Zusammenschlusskönnte einen neuen
Namen tragen oder garkeinen, erkönnte
sich an anderen Orten treffen oder nur
noch virtuell. Seine Anhänger blieben
dennoch, was sie sind:Radikale, die von
einem politischen Umsturz träumen.

Die Diktatur verfolgt Gambia wie ein Schatten

Gewählter Präsident klam mert sich entgegen seinen Versprechungen an die Macht


DAVID SIGNER,BANJUL


Der Unterschied ist auf Schritt undTr itt
zu spüren.Vor vierJahren, als noch der
irre DiktatorYahyaJammeh an der
Macht war, herrschteParanoia. Über-
all in der gambischen HauptstadtBan-
jul standen Agenten des Geheimdiens-
tes herum, die nur darauf lauerten, dass
einAusländer mit seinem Handy etwas
fotografierte,um ihm Scherereien zu
machen und möglichst viel Geld ab-
zuknöpfen. Selbst bei Gesprächen auf
Deutsch in einemRestaurant musste
man die Stimme senken, wenn man auf
diePolitik zu sprechen kam. Die Spitzel
waren allgegenwärtig.
An diesem18. Februar, dem nationa-
len Unabhängigkeitstag, war die Stim-
mung inBanjulrelativ entspannt. Die
Militärfahrzeuge der Westafrikani-
schen Wirtschaftsgemeinschaft (Eco-
was) mit den aufgepflanzten Geweh-
ren hätten einem Angst machenkön-
nen; aber die Soldaten, die mehrheitlich
aus dem Nachbarland Senegal stammen,
zeigten sich höflich und hilfsbereit. Seit
dem Sturz vonYahyaJammehimJanuar
2017 sorgen sie für Ordnung und Sicher-
heit in Gambia.


Ein Reigen von Protesten


Auf dem McCarthy-Platz findet an die-
semFeiertag dieParade statt. Alle sind
auf den Beinen: Soldaten,Polizisten,
Schulkinder,Behinderte und Karate-
klassen. Der Platz unweit des Präsiden-
tenpalasts wurde vonJammeh in «July
22nd Square» umbenannt, in Erinne-
rung an seinen Putsch am 22.Juli 1994.
ImJahr 20 18 erhielt derPlatz seinen
alten Namen zurück. DieTr ibünen sind
voll,aber von besonderen Sicherheits-
massnahmen ist kaum etwas zu spüren.
Dabei gibt es nach einer kurzen Phase
der Euphorie und Einheit inzwischen
durchaus wieder Spannungen.
Am 12.Januar demonstriertenTau-
sende dafür, dass der NachfolgerJam-
mehs, der gewählte PräsidentAdama
Barrow, bis zum Ende derregulären fünf
Jahre im Amt bleibe. Bereits vierTage
später, am16. Januar, fand die nächste
grosseKundgebung inBanjul statt; dies-
mal für dieRückkehr des früheren Prä-
sidentenJammeh. Am 25. Januar dann
gingen Hunderte von OpfernJammehs
auf die Strasse, um seine Bestrafung zu
fordern. AmTag darauf ging derReigen
von Demonstrationen mit einem Protest
der Gruppe «DreiJahre sind genug» zu
Ende. Sie forderte, dassBarrow wie ur-
sprünglich versprochen 2020 zurück-
tretensolle. Die gambischeRegierung
unterdrückte dieKundgebung mit har-


ter Hand, liess 137Personen, unter
ihnen mehrereJournalisten, verhaften,
zweiRadiostationen schliessen und die
Vereinigung, welche die Demonstration
organisiert hatte, verbieten.
Schon seit längerem stehtBarrow
wegen seines zunehmend selbstherr-
lichenRegierungsstils in der Kritik. Nun
sahen sich seine Gegner in der Ansicht
bestätigt, dass seinerepressiven Mass-
nahmen immer mehr denjenigen von
Jammeh ähnelten, gegen die er einst an-
getreten war. Bei seinem Amtsantritt
hatteBarrow versprochen, als eine Art
Übergangspräsident nach dreiJahren
zurückzutreten und Neuwahlen durch-
führen zu lassen, bei denen er nicht kan-
didierenwürde. Inzwischen beruft er
sich jedoch auf die fünfjährige Amtszeit,
die in derVerfassung festgehalten ist.

Ein Triumphbogen für Jammeh


Die Strassen der gambischen Haupt-
stadt sind voll geklebt mit Plakaten, die
entweder denRücktrittBarrows oder
seinenVerbleib an der Macht fordern.
Aber am Unabhängigkeitstag, an dem
der Loslösung von derKolonialmacht

Grossbritannien imJahr1965 gedacht
wird, überwiegenFestfreude und ein
Gefühl der Einheit; auch wenn es wirt-
schaftlich nicht aufwärtsgeht mit dem
kleinenLand, das lediglich zwei Millio-
nen Einwohner zählt, und die Gambier
sich überBarrows immer dicker wer-
dendenBauch mokieren, der in ihren
Augen seinen zunehmenden Macht-
hunger versinnbildlicht. Lustig ma-
chen sich die Gambier auch zuneh-

mend über den mangelhaften Sachver-
stand vonBarrow, der eher zufällig als
Oppositionskandidat aufgestellt wurde,
weil alle anderen Anwärter im Gefäng-
nis oder im Exil waren. Kaum jemand
glaubte wirklich daran, dass manJam-
meh aus dem Amt drängenkönnte.
Aber alles in allem steht doch die Er-
leichterungimVordergrund, dass die
bleiernenJahre unterJammeh mit der
demütigendenWillkür und Grausamkeit
zu Ende sind.
EinSymbol für seinen Grössenwahn
ist das Monument Arch 22.Jammeh liess
den 35 Meter hohenTr iumphbogen zu
seinen eigenenEhren am 22.Juli 1996
einweihen, zweiJahre nach dem von
ihm verübten Putsch. Der kitschigeKo-
loss wurde zumWahrzeichen der Haupt-
stadtBanjul.Für seinenBau, der mehr
als eineMillionFranken verschlang,
musste einFriedhof verlegt werden. An-
fangs gab es einen Lift im Innern, der je-
doch schon kurz nach derEröffnung den
Geist aufgab. Nun muss manWendel-
treppen hochsteigen.Auch dasDach-
restaurant ist nicht mehr in Betrieb.
Im kleinen Museum im Arch 22 war
früher die handschriftlich verfasste

Rede ausgestellt, dieYahyaJammeh
anlässlich seiner Machtergreifung hielt,
mitsamt dem Stuhl, auf dem er wäh-
rend der Niederschrift sass. Inzwischen
hat man diese Memorabilien entfernt.
Stattdessen werden Bilder von seinem
Sturz gezeigt, mit Gambiern in den da-
mals allgegenwärtigenT- Shirts mit dem
Slogan «Gambia has decided» («Gam-
bia hat entschieden»).
Auch die Zahl 22 bekommt im Nach-
hinein eine neue Bedeutung:Jammeh,
der von sich sagte, er werde eine Mil-
liarde Jahreregieren, wenn es Gott ge-
falle, war 22Jahre an der Macht,alser
abgesetzt wurde. Der Arch 22,einestein-
gewordene Selbstbeweihräucherung,
hat sich in ein Sinnbild für lächerliche
Selbstüberschätzung verwandelt.Auch
das Nationalmuseum inBanjul, früher
vor allemJammehsWeg zuRuhm und
Ehre gewidmet, wurde inzwischen aus-
gemistet undJammeh zur historischen
Randnotiz herabgestuft.

Die Korruption breitet sichaus


Fuhr man früher nachBanjul hinein
oder hinaus, wurde man alle paar hun-
dert Meter von Soldaten angehalten,
die unter fadenscheinigenVorwänden
Geld verlangten (manchmal verzichte-
ten sie auch ganz auf Begründungen).
Sie waren schwer bewaffnet und all-
mächtig; niemand wagte es, sich ihnen
entgegenzustellen. Alle diese «Kontroll-
posten» sind nun aus der Hauptstadt
verschwunden. DiePolizisten sind aller-
dings immer noch da und machen die
hohle Hand, wenn auch inzwischen eher
bittend als fordernd. Ganz verübeln
kann man es ihnen nicht. Mit ihrem
mageren Salärkommen sie schlichtweg
nicht über dieRunden.
Ein Geschäftsmann in Serekunda,
dem wirtschaftlichen Zentrum desLan-
des, sagt, insgesamt habe dieKorrup-
tion seit dem SturzJammehs eher noch
zugenommen. «Früher war sie dasVor-
recht vonJammehs Leuten, die eifer-
süchtig über ihr Monopol wachten», sagt
er. «Inzwischen hat sie sich verallgemei-
nert, weil niemand mehr durch Angst
gebremst wird.»
Der Geschäftsmann ist überzeugt,
dassJammeh immer noch viele An-
hänger hat, nichtaus politischen Grün-
den, sondern weil sie seiner Ethnie,
den Diola, entstammen, an die einst
alle wichtigenPosten, vor allem in der
Armee,vergeben wurden. «Sie sehnen
sich nach ihren Privilegien zurück», sagt
er. Was dieKorruption angeht, ist er
eher pessimistisch: «Die gehört einfach
zumLand, die kann man nicht sorasch
ausmerzen.»

Der Unabhängigkeitstagin Gambia wird mit einerParade im Stadion der Hauptstadt Banjul begangen. KATJA MÜLLER
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