Neue Zürcher Zeitung - 25.03.2020

(coco) #1

Mittwoch, 25. März 2020 INTERNATIONAL 5


INTERNATIONALE AUSGABE


Dicke Luft in Bosnien-Herzegowina


In vielen Städten auf dem Balkan verpesten Kohlekraftwerke die Luft


In keiner grösseren europäischen


Stadt ist die Luft so schlecht


wie im bosnischenTuzla.


Ein Grund ist dieKohleenergie,


auf die Bosnien-Herzegowina


noch immer setzt.


ANDREAS REICH, TUZLA


Der Smog steigt einem in die Nase, so-
bald man insFreie tritt. Die Luft in der
IndustriestadtTuzla im Nordosten Bos-
niens riecht nach verbrannter Braun-
kohle. Geht man längere Strecken zu
Fuss, beginnt es im Hals zu kratzen. Die
App auf dem Smartphone, die über die
aktuelle Luftqualität informiert, leuch-
tet an diesem Morgenrot: Hier ist das
Atmen ungesund.
Die Feinstaubgrenzwerte, die von der
Weltgesundheitsorganisation als unbe-
denklich eingestuft werden, sind an die-
sem Tag um einVielfaches überschrit-
ten.SeitWochen ist das so.Wie in vielen
anderen Städten auf demBalkan (siehe
Zusatz) ist dieLage in der kaltenJahres-
zeit besonders prekär.Viele Häuser sind
schlecht isoliert; die Heizungen werden
mit Braunkohle, Holz oder auch Haus-
haltabfällen betrieben und verpesten die
Umgebung.
In Tuzla ist die Luft auch im Som-
mer schlecht. Die Stadt und ihre Nach-
bargemeinden Lukovac und Zivinice ge-
hören zu den Orten mit der schlechtes-
ten Luftqualität in ganz Europa. Der
Grund dafür steht am Stadtrand.Im Be-
zirk Bukinjeragen dieTürme des Braun-
kohlekraftwerksTuzla in die Höhe. Ei-
nige hundert Meter entfernt davon sitzt
Goran Stojak in einem Café und rührt in
seinem Minztee. Er ist der gewählteVor-
steher des Stadtbezirks – ein Ehrenamt.
Seit seiner Geburt lebt er in Bukinje,
immer das Kraftwerk vorAugen. Mit
demBau war1959 begonnen worden.
Der erste Block ging1963 in Betrieb. Bis
1978 wurde es um fünf Blöcke erweitert.


«Ichhuste jeden Morgen»


«Ich huste jeden Morgen», sagt Stojak.
«Doch das ist in dieser Gegend nor-
mal.» Über eineRauchgasentschwefe-
lungsanlage verfüg t das Kraftwerknicht.
Giftiges Schwefeldioxidgelangt unge-
hindert in die Luft. «Ich kenne nieman-
den, der in Bukinje eines natürlichen
Todes gestorben ist», sagt Stojak, der
zwei Söhne im Alter von drei und fünf
Jahren hat. Auch sie seien bereits krank.
«Sie leiden an Bronchitis und müssen
ständig zum Arzt.»
Doch die Gefahr ist in Bukinje nicht
nur in der Luft,sondern auch im Boden.
In grossenRohren wird die mitWasser
verdünnte Schlacke aus dem Kraftwerk
in die Hügel über Bukinje gepumpt und
dort in einen Stausee geleitet.Das Ge-
misch ausKohleasche undWasser ist
hochalkalisch. «Der pH-Wert dieses
Wassers liegt zwischen 11 und 12», sagt
Denis Zisko vom Zentrum für Energie
und Ökologie, einer lokalen Umwelt-


schutzorganisation. Zudem ist es mit
Schwermetallen belastet.
Die Deponie verfügt überkeine Ab-
dichtung, so dass das verschmutzteWas-
ser ungehindert ins Grundwasser sickert.
Im Sommer wird der von der Sonne ge-
trocknete Schlackenstaub vomWind bis
ins Stadtzentrum vonTuzla getragen.
Das Zentrum für Energie und Ökologie
hat Schwermetalle in den Böden rund
um die Deponie nachgewiesen. Und
weil die Anwohner in der verschmutz-
ten Erde ihr Gemüse anpflanzen, wer-
den auch in menschlichen Haaren Cad-
mium, Blei undArsengefunden.
Bosnien produziert zurzeit rund 60
Prozentseines Stroms mitKohle. W äh-

rend die EuropäischeKommission den
Kohleausstieg vorantreiben will, setzt
der potenzielle EU-Beitritts-Kandi-
dat Bosnien weiterhin auf Energie aus
Braunkohle. 2016 ging in Stanari, im
Landesteil derRepublika Srpska, ein
neues Kraftwerk ans Netz. Und das
Kohlekraftwerk inTuzla soll um den so-
genannten Block 7 erweitert werden.

Neubau mitGeld ausChina


Wie das Kraftwerk in Stanari soll auch
Block 7 inTuzla hauptsächlich mit Geld
aus China finanziert werden. Die E xim-
Bank stellt dafür mehr als 600 Millionen
Euro zurVerfügung. Die Regierung der

bosnisch-kroatischenFöderation hat für
das Darlehen eine hundertprozentige
Staatsgarantiegesprochen.Die Europäi-
sche Energiegemeinschaft, zu der Bos-
nien gehört,sieht darin eine widerrecht-
liche Staatssubvention und hat ein so-
genanntes Streitbeilegungsverfahren er-
öffnet.Auch weitere Einsprachen sind
hängig. Ob sie denBau des Kraftwerks
stoppen werden,ist ungewiss. In Bukinje
haben Kipplader bereits begonnen, den
Aushub wegzuführen.
Nach Berechnungen der Nichtregie-
rungsorganisationBankwatchistesfrag-
lich, ob Block 7 inTuzla je pr ofitabel
betrieben werden kann. Der staatliche
Kraftwerksbetreiber Elektroprivreda
gehe von unrealistischen Stromerzeu-
gungskosten aus und laufe Gefahr, den
chinesischen Kredit nicht zurückzahlen
zukönnen.«DiebosnischenSteuerzahler
müssten dann dieKosten übernehmen»,
sagt der Umweltschützer Zisko.
Elektroprivreda hat auf mehrere
Anf ragen umAuskunft nichtreagiert.
In öffentlichen Stellungnahmen be-
gründen das Management des Staats-
betriebs und die bosnischen Behörden
den Bau von Block 7 mit der Schaffung
vonArbeitsplätzen und mitder Energie-
sicherheit desLandes. Denis Zisko lässt
diese Argumente nicht gelten. «Block
7 wird von chinesischen Arbeitern ge-
baut werden, und auch das Equipment
wird aus China importiert.»Für di e
lokalen Unternehmen und den loka-
len Arbeitsmarkt sei der Nutzen gering.
Warum der Import von Energie ein Pro-
blem sein soll,vers teht er nicht:Bosnien
importiere ja auch einen Grossteil seiner
Lebensmittel.
Im Rathaus vonTuzla will man die
Lage nicht beschönigen. «Die Luft in

Tuzla ist leider schlecht», sagt der städ-
tische Angestellte AmirRazic. Er ist
zuständig für ein Projekt, das den Ein-
bau vonWärmepumpen in Einfamilien-
häusern vorantreibt.Wer sein Haus aus-
reichend isoliert, erhält von der Stadt
Geld für eineWärmepumpe.
So sollen die privatenKohleheizun-
gen ersetzt werden.Noch steckt das Pro-
jekt in den Kinderschuhen: Erst eine
Wärmepumpe wurde bisher installiert,
rund zwanzig sollen bis imFrühling fol-
gen. «Wir haben aber auch sonst bereits
viel unternommen, um die Luftqualität
zu verbessern», sagt Razic.
Tuzla habe Millionen in denAus-
bau des städtischenFernwärmenetzes
investiert, das 23000 Privathaushalte
und 2000 Gewerbebetriebe mitWärme
versorge. Da das Netz vomKohlekraft-
werk am Stadtrand gespeist wird, bedeu-
tet das aberkeine grundsätzlicheVer-
besserung. Man sei daran, über alterna-
tive Energiequellen für dasFernwärme-
netz nachzudenken, sagtRazic. «Aber
im Moment ist dasKohlekraftwerk aus
unserer Sicht ein notwendiges Übel.»

«Die Hoffnung isttot»


Goran Stojak, der neben dem Kraft-
werk lebt, sieht das anders. «Das Kraft-
werk verursacht Krankheit und Leid–
jedenTag», sagt er. «Es muss geschlos-
sen werden.»Aus Bukinje wegziehen
kann Stojak nicht, dazu fehlt demBau-
arbeiter wie den meisten anderen Be-
wohnern des Bezirks das Geld. Ein Ver-
kauf seines Hauses sei illusorisch. «Nie-
mand zieht in diese Gegend.» Nicht ein-
mal zu einem Spottpreis würde er einen
Käuferfinden, zu nahe liegt das Haus
beim Kraftwerk und bei der Schlacken-
deponie.
Von den lokalenPolitikern und den
Kraftwerksbetreibern erwartet Stojak
schon lange nichts mehr.Aber er hoffte,
dass internationaler Druck die Installa-
tion einer Entschwefelungsanlage be-
wirken würde. Vergeblich, noch immer
gelangen die giftigen Schwefeldämpfe
ungehindert in die Luft über Bukinje.
«Man sagt, die Hoffnung stirbt zuletzt»,
sagt Stojak. «Hier ist sie schon tot.»

Die Gesundheit gefährdende Dreckschleudern


anr./ahn.· Nirgendwo in Europa ist die
Luft so schlecht wie in denStädten des
Westbalkans. Laut Smartphone-Apps
wieAirvisual,die den sogenannten Luft-
qualitätsindex mitDaten lokaler Mess-
stationen berechnen,gehören Städte wie
Belgrad, Sarajevo, Skopje oder Pristina
im Winter regelmässig zu den schmut-
zigsten Hauptstädten derWelt.Die Uno
kommt in einem Bericht aus dem ver-
gangenenJahr zum Schluss, dass die
Luftverschmutzung in einigen Städten
der Region für fast einenFünftel der
sogenannten vorzeitigenTodesfälle ver-
antwortlich ist.
Hauptursachen für die dreckigeLuft
sind die Emissionen desVerkehrs und
der Haushalte sowie die teilweise ver-
alte ten Braunkohlekraftwerke. Im Jahr
2016 waren die16 Kohlekraftwerke in
Bosnien,Kosovo, Montenegro, Nord-

mazedonien und Serbien nach einer
Untersuchung des NGO-Netzwerks
Europe Beyond Coal für gleich hohe
Schwefeldioxidemissionen verantwort-
lich wie alle 250Kohlekraftwerke der
EU zusammen. Demnach stossen die
Kohlekraftwerke auf demWestbalkan
im Durchschnitt 20-mal mehr Schwefel-
dioxid und16-mal mehrFeinstaub aus
als dieWerke in der EU.
Die schlechte Luftqualität hat imver-
gangenenWinter in mehreren Städten
der Region zu Bürgerprotesten geführt.
Die Protestierenden werfen den Behör-
den vor, nicht genug gegen die Luftver-
schmutzung zu unternehmen. In der
Tat sind vonRegierungsseite vor allem
Beschwichtigungen zu hören. So sagte
di e serbische Ministerpräsidentin Ana
Brnabic, die Situation sei nicht schlim-
mer alsin f rüherenJahren. Der serbi-

sche PräsidentAleksandarVucic räumte
ein, dass die Luftverschmutzung einPro-
blem sei, verwies aber auch auf west-
europäische Städte wie Mailand, die
ebenfalls unterhoherFeinstaubbelas-
tung litten.
Eine gute Nachrichtkommt dagegen
aus Kosovo. Die Energiefirma Contour
Global mit Sitz inLondon hat ihrenPlan
für ein neuesKohlekraftwerk bei Obilic
aufgegeben.Das 500-Megawatt-Projekt
hätte die Hälfte des Energiebedarfs des
Landes gedeckt.Ausschlaggebend für
den Rückzug von Contour Global ist die
Haltung der neuenRegierung in Pris-
tina unter dem LinksnationalistenAlbin
Kurti. Er hatsich kategorisch gegen den
Bau ausgesprochen. Umweltorganisa-
tionen in ganz Europa bezeichnen die
Streichung desVorhabens als grossen
Erfolg für dieReinheit der Luft.

Das staatlicheKohlekraftwerk imTuzlaer StadtteilBukinje bläst Schwefeldioxid ungefiltert in die Luft. OLIVER BUNIC / BLOOMBERG

Goran Stojak
Vorsteher des
Stadtbezirks Bukinje

Denis Zisko
Bosnischer
Umweltschützer

Amir Razic
Städtischer
BILDER ANDREAS REICH Angestellter inTu zla
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