Neue Zürcher Zeitung - 25.03.2020

(coco) #1

Mittwoch, 25. März 2020 WIRTSCHAFT 9


INTERNATIONALE AUSGABE


Das Coronavirus kommt

die Rückversicherer teuer zu stehen

Die Pandemie führt zu einer Viel zahl von Folgeschäden in Milliardenhöhe


WERNER ENZ


Die schnelleVerbreitung des Corona-
virus setzt temporär ganzeWirtschafts-
zweige ausser Gefecht, was zwingend
auch auf dieVersicherungen durch-
schlägt.Wie stark wohl werden bis
EndeJahr die Bilanzen derRückver-
sicherer in Mitleidenschaft gezogen?
Das fragen sich nicht nur bange die
Mitarbeiter und die Investoren, son-
dern auch die Erstversicherer, die sich
bei ihnen rückversichert haben. Aus
denKonzernzentralen vonSwiss Re
und MunichRe verl autet, die Ent-
wicklung von Covid-19 werde aufmerk-
sam beobachtet. Die Münchener hal-
ten nüchtern fest, das grössteKumul-
risiko liege imKonzernbereich Leben/
Gesundheit, aber man gehe momen-
tan nicht von einer schweren globa-
lenPandemie mit mehreren hundert-
tausend Opfern aus.


Die 200-Jahre-Ereignisse


Rückversicherer sprechen bei der
Modellierung und bei Stresstests von


Risikopositionen, die auf ihren Bilan-
zen lasten, jeweils von einem 200-Jahre-
Ereignis. Es geht also um Ereignisse,
die eine Eintrittswahrscheinlichkeit
von 0,5% imJahr haben. MunichRe
erklärt dazu, selbst imFall einer welt-
weiten Corona-Pandemie sollte der
Umfang der daraus entstehendenVer-
sicherungsansprüche etwa demjenigen
einer mittelgrossen Naturkatastrophe
für den Konzernbereich Schaden/Un-
fall entsprechen.
Das wäre mit anderenWorten ein
einstelliger Milliardenbetrag, waskein
Kopfzerbrechen bereiten würde. Swiss
Re ihrerseits unterlegt dieses Szenario
gemäss demSwiss SolvencyTest (SST)
mitkonkreten Zahlen:Wirbelstürme
im Atlantikkönnten im Maximum mit
6,4 Mrd. $ zu Buche schlagen, es folgen
Erdbeben in Kalifornien (4,4 Mrd. $),
Erdbeben inJapan (3,7 Mrd. $) oder
eben einePandemie (3,1 Mrd. $).
Edouard Schmid, der beiSwiss Re
für das Zeichnen (Underwriting) von
Versicherungsverträgen zuständig ist,
hat zu Covid-19 einen Zahlenvergleich
angestellt, um dies verständlicher zu

machen. Ein 1:200-Ereignis würde bei
de r Corona-PandemieeineMortalität
zwischen 1 und 2 Promille bedingen,
was für China 2,5 Mio. und für Gross-
britannien etwa 80 000 Tote bedeuten
würde. Man ist glücklicherweise weit
weg von solchen Schreckensszenarien
und hatin China als Ursprungsland der
Seuche etwas mehr als 3000 Corona-
Opfer gezählt.

Der bange Blickin die USA


Obschon sich auch Rückversiche-
rer mit Limiten gegenPandemierisi-
ken schützenoder solche gezielt an
die Kapitalmärkte transferieren, lau-
ern diverse Gefahren. Am schlimms-
ten ist wohl die Unsicherheit darüber,
wann diese nun stärker auf dieVer-
einigten Staaten übergreifendeVirus-
krankheit wieder abklingen wird. So-
wohl MunichReals auchSwiss Re
sind in Nordamerika stark exponiert,
wenn es um Lebensversicherungen
geht. Und beiLebensversicherungen,
wie sieSwiss Re auch in Grossbritan-
nien undAustralien rückversichert, ste-

hen trotz allem hohe Geldsummen auf
dem Spiel.
DieserTage hatSwiss-Re-Finanz-
chefJohn Dacey an einer Investoren-
konferenz zum Geschäftsbericht 20 19
gesagt, dieVerhandlungen zur Erneue-
run g vonRückversicherungsverträgen
auf Anfang April inJapan liefen wie
geplant.Das neueFinanzjahr beginnt
in Nippon jeweils am1. April. Der ge-
bannte Blick auf Covid-19 sollte nicht
davon ablenken, dass weiterhin grosse
Naturgefahren, wie etwa ein Erdbeben
im GrossraumTokio, nachVersiche-
rungsschutz rufen, wie ihn nur interna-
tionaleRückversicherer bietenkönnen.
Diese Art von Normalität, das jährliche
Erneuern vonVersicherungsverträgen
nämlich, erscheint in einer von Grenz-
undFabrikschliessungen gekennzeich-
neten Phase in einem neuen Licht.

Vor der Absage vonTokio 2020


Tokio wird die beidenRückversiche-
rer noch aus einem weiteren Grund be-
schäftigen:Kommt es zur Absage der
Olympischen Spiele, werdenVeranstal-
ter Forderungen stellen.Swiss Re gab
in diesem Zusammenhang bekannt,sie
halte einen Marktanteil von15% bei der
Rückversicherung von grossenVeran-
staltungen und müsse dann mit einem
Sch aden von 250 Mio. $ rechnen.Das
ist per se ein kleiner Betrag für eine
Firma mit einem harten Eigenkapital
von 36 Mrd. $ (Stand Ende 2019), aber
daran zeigt sich eben auch, dass Co-
vid-19 eine ganzeReihe vonFolgeschä-
den verursachen wird.
Last, but not least lässt der Aktien-
crash inRaten denWert der Kapital-
anlagen schwinden,wobei Swiss Re
EndeJahr lediglich 3 Mrd. $ in Divi-
dendenpapiere und mit81,5 Mrd. $ den
Löwenanteil in Bonds investiert hatte.
SeitJahresbeginn verloren die Aktien
vonSwiss Re etwa 48%an Wert, jene
von MunichRe 42% – gegenüber Ein-
brüchen von 23% beimSwiss-Market-
Index und 35% beimDAX. Offensicht-
lic h ist viel Angst mit im Spiel, wird
dochSwiss Re – sie hat die Bonitäts-
note «AA–» nach Standard &Poor’s–
nur noch zu gut der Hälfte des Buch-
werts gehandelt. Selbstverständlich tre-
ten auch dieRating-Agenturen nach
den grossen Verwerfungen an den
Kapitalmärkten auf den Plan: Fitch
hat für dieRückversicherungsbranche
denAusblick von «stabil» auf «nega-
tiv» angepasst, gleichzeitig aber fest-
gehalten, die Corona-Krise werde den
Lebens- und Krankenversicherern stär-
ker zusetzen.

Die olympischen Ringe wurden möglicherweise umsonstam neuenStadion inTokio montiert. JAE C. HONG/ AP


Erwar ein


Banker mit Zug


und Charakter


Zum Tod von Jürg Zeltner


ERMESGALLAROTTI

Man wird ihn vermissen, den selbstsiche-
ren,vor Energie strotzendenBanker. Jürg
Zeltner, dem die Ärzte im vergangenen
November einen Hirntumor diagnosti-
ziert hatten,ist am Sonntag mit nicht ganz
53 Jahren überraschend seiner schweren
Krankheit erlegen. Damit bleibt sein

letztes ehrgeiziges Projekt, aus der ver-
gleichsweise bescheidenen Luxemburger
Quintet Private Bank rasch eine schlag-
kräftige Privatbankengruppe zu schmie-
den, unvollendet.Zeltnerwar erst im
Frühling 2019 als operativer Chef und
Verwaltungsratsmitglied in die Dienste
der Privatbank eingetreten,an der er sich
auch mit eigenem Geld beteiligte.
Seine grosse Zeit hatte derThuner,
der beim Schweizerischen Bankver-
ein dasBankgeschäft als Lehrling von
der Pike auf gelernt hatte, bei der UBS,
seiner zweitletzten Station. Nach einer
Reihe von Chargen zog er 2009 in die
UBS-Konzernleitungein, zunächst als
Co-Chef, später als alleiniger Chef der
Wealth-Management-Division.
Zu seinenVerdiensten gehört die stra-
tegische Neuausrichtung dieserKernein-
heit.Aus einer traditionellen Sammel-
stelle für Gelder wohlhabenderKunden,
die kein grosses Gewicht aufPerformance
setzte, sollte er den Maschinenraum der
Bank formen. Zu diesem Zweck zog er
2011 inOpfikon 2500 Spezialisten aus
verschiedenen Fachbereichen zusam-
men.Ziel der neuen Einheit war es, Kun-
den innert nützlicherFrist Zugang zum
Know-how der Bank über Märkte und
Produkte zu geben.Weil sich das Umfeld
nach einerAufhellung erneut eintrübte,
sah sich Zeltner ab der zweiten Hälfte
2015 bis Ende 2016 zu einer Rosskur ge-
zwungen, die tiefe Schnitte auf derKos-
tenseite nötigmachte. Obwohl dieRe-
vitalisierung Erfolg hatte, gab Zeltner per
Ende 20 17 seinenRücktritt bekannt.
Mit Zeltner verliert dieBankenwelt
einen profiliertenKopf, der sich gerne
auf dieeigene Meinung verliess. Ehema-
lige Mitarbeiter erinnern sich an seine
Bereitschaft, zuzuhören und ihnen einen
grossenFreiraum zuzugestehen. Und
Zeltner war auch einer, der selbst in
schwierigen Situationen seine Gelas-
senheit nicht verlor.

Jürg Zeltner
PD (4.5.1967–22.3.2020)

Banken bereiten sich auf Ansturm von Firmenkunden vor


Am Donnerstagbeginnt das Kreditprogramm des Bundes und der Schweizer Banken für KMU – wichtige Details sind jedoch noch nicht geklä rt


DANIEL IMWINKELRIED


Man sei nun dabei,eine bis zu einem
gewissen Grad automatisierte Kredit-
fabrik hochzuziehen, sagt derVertreter
einer Kantonalbank. Bis am Donners-
tag muss diese funktionieren, und das
Institut erwartet an jenemTag einen
Ansturm von Geschäftskunden.
Bis jetzt sind erst die Eckpunkte
der Überbrückungskredite bekannt,
welche der Bundesrat am vergange-
nen Donnerstag zugunsten von Unter-
nehmen angekündigt hat. DieRegie-
rung wird die Details des Kreditpro-
gramms am Mittwoch festlegen. Die
Darlehen werden von den Banke n
stammen,wobeider Bund für einen
Betrag bis 500000 Fr. garantieren
wird. DenFinanzinstituten erwächst
daraus alsokein Risiko. Anders sieht
es bei höheren Summen aus. Bei sol-
chen Krediten bürgt der Bund zu 85%,
so dass dieBanken ein Gegenparteien-


risiko haben. Alles andere ist aus heu-
tiger Sicht noch unklar.

„Kreditprüfung:Bei denDarlehen
bis zu 500000 Fr. wird es eine sol-
che wohl nur in rudimentärerForm
geben. Bundesrat UeliMaurer hat von
schnellen Entscheiden gesprochen. Bei
Krediten, bei denen dieBanken das
Risiko mittragen, wird es nicht sorasch
gehen. EinBankmanager spricht da-
von, dass die Prüfung wohl einige
Tage in Anspruch nehmen werde.
Das scheint auch angebracht zu sein,
denn dieBankenrefinanzieren sich zu
einem hohen Anteil aus Spargeldern.
Und mit diesen müssen dieBanken
so sorgfältig wie möglichumgehen.
Es herrscht zwar ein Notstand; das
ist aberkein Grund, bewährte Prin-
zipien über Bord zu werfen.

„Konditionen:Ob bei derersten Kre-
dittranche ein Zins fällig wird, kann der

Bundesrat allein entscheiden, denn er
trägt auchdas Risiko. Gratis sollten
die Darlehen allerdings nicht vergeben
werden, denn in letzter Instanz bürgt
der Steuerzahler für das Geld. Ähnli-
ches gilt erstrecht für die Kredite über
500 000 Fr. Auch wenn einNotstand
herrscht, sollte das Risiko nicht gratis
auf die Aktionäre der Finanzhäuser ab-
geschoben werden. DieDarlehen wer-
den also wohl mit einem Zins versehen
sein; eine offeneFrage ist allerdings, ob
di e Banken ihn je nach Unternehmen
unterschiedlich gestalten dürfen, so wie
sie das im Geschäftsalltag auch tun. Zur
Diskussion steht auch noch dieLauf-
zeit derDarlehen.

„Regulierung:Je wenigerVorschrif-
ten dieBanken bei der Kreditvergabe
einhalten müssen, destorascher wird
das Geld fliessen. Selbstverständlich
heisst das aber nicht, dass dieBanken
bei der Kreditprüfung nun die Zü-

gel schleifen lassen. Sie müssen wohl
weiter den wirtschaftlich Berechtig-
ten einesDarlehens abklären, und die
Finanzhäuser wird auch interessieren,
mit wie viel Eigenkapital sie die Kre-
dite unterlegen müssen. Firmeninha-
ber drängen auf rasche Entscheide;
wenn die Institute nun aber deswegen
nachlässig arbeiten würden, entstünde
in einigen Quartalen ein neuesPro-
blem. DieBanken sähen sich plötzlich
mit einem Übermass an faulen Kre-
ditenkonfrontiert. Rasche Hilfe und
Vorsichtstehenwieoft im Leben in
einem Zielkonflikt.

„Zusätzliche Liquidität: Auch die
Schweizerische Nationalbank (SNB)
ist offenbar gewillt, den Kreditmarkt
mit zusätzlicher Liquidität zu versor-
gen. SNB-Präsident Thomas Jordan
hat jedenfalls vergangeneWocheden
Eindruck vermittelt, als plane er, den
vor einigenJahren denBanken oktroy-

ierten antizyklischen Kapitalpuffer zu
lockern. Er war eingeführt worden,
um dem boomenden Hypothekarge-
schäft etwas den Schwung zu nehmen.
Höbe die SNB den Kapitalpuffer ganz
auf, würden 5 bis 6 Mrd.Fr. Liquidität
frei. So weit wird die SNB aber kaum
gehen, denn sobald die Coronavirus-
Pandemie überwunden ist, wird der
Liegenschaftsmarkt wohl wiederFahrt
aufnehmen.
DieFirmen werden sich alsonoch
gedulden müssen.Jedoch haben diverse
Kantonalbanken bereits Millionen auf
die Seite gelegt, die sie schon für die
Kreditvergabe nutzen. Allerdings wer-
den sie nicht mit der Giesskanne verge-
ben. Geld erhalten nurFirmen, die vor
der Krise über eine guteAuftragslage
verfügten und solide finanziert waren.
Die Gesuche durchlaufen den üblichen
Vergabeprozess, allerdings lassen die
Finanzhäuser einen gewissen Good-
will walten.
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