Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

»Das ist mitunter schwer zu entscheiden«,
sagt Albrecht. »Soll man eine notwendige
Tumoroperation wegen Corona verschie-
ben?« Man könne nach Prioritäten ordnen,
aber nicht rigoros entscheiden.
»Derzeit verschieben wir nur Operatio-
nen, wenn die Patienten dadurch nicht
unverhältnismäßig leiden müssen«, sagt
Andreas Meier-Hellmann, Chef des Co -
rona-Krisenstabs der privaten Helios Kli-
niken. Tumoren lässt Helios selbst dann
noch operieren, »wenn die Patienten an-
schließend womöglich auf die Intensiv -
station müssten«.
Viele Klinikmanager boykottieren Spahns
Appell ganz offensiv. Das mag daran lie-
gen, dass ihre Häuser unter wirtschaftli-
chem Druck stehen und auf die Einnah-
men aus Knieprothesen, Hüftoperationen
oder Herzkatheter-Untersuchungen ange-
wiesen sind. Solche Eingriffe, die Experten
oft für überflüssig halten, sind für Kliniken
am lukrativsten.
»Trotz Regierungsbeschluss – unsere
Krankenhäuser bleiben zunächst im Nor-
malbetrieb«, schrieb ein kirchlicher Kli-
nikträger nach Spahns Aufruf am 13. März
seinen Mitarbeitern. Dies sei schließlich


»kein Gesetz«. Geplante Aufnahmen sei-
nen vorerst nicht abzusagen. »Anders, als
es mancher in der Regierung schon länger
zu glauben scheint, sind Krankenhausauf-
nahmen kein Freizeitvergnügen, auf das
man einfach verzichten kann.«
Die Bundesregierung hat den Kliniken
gleich mehrfach zugesichert, dass sie auf
den Kosten der Coronakrise nicht sitzen
bleiben sollen. Spahn versprach ihnen, er
werde sicherstellen, dass die »entstehen-
den wirtschaftlichen Folgen« ausgeglichen
würden, wenn sie geplante Operationen
verschieben. »Darauf können Sie sich ver-
lassen«, schrieb Spahn in seinem Brief.
Doch die Krankenhauschefs bleiben miss-
trauisch.
Die Kliniken könnten sich nur dann kon-
sequent auf die Behandlung von Corona-
Patienten konzentrieren, wenn sie die un-
bedingte Sicherheit hätten, »dass die Ab-
sagen anderer Behandlungen nicht zu Li-
quiditätsengpässen führen«, sagt der Prä-
sident der Deutschen Krankenhausgesell-
schaft, Gerald Gaß. Es brauche deshalb
einen »Schutzschirm für alle Krankenhäu-
ser«. Sonst drohe etlichen Häusern die In-
solvenz. »Wer heute noch meint, das deut-

sche Gesundheitssystem könne eine Lage
wie in Italien locker bewältigen, hat nichts
begriffen.«
Sie sei bestürzt, dass manche Kranken-
häuser planbare Operationen weiterhin
durchführen, sagt die Chefin der Ärzte -
gewerkschaft Marburger Bund, Susanne
Johna. Dadurch würden Betten belegt, die
man bald dringend für Covid-19-Erkrank-
te benötige. Würden solche nicht akuten
Eingriffe verschoben, hätten Pflegekräfte
und Ärzte zudem Zeit für notwendige
Schulungen – nicht alle sind mit Beat-
mungsgeräten vertraut. »Wir müssen die
Zeit nutzen. Es geht nicht, wenn einfach
weiteroperiert wird, als wäre nichts«, sagt
Johna.
Schon jetzt stoßen viele Kliniken per-
sonell an ihre Grenzen. Rücksicht darauf,
dass ein Arzt oder Pfleger sich bereits in-
fiziert haben und so zum Risiko für Patien-
ten und Kollegen geworden sein könnte,
wird mancherorts nicht mehr genommen.
Ein Ausfall des Personals ist nicht zu kom-
pensieren, trotz aller Bemühungen, Stu-
denten und pensionierte Ärzte für den Kri-
senmodus zu rekrutieren. »Jeder arbeitet,
bis er Symptome hat. Anders ist es nicht

DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 11

Coronakrise

GIUSEPPE LAMI / EPA-EFE / SHUTTERSTOCK

Medizinisches Personal mit Transportisolator in Rom: Nackte Angst vor dem tausendfachen Erstickungstod
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