Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

Menschen werden gleicher


Nr. 12/2020 Sind wir bereit? 49 Fragen und
Antworten – Ein Corona-Spezial


In einem Staat müssen ausnahmslos das
Gesundheitssystem, die Rechtsstaatlich-
keit und das Schulwesen funktio nie ren.
Weil wir aber diese drei Bereiche totge-
spart haben, kapitulieren wir jetzt vor dem
Coronavirus.
Oktay Uzun, Frankfurt am Main


Ich habe noch nie die Partei von Angela
Merkel und Ursula von der Leyen gewählt,
aber ich bin ausgesprochen froh, dass ak-
tuell in Deutschland und Europa Frauen
an der Spitze stehen, die kompetent und
besonnen sind, und keine ignoranten, er-
ratischen Männer. Von daher fand ich die
Gleichsetzung des angeblichen Versagens
von Merkel und Trump in dem depres -
sionsfördernden Artikel von Ullrich Ficht-
ner nicht gerechtfertigt. Wir haben doch
alle das Virus bis vor einer Woche nicht
wirklich ernst genommen, haben uns eine
so radikale Veränderung unseres Lebens
und der Welt nicht vorstellen können. Hät-
te es sonst nicht schon vor Wochen ein Co-
rona-Sonderheft des SPIEGELgeben müs-
sen? Jetzt müssen auch kritische Menschen
etwas tun, was sie nachvollziehbar nicht
gut können: vertrauen, Wissenschaftlern,
Politikern, Journalisten. Und den Still-
stand nutzen, um darüber nachzudenken,
wie wir nach dem Virus die Welt verbes-
sern müssen.
Regina Müller-Hinz, Bergkamen (NRW)


Bei allen Belastungen hat die Coronakrise
auch positive Seiten: Die Welt wird kleiner,
die Menschen werden gleicher. Es wird
deutlicher, worin das Gemeinwohl einer
Gesellschaft besteht. Gute fachliche und
politische Führung wird sichtbarer. Mit
Wohlgefallen nimmt man die Gelassenheit
und Solidarität der Menschen und das Feh-
len des üblichen parteipolitischen Geplän-
kels zur Kenntnis sowie die Piano-Laut-
stärke der Rechtspopulisten, denen zum
Thema nichts Sinnvolles einfällt.
Dr. Norbert Schupp, Aschaffenburg (Bayern)


Das Coronavirus und eine dadurch ver -
ursachte weltweite Pandemie könnten für
die Ökosphäre unseres Planeten Rettung
in letzter Minute bringen.
Uwe George, Hamburg


Bisher hat sich gezeigt, dass der Föderalis-
mus für eine schnelle Reaktion eher hin-
derlich ist. Deutschland ist eines der letzten
europäischen Länder, die Schul- und Ver-
anstaltungsausfälle angeordnet haben. Seit
alle Länder einzeln fast dieselben Maßnah-
men beschlossen haben, stellt sich mir die
Frage, ob dies nicht schneller und effizien-
ter gemeinsam hätte erfolgen können. Im
Krisenfall sind Zusammenhalt und Einig-
keit nun mal unbedingt notwendig.
Yannick Rinne, Hildesheim (Nieders.)

Inwieweit die Maßnahmen gegen das Co-
ronavirus zielführend sein werden oder
aber in die Rubrik »Aktionismus« einzu-
ordnen sind, vermag ich nicht zu beurtei-
len. Allerdings bin ich davon überzeugt,
dass die derzeit viel beschworenen Wun-
derwaffen im Kampf gegen das Virus, näm-
lich Homeoffice und häusliche Quaran -
täne, ab Mitte Dezember vermutlich zu
einem Babyboom führen werden. Das
wäre dann doch – zumal in der Weih-
nachtszeit – eine schöne Bescherung.
Udo Käutner, Gladenbach (Hessen)

Die Verantwortung bei der Bewältigung
der Krise obliegt ganz sicher nicht nur den
»Staaten und Regierungen«, sondern viel-
mehr der gesamten Zivilgesellschaft. Aus
der Ex-post-Perspektive lässt sich gut kri-
tisieren. Angemessene Reaktionen setzen
eine ausreichende Faktenlage voraus. Ich
kann mich auch nicht daran erinnern, dass
der SPIEGELnach den »ersten spröden
Meldungen aus China« unverzüglich eine
weitgehende Einschränkung des öffent -
lichen Lebens angemahnt hätte.
Andreas Wattenberg, Berlin

Wenn Europa auch dieses Mal sehr lang-
sam reagieren wird, wie in der globalen
Finanzkrise von 2008 oder bei der Migran -
tenkrise, wenn es nicht als Gemeinschaft
handeln wird, sondern jedes Land in ego-

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»›Was macht das Virus mit mir?‹ ist die Attitüde


von gestern. Heute zählt die Perspektive: ›Was macht


das Virus mit uns?‹«


Dr. Volker Brand, Bad Oeynhausen (Nordrhein-Westfalen)

DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020

Bundesligaspiel vor leeren Rängen

Griechenland unterstützen
Nr. 11/2020 Schüsse, Tränengas,
tote Flüchtlinge – an der griechisch-
türkischen Grenze zeigt sich
das Scheitern europäischer Ideale

Europa ist gespalten, und die Mehrzahl der
Länder redet zwar viel von Werten wie
Menschlichkeit und Hilfe für Flüchtlinge,
aber in der Praxis verweigern sich die meis-
ten Staaten dann doch. Im Umgang mit
dem türkischen Präsidenten Erdoğan, der
eindeutig als der Verursacher dieser Krise
zu werten ist, gibt es nur zögerliche Reak-
tionen. Es sollte endlich eine klare poli -
tische Ansage geben: Die EU-Außengren-
zen müssen geschützt, und die Erpressung
durch Herrn Erdoğan muss hart sanktio-
niert werden. Ansonsten laufen wir Gefahr,
dass wir weiter von rechtsnationalen Kräf-
ten unterwandert werden und der euro-
päische Gedanke keine Zukunft mehr hat!
Thomas Henschke, Berlin

So blauäugig kann man doch eigentlich
nicht sein. Was haben wir für Politiker in
der EU? Seit dem Moment, als die EU den
Deal mit Erdoğan schloss, hat er sie in der
Hand. Mit so einem Machthaber darf man
sich nicht einlassen, schon gar nicht, wenn
es um das Wohl von Menschen geht. Die
EU schafft es nicht, dass Mitgliedstaaten

istischer Weise seine eigenen Interessen
bevorzugt, kann wirklich das Auflösen der
Europäischen Union in Gang gesetzt wer-
den. Populisten und rechtsextreme Partei-
en können eine noch eine größere Zustim-
mung gewinnen.
Luca Henning, Cernobbio (Italien)

»Wie viel Panik ist gesund?«, schreiben Sie
in Ihrer aktuellen Ausgabe, nur um dann
ein Heft zu gestalten, das zwar gründlich
recherchiert sein mag, jedoch von reißeri-
schen Attributierungen wie »apokalyp-
tisch«, »Herzstillstand«, »fast unlösbare
Aufgabe« nur so strotzt. Bitte verzeihen
Sie mir den Vergleich, aber das ist das In-
strumentarium des Boulevards. Und der
Vergleich zwischen Donald Trump und
Angela Merkel ist ebenso ungerechtfertigt
wie anmaßend. Nach dem Fall Relotius
hatte ich auf etwas mehr selbstkritische
Bescheidenheit bei Ihnen gehofft – was
für eine Enttäuschung!
Roman Grunwald, Leipzig

MORITZ MÜLLER / IMAGO IMAGES
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