Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

Bettenbestand


Anzahl
Intensivbetten
(Krankenhausbetten)

Covid-19-Fälle
über 2000
über 1000
über 250
über 50

Brandenburg:
750 (15 400)

Berlin:
1500 (20 400)

Mecklenburg-Vorpommern:
1000 (10 300)

Niedersachsen:
2400 (42 000)

Hamburg:
800 (12 500)

Bremen:
300 (5000)

Nordrhein-Westfalen:
6100 (118 500)

Rheinland-Pfalz:
1300 (24 900)

Saarland:
550 (6500)

Bayern:
3800 (76 300)

Sachsen-Anhalt:
1000 (15 800)

Hessen:
1800 (36 400)

Sachsen:
1900 (25 900)

Thüringen:
700 (15 800)

Baden-Württemberg:
3300 (55 800)

Schleswig-Holstein:
900 (15 800)

Quelle: GBE, 2017

Quelle: Robert Koch-Institut,
Stand: 19. März

13

Coronakrise

Nacht. »Wir brauchten dringend personel-
le Verstärkung«, fordert Teichert.
Jahrelang wurden die Gesundheitsäm-
ter ausgedünnt. Innerhalb von 20 Jahren
ist die Zahl der besetzten Arztstellen dort
um ein Drittel geschrumpft. Mindestens
1000 Mitarbeiter fehlten, sagt Teichert.
Neue Kolleginnen und Kollegen zu finden
sei fast unmöglich. Bei den Ämtern ver-
dienten Mediziner rund 1000 bis 1500
Euro weniger als in Krankenhäusern.
Und so können viele Infizierte nicht
kontrolliert werden, was für den Verlauf
der Epidemie aber entscheidend ist. In
einigen Krankenhäusern wurden zur Ent-
lastung Corona-Ambulanzen eingerichtet,
um die Tests durchzuführen. Sie sind
meist getrennt vom normalen Klinik -
betrieb in separaten Gebäuden unterge-
bracht. Doch davor bilden sich teils absurd
lange Schlangen, in denen potenziell Infi-
zierte eng beieinanderstehen. So wie ver-
gangenen Montag am Universitätsklini-
kum Dresden, in dem mehr als 500 Men-
schen für einen Test anstanden.
Viele Menschen suchen da lieber Hilfe
bei ihrem Hausarzt und anderen nieder-
gelassenen Medizinern – und gefährden
so deren Praxisbetrieb. Erst in dieser Wo-
che warnte die Vereinigung der Berliner
Kassenärzte vor einem »Zusammenbruch
der ambulanten Versorgung« in der Haupt-
stadt. Denn anders als die Bundesregie-

rung versprochen hatte, seien die mehr als
6500 Berliner Praxen bis Mitte der Woche
nicht mit Atemschutzmasken und -klei-
dung ausgestattet worden. Am Donners-
tag hieß es endlich, zehn Millionen Mas-
ken und weiteres Material seien kurzfristig
verfügbar und würden unter Polizeischutz
verteilt.
Die Ärztevereinigung berichtet von An-
rufen verstörter Ärzte, die ankündigten,
ihre Praxis angesichts der Epidemie schlie-
ßen zu müssen. Es wäre ein Paradox: Aus-
gerechnet jetzt, da der Ansturm auf die
Mediziner wächst, müssen sie ihre Praxis-
tür verriegeln.
Einige lassen das Telefon am Empfang
einfach klingeln und kleben Zettel an die
Tür, wie eine Berliner Hausärztin: »Waren
Sie in China, Italien, Iran oder Südkorea?
Haben Sie Fieber, Husten oder Luftnot?
Wenn zweimal ja: Bitte nicht die Praxis
betreten.« Stattdessen möge sich der be-
sorgte Patient beim Gesundheitsamt oder
dem Patientenservice der Kassenärztli-
chen Bundesvereinigung (KBV) unter der
Hotline 116 117 melden.
Leider sind beide Nummern über Stun-
den nicht erreichbar, nicht nur in Berlin,
sondern in vielen Städten. Im ganzen Land
berichten verunsicherte Menschen von
endlosen Warteschleifen und überlasteten
Leitungen. Allein am vergangenen Mon-
tag erreichten die Callcenter bundesweit

Für Atemschutzmasken müssten Kli -
niken derzeit teilweise das 25-Fache des
Normalpreises zahlen, kritisiert DKG-
Präses Gaß. Mundschutzmasken hätten
früher 69 Cent pro Stück gekostet, berich-
tet ein Arzt. Heute seien es etwa 18 Euro.
Bisweilen würden sogar bis zu 30 Euro
aufgerufen.
»Ohne Schutzbekleidung können wir
keinem Mitarbeiter anordnen, einen Coro -
navirus-Patienten zu behandeln«, sagt der
Geschäftsführer des Eschweiler Kranken-
hauses, Elmar Wagenbach. »Dann müssen
wir das Krankenhaus schließen.«
Auch Desinfektionsmittel werden in sei-
nem Haus knapp. Der Vertragslieferant
weigere sich, die Zuteilungen zu erhöhen,
und beliefere Apotheken, weil diese mehr
zahlten. Deshalb hat man in der Klinik mit
der »Eigenherstellung« begonnen. Hierfür
wurden 2000 Liter Isopropanol bei einem
Industrielackierer in Heinsberg beschafft
und, über persönliche Kontakte, beim
Fleischfabrikanten Tönnies. »Wir machen
eine Katastrophenpharmazie, wie ich sie
in 35 Jahren noch nicht erlebt habe«, sagt
Chefapotheker Jörg Gildehaus.
Die eigenen Mitarbeiter vor Anste-
ckung zu schützen fällt den Krankenhäu-
sern zunehmend schwer, die bundesweite
Infektionsrate des ärztlichen Personals
steigt. Axel Fischer, Chef der München
Klinik, ärgert sich, dass die Politik viel zu
spät reagiert habe. »Man konnte schon
früh sehen, dass die Materialien knapp
werden«, kritisiert er. »Uns ist im Moment
völlig egal, was das kostet, wir müssen es
beschaffen. Aber nach dieser Krise müs-
sen sich alle Gedanken machen, wie man
mit Firmen umgeht, die jetzt die Preise
hochtreiben. Hier geht es um die Gesund-
heit aller Menschen, um ein öffentliches
Gut.«
Auch der Landrat des Corona-geplagten
Heinsberg beklagt den Mangel an Atem-
schutzmasken und Schutzanzügen in den
drei Kliniken seines Kreises. »Das ist un-
sere Achillesferse«, sagt Stephan Pusch am
Telefon. Die Coronakrise sei ein »Armuts-
zeugnis für das Gesundheitssystem«.


Die Tests

Völlig konfus ist die Lage bei den Corona-
Tests. In vielen Gesundheitsämtern lie gen
die Nerven blank. Sie kommen bei der stei-
genden Zahl der Infizierten und der Suche
nach ihren Kontaktpersonen nicht mehr
hinterher. »Wir haben erheblichen Ver zug
bei der Erfassung der Infizier tenzahlen«,
sagt Ute Teichert, Vorsitzende des Bundes -
verbands der Ärz tinnen und Ärzte des
Öffentlichen Gesundheits dienstes.
Aus den Gesundheitsämtern im Land
kämen bereits Hilferufe. Einige Behörden
würden im Mehrschichtbetrieb arbeiten,
zum Teil blieben Mitarbeiter sogar über

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