Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
Spielerisch-Schweflige kann er nicht ab -
legen, auch nicht in der Krise, weshalb es
wohl ganz gut ist, dass er noch nicht im
Kanzleramt sitzt, sondern die sachliche
Angela Merkel. Er der Treiber, sie die
besonnene Frau für das große Ganze.

Die Verwaltung:
Die sichtbaren Hände

Am Montag kommt die schlimme Nach-
richt: ein Corona-Fall am Standort Bonn,
wo das Bundesverkehrsministerium die
meisten Mitarbeiter beschäftigt. Zwei Eta-
gen werden geräumt, die Mitarbeiter zu-
nächst ins Homeoffice geschickt. »Wir ar-
beiten am Rande unserer Kapazitäten«,
sagt ein Beamter. Am Mittwoch werden
die Spitzen des Hauses gebeten, notfalls
auf eigens errichteten Betten im Minis -
terium zu übernachten. Das Office als
Home.
Die Bürger müssen mit Lebensmitteln
und anderen Gütern versorgt werden, und
das funktioniert nicht wie sonst mehr oder
weniger von allein, mit der unsichtbaren
Hand des Marktes. Es sind jetzt vor allem
Beamtenhände, Beamtenköpfe, auf die es
bei den Details ankommt. Sie sollen dafür
sorgen, dass eigene Fahrspuren an der
Grenze für Lkw mit Lebensmitteln, Me-
dizin und Treibstoffen eingerichtet wer-
den. Sie sollen Frachtflieger organisieren,
falls Lkw gar nicht mehr rollen.
Jede weitere Einschränkung der Bewe-
gungsfreiheit macht es schwieriger, den
Warenfluss im Land aufrechtzuerhalten.
»Solche Verbote sind per Federstrich in
wenigen Minuten aufgeschrieben«, klagt
ein Ministerialer. Welche Konsequenzen
das habe, darüber hätten sich die Verant-
wortlichen weniger Gedanken gemacht.
»Vor allem darüber, wie und wann man
das Ganze wieder aufhebt.«


Im Verkehrsministerium ist man dazu
übergegangen, Verordnungen zu befristen.
Dann würde die Regelung auslaufen, wenn
sie nicht wieder explizit verlängert wird.
Ein Beispiel dafür ist die Aufhebung des
Sonntagsfahrverbots und die Lockerung
der Lenk- und Ruhezeiten für Lastwagen-
fahrer.
Die Beamten sind sich bei manchem,
was sie tun, nicht einmal sicher, ob sie für
ihre Verordnungen überhaupt eine recht-
liche Grundlage haben. Müsste nicht ei-
gentlich der Notstand ausgerufen werden,
fragen sich manche Beamte. Doch der sei
gar nicht für den Fall einer Pandemie ge-
schrieben, sondern für den Angriff einer
fremden Armee oder innere Unruhen.
Die riesigen Staus zum Beispiel nach
Polen sehen Beamte als böses Omen.
Denn die Lkw, die dort stehen, bringen
keine Autoersatzteile mehr an ihr Ziel,

keine Schweinehälften, keine Chemika-
lien.
Doch die größte Sorge bereitet ihnen
das Coronavirus selbst. Sollte es auch im
Berliner Ministerium auftreten, könnten
sie nicht einfach im Homeoffice verschwin-
den. Das wurde ihnen bei den internen
Krisenbesprechungen klar. Die techni-
schen Voraussetzungen dafür existieren
nicht.

Die Zwischenbilanz: Lichtblicke
in der Überforderung
Alle sind überfordert, das ist klar, das geht
gar nicht anders. Es kommt darauf an, sich
in der Überforderung an das Richtige he-
ranzutasten. Ein paar Lichtblicke gibt es.
Das Verfahren ist umständlich, weil im
Föderalismus so viele mitreden, führt aber
doch in kurzer Zeit zu Konvergenz, weil
niemand hinterherhinken will.
Merkel ist eine geübte Krisenpolitikerin,
sie hat die Nerven, eine extreme Situation
wie diese auszuhalten. Und nun hat sie
sogar mal eine gute, gemütvolle Rede
gehalten. Sie kann sich an die Situation
anpassen und führt ein Ministerteam, das
alles in allem funktioniert.
Markus Söder ist ein Beleg dafür, wie
gut Föderalismus sein kann, auch in der
Krise. Aus einem großen Bundesland he-
raus macht er den zögerlichen Politikern
in Berlin und anderswo Druck. Er treibt
an – und treibt seine Spielchen, weshalb
es gut ist, dass er in einem großen Bundes-
land noch reifen kann, bevor man ihm wo-
möglich ganz Deutschland anvertrauen
würde. Für Laschet gilt das in anderer Wei-
se auch. Die Krise klärt einiges.
Ein Problem sind die Verwaltungen.
Auch wenn die Politik schnell entscheiden
würde, in der Umsetzung wird es haken.
Aber das alles sind vorläufige Einschät-
zungen. Man wird erst in ein paar Mona-
ten wissen, ob sich dieses System, ob sich
diese Politiker bewährt haben.
Ein erster Test kommt am Wochenende.
Wenn die Cafés und Parks voll sind, wer-
den die Bundeskanzlerin und die Minis-
terpräsidenten am Montag wahrscheinlich
Ausgangssperren beschließen. Die Vorbe-
reitungen laufen, Passierscheine werden
gedruckt.
Sollte es so kommen, hätten die Regie-
renden tatsächlich zu lange gewartet,
hätten sie einen Zeitverlust zu verantwor-
ten in einer Krise, in der es auch auf das
Tempo ankommt.
Anna Clauß, Jürgen Dahlkamp,
Lukas Eberle, Christoph Hickmann,
Martin Knobbe, Dirk Kurbjuweit,
Veit Medick, Lydia Rosenfelder,
Cornelia Schmergal, Christoph Schult,
Christian Teevs, Gerald Traufetter,
Steffen Winter

26 DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020

JENS KRICK / FUTURE IMAGE / IMAGO IMAGES
Ministerpräsident Laschet: Hier ist jemand hoch nervös

Sonntagsfrage
»Welche Partei würden Sie wählen,
wenn am kommenden Sonntag
Bundestagswahl wäre?«

14%
13 %

27 %

























CDU/CSU


16 %

26 %

30%


SPD


Januar Februar März
Quelle: Infratest dimap; mindestens 1000 Befragte
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