Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
Braun: Schränkt man die Bewegungsfrei-
heit der Menschen ein, ist das eine psy-
chische Belastung. Die kann auch Konse-
quenzen haben. Es ist eben ein großer
Wert, wenn eine Kernfamilie auch mal ge-
meinsam vor die Tür gehen kann, solange
sie Abstand zu anderen hält. Deshalb ha-
ben wir auch nicht gleich alles beschlossen,
was uns einfällt.
SPIEGEL: Welche Freiheiten vermissen Sie
persönlich am meisten?
Braun: Die Wochenendaktivitäten mit
Freunden und Bekannten. Persönliche
Begegnungen lassen sich nicht durch ein
Telefonat ersetzen.
SPIEGEL: Deutschland hat Kontrollen an
einem Teil seiner Grenzen eingeführt.
Brauchen wir die noch, wenn doch jetzt
die Außengrenzen dichtgemacht wurden?
Braun: Wenn ich den Deutschen sage, dass
sie keinen Urlaub im Inland machen dür-

fen und auf Freizeitaktivitäten verzichten
müssen, dann muss ich sicherstellen, dass
nicht Menschen aus anderen Ländern über
die Grenze kommen, die genau das tun.
SPIEGEL: Die Regierung will die drohende
Wirtschaftskrise mit Kurzarbeit, steuer -
lichen Liquiditätshilfen und reichlich Kredi-
ten abmildern. Muss der Staat nicht offensi-
ver agieren, etwa mit Verstaatlichungen?
Braun: Wir schließen zum jetzigen Zeit-
punkt kein Instrument aus. Wir sehen na-
türlich, dass es im Flugverkehr ganz erheb-
liche Einbußen gibt. Wir haben mit den
Liquiditätshilfen und dem Kurzarbeiter-
geld schon zwei zentrale Maßnahmen um-
gesetzt. Wir arbeiten gerade an Fonds, aus
denen kleine Unternehmer Zuschüsse er-
halten können, für die die anderen Hilfen
nutzlos sind. Aber wir müssen auch klar
sagen: In einer Krise dieser Größenord-
nung können wir versuchen, in der Breite
Effekte abzumildern. Aber der Staat kann
diese Krise nicht allein ausgleichen.

SPIEGEL: Was erwarten Sie konkret von
der Wirtschaft?
Braun: Sie muss dafür sorgen, dass die
Belegschaften an Bord bleiben. Vermieter,
Arbeitgeber, die die Infrastrukturkosten
haben, müssen sich auch gemeinsam über-
legen, wie man eine solche Krise über -
stehen kann – jenseits staatlicher Hilfen.
Man muss sich klarmachen: Wer jetzt
einen Mieter verliert, der findet auch kei-
nen anderen. Also ist es vielleicht sinnvoll,
die Miete für eine Zeit lang zu erlassen.
Die Aufgabe ist: die Durststrecke zu über-
winden und hinterher genauso erfolgreich
weiterzumachen, wie es vorher war.
SPIEGEL: Wie lange wird das Land brau-
chen, diese Krise zu überwinden?
Braun: Die Betroffenen sind nicht deshalb
in eine Krise geraten, weil sie ein schlech-
tes Produkt haben, ein schlechtes Restau-
rant führen oder ein schlechter Künstler

sind. Sondern weil eine Pandemie uns da-
ran hindert, gewisse Aktivitäten auszufüh-
ren. Ist die Situation bereinigt, dann wird
die Begeisterung sehr groß sein, die wie-
dergewonnene Freiheit voll auszunutzen.
Ich kann mir vorstellen, dass am Ende
einer solchen Krise die Wirtschaft sehr,
sehr schnell wieder anspringt. Nur wann
das sein wird, kann man nicht sagen.
SPIEGEL: Es hieß anfangs, wärmere Tem-
peraturen würden die Zahl der Infektionen
möglicherweise absenken. Brasilien zeigt,
dass dem womöglich nicht so ist.
Braun: Sehr wahrscheinlich gibt es die er-
hoffte Sommerpause von der Epidemie
nicht. Das ist für unsere Vorbereitungs -
arbeiten eine große Herausforderung. Eine
Entwarnung wäre nur die Entwicklung
eines Impfstoffs oder geeigneten Behand-
lungsmittels.
SPIEGEL: Herr Braun, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.

DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 29

Coronakrise

MICHAEL KAPPELER / AFP


Sitzung des Kabinetts am 18. März: »Wir wollen sehr klar und sehr transparent informieren«

IN DER SPIEGEL-APP

MARTIN ZINGGL / DER SPIEGEL

Die Müllinsel


Millionen Touristen, zu wenig Re -
cycling: Die Malediven versinken in
Plastikmüll. Über Jahrzehnte lagerte
das Land den Abfall in einer Lagune,
eine eigene Insel ist daraus gewachsen,
die das Riff verpestet. Dort wird alles
unsortiert verbrannt: vom Shampoo -
flakon über Essensreste bis hin zu Elek-
troschrott. Täglich landen hier Hunder-
te Tonnen Müll, mittlerweile hat die
Insel die Ausmaße einer 50 Hektar
großen Umweltkatastrophe angenom-
men. Nun will das Land die Müllinsel
be grünen – und ins gesamt nachhal -
tiger werden. Kann das funk tionieren?

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