Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
schen trifft. Das kann man auch ohne
Ansteckungspotenzial organisieren. Und
natürlich ist das Virus eine ernste Ge-
fahr! Ich bin Unternehmer geworden,
um Dinge zu gestalten und mir meine
Lücken zu suchen. Herausforderungen,
auch ein Virus, machen mir eigentlich
keine Sorgen. Don’t panic! Wash your
hands and drink a Martini! Nur jetzt hat
die staatliche Seite entschieden, dass wir
mehrere Monate keinen Umsatz machen
dürfen, während eine naive: ›Wir bleiben
alle drei Wochen zu Hause und dann ist
es vorbei‹-Gruppierung jeden anpran-
gert, der sich das nicht so ohne Weiteres
erlauben kann. Ach ja: Die Spielplätze
zu schließen finde ich unmenschlich!«

Kapitel 2 : Von kurzen und
sehr langen Reisen

Sophie Schoen,39, hat erst den
Ausbruch des Coronavirus in Südkorea und
dann den in Deutschland erlebt

»Ich erinnere mich an das Gefühl, mit dem
ich im Flugzeug nach München saß und
mich auf die Zeit in Deutschland freute:
endlich wieder ein normales Leben füh-
ren. Das war Ende Februar. Das Corona -
virus war gerade in Südkorea ausgebro-
chen, es gab schon mehr als tausend Infi-
zierte. Die Stimmung war gespenstisch.
Wir leben seit drei Jahren in Seoul. Plötz-
lich lag dort eine totale Unsicherheit in der
Luft. Weil sich abzeichnete, dass der Kin-
dergarten länger schließen würde und wir
uns in unserer Wohnung gefangen fühlen
würden, bin ich mit meinen zwei Töchtern
(3 und 5) nach Deutschland geflogen.
Mein Mann ist in Seoul geblieben. Nach
zwei Wochen bei meinen Eltern in Bayern
wurde dort der Katastrophenfall ausgeru-
fen. Wieder in die gleiche Situation zu ge-
raten fühlte sich an wie ein Schlag ins Ge-
sicht. Weil in München das Wetter so gut
war, gingen die Leute trotzdem nach drau-
ßen, in die Biergärten, die Cafés – und
zwar in Massen. Ich hoffe, dass sich bei ih-
nen der gesunde Menschenverstand durch-
setzt und sie bald auf Abstand gehen. Du
siehst auch niemanden auf der Straße mit
Maske. In Korea finden die Leute das nor-
mal, da tragen alle an stärker bevölkerten
Plätzen eine Maske – das gibt mir dort ein
Gefühl von Sicherheit. In ein paar Tagen
fliegen wir nach Seoul zurück. Wenn ich
jetzt zurückkomme, fühle ich mich in Süd-
korea sicherer. In Seoul fängt das normale
Leben so langsam wieder an, wohingegen
es in Deutschland gerade aufhört.«


Meta,18, aus München

Am 21. Januar kam Meta nach Paris, um
für sechs Monate zu bleiben, WG an
der Place de Clichy, viermal pro Woche
Sprachkurs. Am Dienstag saß sie im
TGV 9577 Paris–München, der wegen
der Grenzschließungen nur noch bis
Straßburg fuhr. Ein WhatsApp-Chat aus
dem Zug.
SPIEGEL:Und, Meta? Hast Du’s ge-
schafft?
Meta:Jap, Ich sitze im Zug :) allerdings
ist es im Moment fraglich, wie das an der
Grenze weitergeht, weil der Zug jetzt
schon nicht mehr wie angekündigt nach
München fährt, sondern nur noch nach
Straßburg ... Aber immerhin sind wir
jetzt unterwegs.
SPIEGEL:Wann hast Du zum ersten Mal
gedacht, dass das Virus etwas mit Dir zu
tun haben könnte?
Meta:Ich habe eine sehr lange Zeit gar
nicht gedacht, dass es mich beeinflussen
würde, und mir ist eigentlich erst letzte
Woche klar geworden, wie sehr das
Virus auch mich beeinflussen wird, denn
da wurden in Frankreich alle Schulen
geschlossen.
SPIEGEL:Wann hast Du Dich entschie-
den, Frankreich zu verlassen?
Meta:Erst gestern Vormittag, als ich rea-
lisiert habe, dass in Frankreich jetzt noch
strengere Maßnahmen ergriffen werden.
Es ist in so einer Zeit sinnvoller, bei der
eigenen Familie und in einer gewohnten
Umgebung zu sein.
SPIEGEL:Fühlst Du Dich gerade wie auf
der Flucht?
Meta:Schon ein bisschen. Es ist eine
sehr neue Situation, die einen dazu
zwingt, über Dinge nachzudenken, mit
denen man sich als EU-Bürger eigentlich
selten beschäftigen muss, wie zum Bei-
spiel mit dem Grenzübertritt von Frank-
reich nach Deutschland. Außerdem trägt
auch die Geschwindigkeit, mit der wir
die Entscheidung getroffen haben zu ge-
hen und dann gleich packen zu müssen,
dazu bei, dass es sich ein wenig anfühlt
wie eine Flucht.

Priyanka Rohit,33, Leipzig

»Ich will in Deutschland nicht leben.
Mein Mann und ich dürfen hier nicht
arbeiten, unsere Kinder kriegen keine
Geburtsurkunden, der Mensch in der
Ausländerbehörde sagt: Ihr habt hier kei-
ne Zukunft. Das sehe ich doch genauso!
Wir kamen im November 2014 aus In-
dien, dachten, wir kriegen hier bessere
Jobs, ich bin Buchhalterin, mein Mann
Gabelstaplerfahrer. Wir fanden gar keine

Jobs, wir werden geduldet, kriegen Geld
vom Staat, hocken zu Hause.
Nach der Geburt unseres zweiten Kin-
des im August 2018 beschlossen wir zu
gehen. Da wir keine gültigen Pässe mehr
haben und die indische Botschaft uns
keine ausstellt, haben wir all diese Zeit
keine Ausreisegenehmigung bekommen.
Obwohl wir ausreisepflichtig sind! Seit
fast zwei Jahren haben wir diesen Stel-
lungskrieg geführt gegen die Bürokratie,
mit Rückkehrberatung, Anwalt, Gerichts-
verfahren. Es war zermürbend. Am Mon-
tag erfuhren wir, dass wir endlich ausrei-
sen können. Wir hatten schon die Flug -
tickets für den 7. April. Aber nun sitzen
wir hier fest. Ausgerechnet jetzt, wo der
Wahnsinn vorbei sein könnte, kommt
dieses Virus und sagt: Bleibt, wo ihr seid!

Laura Ludwig,34, Olympiasiegerin
im Beachvolleyball

SPIEGEL:Sie waren bis vergangenen Sonn -
tag in Rio de Janeiro im Trainingslager.
War Covid-19 in Brasilien ein Thema?
Ludwig:Am Anfang überhaupt nicht. Es
wurde noch Karneval gefeiert, die Leute
waren am Strand, die Restaurants voll.
Nur vereinzelt wurden wir mal angespro-
chen: Was ist denn bei euch in Europa
los? Wenige Tage vor unserer Abreise
fing es dann aber an, dass sie den Men-
schen auf den Straßen erklärten, wie
man richtig Hände wäscht. Und ver -
gangenen Freitag wurden dann alle Ver-
anstaltungen in Rio abgesagt.
SPIEGEL:Wie war die Rückreise und die
Ankunft in Deutschland?
Ludwig:Schon an Bord war die Stim-
mung seltsam bedrückt. In Frankfurt am
Flughafen war kaum was los. Unser

DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 35

Olympiasiegerin Ludwig mit Sohn
Free download pdf