Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
kein ›Wettrennen‹, welcher Schulträger
schnellst möglich seine Schulen digital mo-
dernisiert«, kommentiert ein Sprecher von
Hessens Kultusminister Alexander Lorz
(CDU). Sein Land hatte bis Mitte Februar
nur zwei Anträge bewilligt.
Der Weg in die digitale Welt ist für viele
Schulen ohnehin sehr weit. Im internatio-
nalen Vergleich hinkt Deutschland hinter-
her. Nur rund ein Viertel der Schulen ver-
fügt hierzulande über einen WLAN-Zu-
gang, den Lehrende und Lernende nutzen
dürfen. Das ergab die internationale Com-
puterstudie ICILS 2018, die im vergange-
nen November erschienen ist. Zum Ver-
gleich: In Finnland nutzen mehr als 90 Pro-
zent der Schulen ein eigenes drahtloses
Internet, selbst in Ländern wie Kasachstan
oder Uruguay ist dies bei mehr als der Hälf-
te möglich.
In Deutschland fehlt es vielerorts an
einem leistungsstarken Internetanschluss
und IT-Netzwerken in den Schulgebäuden –
weshalb viele Schulträger die Digitalpakt-
Mittel vorrangig in den WLAN-Ausbau in-
vestieren. »Der Fokus der Förderung liegt
auf einer grundlegenden Erschließung der
Digitalinfrastruktur in den Schulen«, heißt
es deshalb etwa aus dem sächsischen Staats-
ministerium für Kultus in Dresden.
Das klingt logisch. Wozu massenweise
Tablets kaufen, wenn das Internet so löch-
rig ist, dass nie mehr als drei Kinder gleich-

det, auch Sachsen-Anhalt habe bisher kei-
nen Antrag bewilligt.
Die Antragsteller müssen in einem pä-
dagogischen Konzept darlegen, wie die
Schulen die Technik einsetzen wollen.
»Hierauf lege ich besonderen Wert«, er-
klärt Bundesbildungsministerin Anja Kar-
liczek (CDU). »Deshalb überrascht es
nicht, dass bis Ende letzten Jahres nur we-
nige Mittel geflossen sind.«
Tatsächlich liegt es an den Ländern, wie
schnell das Geld ankommt. Bevor die Mil-
liarden fließen können, muss jedes Bun-
desland die Verwaltungsvereinbarung un-
terzeichnen und eine eigene Förderricht -
linie dazu veröffentlichen. Das geht, je
nach Land, mal schneller, mal langsamer.
Während Sachsen bereits im August feier-
lich den ersten Bewilligungsbescheid an
den Landkreis Zwickau überreichte, kön-
nen Schulträger in Bayern erst seit Mitte
Dezember überhaupt Anträge stellen.
Experten kritisieren den Verwaltungs-
aufwand. »Zu voraussetzungsvoll« und
»zu bürokratisch« sei der Prozess, schrei-
ben die Bildungsforscher Hurrelmann und
Dohmen. »Dies alles hat dazu geführt,
dass viel Zeit ins Land gegangen ist, ohne
dass die Schulen auch nur einen Schritt
weitergekommen sind.«
Manche Länder fühlen sich zu Un-
recht angegriffen: »Der DigitalPakt ist ein
auf fünf Jahre angelegtes Programm und


DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 47

zeitig ein Arbeitsblatt herunterladen kön-
nen? Nur: In Corona-Zeiten, wenn alle
Schülerinnen und Schüler zu Hause blei-
ben müssen, hilft ein Anschluss allein auch
nicht weiter. In einem Stadtstaat wie
Bremen ist die Lage besser, hier sind die
meisten Schulen schon seit Längerem
ans Breitbandinternet angeschlossen. Das
Land musste das Digitalpakt-Geld deshalb
kaum in Router und Verkabelungen ste-
cken, sondern konnte Robotik-Sets, Lern-
software und Dokumentenkameras an-
schaffen. Hamburg stattete damit nun un-
ter anderem auch das Landesinstitut für
Lehrerbildung und Schulentwicklung mit
Geräten aus.
Die Verantwortlichen im Landkreis
Oberhavel, in dem Hohen Neundorf liegt,
waren ihrer Zeit voraus. Der Schulbetrieb
am Marie-Curie-Gymnasium läuft schon
seit anderthalb Jahren mit digitaler Unter-
stützung. Deshalb können sich die Abläufe
einspielen, bevor die Krise begann. Man
könnte sagen: Es sind genau diese andert-
halb Jahre, die vielen anderen Schulen
jetzt fehlen. »Es gab damals einen Sonder-
topf, um Pilotschulen mit digitaler Technik
auszustatten und zu erproben, was damit
möglich ist«, sagt Schulleiter Thomas
Meinecke. »Ich bin froh, dass wir nicht auf
den Digitalpakt warten mussten.«
Miriam Olbrisch

MILOS DJURIC / DER SPIEGEL
Mathelehrer Aurin in Hohen Neuendorf: Unterricht ins Netz verlegt
Free download pdf