Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
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Coronakrise

Etwas besser fühle ich mich auch, seit-
dem dieselben Politiker, die den Hamster-
käufer ächten, ein neues gesellschaftliches
Leitbild ausgerufen haben: den sozial dis-
tanzierten Bürger. Sozial distanzieren?
Kann ich. Ich habe einen Vorrat, ich muss
nirgendwo mehr hin. Wir haben zu einem
Zeitpunkt eingekauft, als die Industrie den
Hamster noch für ein wertvolles Nutztier
der Marktwirtschaft hielt und problemlos
nachproduzieren konnte. Also Wochen be-
vor die Coronakrise dafür sorgt, dass die
Regale bald nicht mehr so voll sind.
Ups, das hätte ich jetzt nicht sagen sol-
len, das war Panikmache. So weit wird es
natürlich nicht kommen, sagen mir alle,
die Verantwortung in diesem Land tragen:
Die Läden, sie bleiben voll. Auch der Bun-
desverband des Deutschen Lebensmittel-
handels versichert das. Allerdings haftet
dieser Verband nicht, wenn es anders
kommt. Und wenn man sich in der Coro-
nakrise bisher auf eines verlassen konnte,
dann darauf, dass es anders kommt.
Am vergangenen Samstag behauptete
das Bundesgesundheitsministerium, es sei-
en keine weiteren Einschränkungen des
öffentlichen Lebens geplant, alles andere
seien »Falschmeldungen«. Nur Stunden
später kündigten Köln und Berlin an, sie
würden alle Kinos, alle Klubs, alle Kneipen
dichtmachen.
Nichts ist in diesen Tagen so wenig wert
wie eine Gewissheit von gestern, nichts so
verdächtig wie eine Gewissheit von heute,
nichts so ungewiss wie morgen. Was pas-
siert, wenn die Lebensmittelproduktion
gedrosselt werden muss, weil die Mit -
arbeiter bei den Kindern bleiben müssen,
die nicht mehr in die Schule gehen? Und
was, wenn in einem Lebensmittelwerk
der erste Corona-Fall auftritt? Stilllegung
oder einfach weitermachen? Gibt es dafür
Antworten? Auf Fragen, die sich bisher
nie jemand stellen musste?
Ich bekenne: Ich habe gehamstert, aber
muss ich mich dafür schämen? Weil ich
mich versichert habe, statt Gewissheiten
zu glauben, die inzwischen eine Halb-
wertszeit von nur noch Tagen oder Stun-
den haben? Die Hefe im Edeka war am
Montag ausverkauft, das Mehl auch. Es
sollte am Dienstag neues kommen, aber
keiner wusste, wie viel. Gut, dass ich den
alten Elektrorasierer noch habe. Und mei-
nen Vorrat im Keller. Mit der Häme muss
ich leben. Jürgen Dahlkamp

I


ch bekenne: Ich habe gesündigt, in
Gedanken, Worten und Werken. Ich
habe gehamstert. Nicht jetzt, schon
vor drei Wochen. Und das, obwohl
es doch hieß, man müsse wegen der auf-
ziehenden Coronakrise keine Vorräte an-
legen, denn eines sei sicher: dass immer
genug im Laden sein werde. Das Mehl.
Die Hefe. Die Ersatzklingen für den Shark-
Rasierer von Lidl.
Ich erinnerte mich sofort an andere Din-
ge, die angeblich sicher waren, Zinsen auf
Spareinlagen, Lehman Brothers, die Rente,
ich dankte für die Zuversicht der Regie-
rung, ohne die sich zweifellos kein Land
regieren lässt. Dann sagte ich zu meiner
Frau: »Lass uns mal ein paar Dinge ein-
kaufen.« Wir gingen zu Edeka und besorg-
ten vier Dosen Ravioli, zweimal den XXL-
Erbsen-Eintopf, zwölf Dosen Tomaten fein
gehackt, zwölf Liter H-Milch, noch dies
und das, und ja, auch Toilettenpapier. Kei-
ne Hefe, Frischhefe hält sich nicht lange;
an Ersatzklingen dachte ich da noch nicht.
Ich gebe zu, ein wenig schämten wir uns
schon. Ich wäre auch gern besonnen ge-
blieben, so gefasst und gelassen, wie ande-
re taten. Ich hätte gern meiner staatsbür-
gerlichen Verantwortung genügt, die Ruhe
zu bewahren, keinen verrückt gemacht, am
wenigsten mich selbst. Leider bin ich nicht
gelassen, war ich nie. Außerdem habe ich
dieses Ding zu Hause, man nennt es Fern-
seher, da läuft abends die »Tagesschau«.
Die Bilder aus China machten es ziemlich
schwer, gefasst und gelassen zu bleiben.
Die Bilder sagten Weltuntergang, nur um
mich herum sagten die meisten: Husten.
Drei Wochen lang haben gemeine Hams-
terer wie ich dann kräftig einstecken müs-
sen, wir waren die Witzfiguren in der Welt
der Gelassenen. Da war zum Beispiel die
Kolumnistin Frau E. auf SPIEGEL.de, die
Leute wie mich einen »Wohlstandsfaschis-
ten« nannte. Wer hamstere, meinte Frau
E. noch, lasse auch gern auf Flüchtlinge
schießen; das sei nämlich ein und dieselbe
Sorte Mensch. Ich redete mir gut zu, dass
eher Frau E. einen an der ungehamsterten
Waffel hat, als dass ich ein Wohlstands -
faschist bin. Ich nahm mir vor, an die Welt-
hungerhilfe zu spenden, auch als Zeichen
wider den Faschismus, ansonsten aber die
Kritik nicht allzu ernst zu nehmen.
Nicht so leicht kam ich damit klar, dass
mich auch alle Politiker niedermachten.
Alle. Der Gesundheitsminister von Nord-
rhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, nann-


te Hamstern »absoluten Blödsinn«, sein
Ministerpräsident Armin Laschet nannte
es »unsolidarisch«, nicht besser als das
Stehlen von Desinfektionsmitteln aus Kran-
kenhäusern. So tief war ich also gesunken.
Und die Bundesernährungsministerin Ju-
lia Klöckner bläute mir ein, dass es für
Hamsterkäufe keinen Anlass gab, gibt und
geben wird. Es sei genug da, nur nicht,
wenn Gierige mehr kauften, als sie brauch-
ten und verbrauchten.
Wäre es nicht schön, wenn sie recht
hätte? Ich würde mich freuen. Bekannte
kann man nicht mehr in den Keller lassen,
was würden sie denken. Aber wenn Hams-
tern nach Ansicht der Bundesregierung
so dumm, gemein, unverschämt und vor
allem sinnlos ist, warum empfiehlt dieselbe
Bundesregierung – das Bundesamt für Be-
völkerungsschutz und Katastrophenhilfe –
jedem Bürger, er solle stets einen Vorrat
für zehn Tage bunkern? Für alle Fälle, man
wisse ja nie. Auf der Homepage der Be -
hörde kann man dafür seine »Persönliche
Checkliste« abkreuzen: Toilettenpapier
(Rollen), 2,5 Kilogramm Obst und Nüsse.
4 Kilogramm Gemüse und Hülsenfrüchte.
Ist also das Hamstern für eine Krise, die
vermutlich gar nicht kommt, sozial verträg-
lich, dagegen das Hamstern für eine Seu-
che, die uns sicher voll erwischen wird, so-
zialschädlich? Und wenn Hamstern mitten
in der Krise falsch, ansonsten aber gold-
richtig ist, warum hat die Bundesregierung
dann nicht die Bevölkerung rechtzeitig vor
vier Wochen zum Bevorraten aufgerufen?

Geständnisse eines Hamsters


EinwurfWer Vorräte anlegt, gilt bestenfalls
als sonderbar, schlimmstenfalls als Sozialschädling. Warum eigentlich?

JÜRGEN DAHLKAMP / DER SPIEGEL
Lebensmittel im Keller
Ich muss nirgendwo mehr hin
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