Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

A


ls sie Polizisten wurden, legten Ma-
ximilian O. und Gurjan J. einen Eid
ab. Jeder schwor, »das Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland und die
Verfassung des Freistaates Thüringen so-
wie alle in der Bundesrepublik geltenden
Gesetze zu wahren und meine Amtspflich-
ten gewissenhaft zu erfüllen«. Das haben
sie, dem Anschein nach, nicht getan. Seit
Anfang Oktober sitzen die beiden Beam-
ten, 23 und 27 Jahre alt, in Untersuchungs-
haft. Sie sollen eine Frau in deren Woh-
nung vergewaltigt haben. Im Dienst. In
Uniform. Ihre Waffen trugen sie bei sich.
Der Vorwurf ist ungeheuerlich. Nur
wenig erschüttert das Vertrauen in den
Rechtsstaat mehr als Polizisten, die selbst
gegen das Recht verstoßen. Besonders
dann, wenn sie ihre Taten gegen Menschen
in ihrer Obhut richten. Details über den
vermutlichen Tatablauf, neu aufgetauchte
Beweismittel und Aussagen der Beteiligten
machen den Fall aufsehenerregender, als
er ohnehin war.
Ende März soll nach bisheriger Planung
am Landgericht Erfurt der Prozess gegen
die beiden Thüringer Polizisten beginnen.
Die Kammer hat die schwierige Aufgabe
herauszufinden, was sich tatsächlich am



  1. September 2019 ereignet hat, als die
    beiden Beamten mit ihrem mutmaßlichen
    Opfer allein waren.
    An diesem Tag überprüfen Maximilian
    O. und Gurjan J. von der Polizeiinspektion
    Gotha bei einer Verkehrskontrolle ein pol-
    nisches Paar, das aus den Niederlanden


eingereist war. Die 33-jährige Frau spricht
kaum Deutsch. Sie weist sich mit einem
gefälschten Pass aus. Die beiden nehmen
sie deswegen in Gewahrsam, sie wollen
die Identität der Frau feststellen. Dann fah-
ren sie mit ihr und ihrem Partner zu deren
Wohnung in Marlishausen, einem Ortsteil
von Arnstadt, etwa 30 Kilometer von
Gotha entfernt. Die Polizisten planen, die
Wohnung nach Dokumenten zu durch -
suchen, die Aufschluss über die Identität
der Frau geben.
Maximilian O. und Gurjan J. begleiten
die Frau ins Haus, ihr Lebensgefährte war-
tet mit einem dritten Polizeibeamten im
Streifenwagen davor. Dann, so gibt es die
Frau später zu Protokoll, sollen die beiden
Polizisten nacheinander über sie hergefal-
len sein. Beide Männer hatten demnach
mit ihr gegen ihren Willen ungeschützten
vaginalen Geschlechtsverkehr. Die Gürtel
mit den Waffen und die schusssicheren
Westen hätten sie vorher abgelegt.
In Vernehmungen haben Maximilian O.
und Gurjan J. eingeräumt, mit der Polin
in deren Wohnung Sex gehabt zu haben.
Alles sei aber einvernehmlich gewesen, sie
hätten die Frau weder gezwungen noch

bedroht. Vielmehr habe die Frau schon
während der ersten Kontrolle Annähe-
rungsversuche gemacht, später ihre Brust
entblößt und einem der Polizisten in den
Schritt gefasst. Verbal hätten sie sich auf-
grund der Sprachschwierigkeiten kaum
verständigen können, so die Beamten.
Schon das, was die Polizisten zugegeben
haben, wiegt schwer. Der mögliche Tat -
bestand lautet: sexueller Missbrauch einer
behördlich verwahrten Person unter Aus-
nutzung der Amtsstellung. Eine solche Tat
wird mit einer Freiheitsstrafe von drei Mo-
naten bis fünf Jahren bestraft. Wer einer
solchen Straftat überführt wird, kann in
der Regel kein Polizist bleiben.
Die Beamten gaben an, die Frau habe
gehofft, die Polizisten würden sie laufen
lassen, wenn sie ihnen sexuell zu Diensten
sei. Die 33-Jährige war in Polen offenbar
wegen Betrug zur Fahndung ausgeschrie-
ben und arbeitete in Deutschland in der
Vergangenheit als Prostituierte für Escort-
services. Einen Tag nach der Wohnungs-
durchsuchung zeigte sie die Polizisten
wegen Vergewaltigung an.
Zu ihrem Schutz will Oberstaatsanwalt
Hannes Grünseisen keine detaillierten An-
gaben zu dem Fall machen. Nur so viel:
»In diesem Verfahren ist sehr umfänglich
ermittelt worden.« Zum Beispiel zu Video-
aufnahmen, die es von der Tat gibt. Maxi-
milian O. hatte selbst mit dem Handy ge-
filmt, während er sich mit seinem Kollegen
in der Wohnung der Frau aufhielt. Danach
löschte er die Sequenz allerdings, entfernte
die SIM-Karte und warf das Handy in
einen Bach – offenbar hoffte er, dass es
damit vernichtet wäre.
Am Anfang hatte er offenbar noch mit
den Aufnahmen geprahlt, vor mindestens
einem weiteren Polizisten. Auch gegen die-
sen wurde zunächst ermittelt. Es ist jener
Beamte, der mit dem Lebensgefährten der
Frau vor ihrem Haus im Streifenwagen ge-
wartet hatte. Der dabei war, als seine bei-
den Kollegen mit der Frau zurückkamen
und sie zusammen wieder zum Revier fuh-
ren. Nachdem die Polizisten das Paar auf
der Wache abgesetzt hatten, soll Maximi-
lian O. dem Kollegen im Auto Videos vor-
gespielt haben, auf denen er oder Gurjan
J. beim Sex mit der Frau zu sehen waren.
Der Kollege behauptete später, die Auf-
nahmen zeigten einen Bildausschnitt aus
großer Nähe, er habe nicht erkennen kön-
nen, wer die Frau gewesen sei. Die Staats-
anwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen
ihn ein. Er wird aber als Zeuge vor Gericht
aussagen müssen.
Spezialisten der Thüringer Polizei konn-
ten das Handy aus dem Bach bergen. Kri-
minaltechniker stellten die gelöschten Vi-
deofilme wieder her. Sie könnten ein wich-
tiges Beweismittel im Prozess sein. Die
Staatsanwaltschaft Erfurt wirft den beiden
Thüringer Beamten unter anderem ge-

54 DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020


Deutschland

Unverzeihlich


Strafjustiz Zwei Polizisten sollen im Dienst eine Frau vergewaltigt
haben. Sie sagen, der Sex sei einvernehmlich gewesen.

STEVE BAUERSCHMIDT / IMAGO IMAGES
Polizeiinspektion Gotha:Dem Kollegen im Streifenwagen Sexvideos vorgespielt

»Beide wussten, dass
sie das nicht dürfen.
Die können nicht zurück
in den Dienst.«
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