Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

Reporter


56

Freizeit

Warum ist kein Ende


in Sicht, Herr Proffen?


SPIEGEL:Der diesjährige Internationale
Pi-Tag, der am 14. März stattfinden sollte,
ist Corona zum Opfer gefallen, oder?
Proffen:Keineswegs! Wir trafen uns am
3/14, das ist die amerikanische Schreib-
weise dieses Datums, um 15 Uhr zum
»π-Day« in Weißenseifen.
SPIEGEL:Datum und Uhrzeit bilden die
Zahl aller Zahlen ab?
Proffen:3,14159265358...
SPIEGEL:Danke.
Proffen:Ich komme leider nur bis zur


  1. Stelle. Aber es gibt unsere Pibel, in
    der eine Million Ziffern abgedruckt sind.
    SPIEGEL:Sie kennen die Brüder Chudnov-
    sky, die in einem New Yorker Apartment
    einen Supercomputer installierten, um Pi
    als eine Landschaft zu interpretieren?


Proffen: Ja, wir machen hier in Nörten-
Hardenberg etwas ganz Ähnliches. Es
gibt die farblich codierte Zahl Pi als
Kunst im Raum auf der Fassade unseres
Hallenbades.

SPIEGEL: In der Öffentlichkeit wird der-
zeit eher wenig über das Verhältnis von
Kreisumfang zu Durchmesser gesprochen.
Proffen:Leider. Das gemeinsame Lesen
einer Seite der Pibel hat einen durchaus
meditativen und therapeutischen Effekt,
gerade im Freundeskreis.
SPIEGEL: Aber ...
Proffen:Das ist doch das Wunderbare,
Schöne an der Zahl: Es beginnt etwas Ge-
heimnisvolles, und kein Ende ist abzusehen.
SPIEGEL:Das kommt einem gerade
durchaus vertraut vor.
Proffen:Sehen Sie. Diese Zahl ist allge-
genwärtig. Auch und gerade in der Kunst,
ich erinnere an Picasso. An Shakespeare,
»To pi, or not to ...«
SPIEGEL:Nochmals unendlichen Dank.
Proffen:Pitte sehr.

Bilian Proffen, 62, Raumausstatter in
Nörten-Hardenberg, ist Vorsitzender der
»Freunde der Zahl Pi – Deutschland e. V.«.

zuerst in einer Holzfabrik,
bevor er zum »VEB Manga-
nesit – Kittfabrik Hildburg-
hausen« kam. Das war in der
DDR der Alleinhersteller von
Spezialkitten. Ich habe selbst
gesehen, wie Rudolf und sein
Kollege in den Sechzigerjah-
ren mit Kübeln, Kellen, Töpfen
und Rührhölzern hantierten,
um Leinöl und andere Zuta-
ten zu vermengen. Hebezeuge
für die Bottiche oder elektri-
sche Quirle gab es nicht. Mei-
ne Frau hat mir erzählt, dass
sich ihr Vater im Betrieb
umzog, bevor er mit dem Fahr-
rad nach Hause fuhr. Seine
Arbeitshosen waren so ver-
schmutzt, dass er sie, wegen
des ausgehärteten Kitts, auf
den Boden stellen konnte. Der
Geruch war im ganzen Haus,
ständig. 1969, kurz nachdem
dieses Bild entstanden ist, starb
Rudolf Pfeifer. Das Foto habe
ich aufgehoben, für meine
Enkel: Sie sollen begreifen, wie
sich ihr Uropa im »Arbeiter-
und-Bauern-Staat« geplagt hat,
um als Alleinverdiener Frau und
vier Kinder durchzubringen.
Aufgezeichnet von Hauke Goos

Klaus Swieczkowski, 75:
Dieses Foto sieht so schmutzig aus,
dass man glaubt, den Gestank von
damals heute noch riechen zu kön-
nen. In dem Bottich ist Leinöl. Der
Mann rechts ist mein Schwieger -
vater Rudolf Pfeifer. Die Familie
war arm, sein Vater verunglückte,
als Rudolf drei Jahre alt war.
Er hatte eigentlich Korbflechter
gelernt, war dann aber lange
arbeitslos gewesen. Er zog als
Wanderarbeiter durch Deutsch-
land, schuftete bei Blohm & Voss
und als Gleisbauer bei der Reichs-
bahndirektion Erfurt. Wegen
Herzproblemen musste er aufhö-
ren. 1939 heiratete er. Als Maschi-
nenarbeiter kam er bei einem ört-
lichen Rüstungsbetrieb unter,
1942 musste er in den Krieg. Im
Kursker Bogen erlitt er eine
Erfrierung, ein Geschosssplitter
verletzte ihn am linken Fuß.
Obwohl ihm nach dem Krieg ein
50-prozentiger Körperschaden
attestiert wurde, arbeitete er

Familienalbum

Entbehrungen,


1968


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Ihre Geschichte erzählen möchten?
Schreiben Sie an:[email protected]

ALFRED PASIEKA / SCIENCE PHOTO LIBRARY

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