Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 59

MARCUS SIMAITIS / DER SPIEGEL

Gestern waren die Leute vom Tresen
noch mal da. Sie haben das Verderbliche
mitgenommen oder an die Tafel ver-
schenkt, zum Beispiel die Zitronen und
unsere Mexikaner-Mischung. Die Techni-
ker haben die Anlage abgedeckt, damit
sie nicht zustaubt. Natürlich kenne ich
das SO36 auch leer, aber dass die Halle so
dunkel, so kalt, so tot und verlassen ist,
macht mich traurig. Beim Kiezbingo
stand der Floor des Klubs noch voll mit
Bänken und Tischen, das war die letzte
Veranstaltung, bevor wir schließen muss-
ten. Eine Travestie- und Comedyshow ist
das, mit der Chance auf wirklich tolle
Gewinne, die von der Kreuzberger Nach-
barschaft gespendet werden: Klamotten,
Getränke, Platten und Fahrradteile.

250 Menschen haben teilgenommen, das
waren schon weniger als vor der Corona-
krise. Ich selbst habe keine Angst vor
dem Virus, aber ich mache mir Sorgen um
Weggefährten vom SO. Viele kommen
aus der Queer-Community, manche
haben eine Vorerkrankung, HIV zum Bei-
spiel. Für die ist das lebensbedrohlich. Ich
hoffe, dass die Solidarität in der Gesell-
schaft groß bleibt. In unserem Klub wur-
den die Veranstaltungen entweder ab -
gesagt oder verschoben. Manche Gäste
schreiben uns aber: Wenn das Konzert
nicht stattfindet, spende ich euch das
Geld! Das ermutigt und bestärkt. Es
haben wahnsinnig viele Menschen Geld
geschickt, Spendenquittungen ausstellen
ist eine total schöne Arbeit. DOMINIK BUTZMANN / DER SPIEGEL

Am Sonntag um Mitternacht haben
wir den Betrieb geschlossen, nachdem
uns eine Verfügung der Stadt Köln
erreicht hat. Ich betreibe das Bordell
Pascha. Wir beschäftigen 65 feste Mitar-
beiter: Putzfrauen, Handwerker, Haus-
meister, Servicekräfte in der Tabledance-
bar und im Bistro. Die müssen am Ende
des Monats ihr Geld bekommen, die
haben ja auch Rechnungen zu bezahlen,
für die Miete etwa. Einen Monat können
wir mit unseren Rücklagen überbrücken,
mehr nicht. Dann muss spätestens das
Kurzarbeitergeld kommen. In den 18 Jah -
ren, in denen ich das Pascha leite, habe
ich immer alles aus dem Cashflow be -
zahlt, nie einen Kredit aufgenommen,
nicht mal den Dispo genutzt. Das wird
sich jetzt möglicherweise ändern. Ich bin
Optimist. Noch am Montag habe ich
Bettlaken für 15 000 Euro bestellt, den
Auftrag habe ich jetzt erst einmal stor-
niert, wer weiß, was noch kommt. Die
Frauen, die im Laufhaus arbeiten, sind
selbstständig, ich stelle nur die Infra-
struktur, also die Zimmer und das Drum-
herum. Viele kommen aus Rumänien
oder Bulgarien, manche mieten sich Zim-
mer nur fürs Wochenende. Oft pendeln
sie, die Billigfliegerei macht das möglich.
Jetzt sind die meisten weg, haben es
wohl gerade noch nach Hause geschafft
und sitzen dort in Quarantäne. Einige
sind hiergeblieben, denen habe ich die
Zimmer für umsonst überlassen. Dafür
jetzt Geld zu verlangen, das würde wohl
nur ein Arschloch tun.

Armin Lobscheid, Köln

»Ich bin Optimist«


Nanette, Berlin

»Ich hoffe, dass die Solidarität groß bleibt«

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