Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

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Eine Bazooka für alle


LeitartikelViele Bürger bringt das Virus in Geldnot. Die Regierung muss helfen – schnell und schlau.


G


roße Krisen erfordern große Worte. »Die Spar -
einlagen sind sicher«, sagte Angela Merkel,
als die Bürger in der Finanzkrise um das Geld auf
ihren Konten bangten. Er werde »alles Nötige«
zur Rettung der Gemeinschaftswährung tun, versprach
Mario Draghi auf dem Höhepunkt der Eurokrise.
Und auch jetzt, wo das Coronavirus die Wirtschaft
in einen nie gekannten Stillstand zwingt, wollen
die Regierenden mit weitreichenden Zusagen Vertrauen
schaffen. »Wir werden verhindern«, sagt Wirtschafts -
minister Peter Altmaier, »dass gesunde Unternehmen
nur wegen Corona in die Insol-
venz geraten«.
Das ist das richtige Verspre-
chen zur richtigen Zeit, nur
zweifeln viele Deutsche, ob die
Regierung es auch einhalten
kann. Das Hilfsprogramm aus
Kurzarbeitergeld und Kredit -
zusagen, das die Regierung
unter dem martialischen Label
»Bazooka« vergangene Woche
auf den Weg brachte, hilft
Beschäftigten und größeren Fir-
men. Millionen Selbstständige
und Kleinunternehmer aber,
die unter dem staatlich verord-
neten Versammlungsstopp
besonders leiden, fürchten wei-
ter um ihre Existenz.
Der freischaffende DJ hat
wegen der Corona-Quarantäne
keine Auftritte mehr, aber ein
Dienstauto, für das noch immer
die Leasingrate fällig wird.
Der Fahrradhändler darf sein Geschäft nicht mehr öffnen,
trotzdem muss er weiter die Miete zahlen. Der Gastronom
macht unfreiwillig Kurzarbeit, aber es gibt keine Arbeits-
agentur, die für ihn zuständig ist.
Manche Kleinunternehmer benötigen sofort Geld und
nicht erst, wenn die Sparkasse alle Sicherheiten geprüft hat.
Andere wollen keinen Kredit aufnehmen, weil sie nicht
wissen, wie sie ihn zurückzahlen sollen. Und alle fragen
sich, was wird, wenn die Krise nicht vier Wochen, sondern
vier Monate dauert. Wieder einmal, so scheint es, macht
die Große Koalition Politik für Konzerne und Gewerkschaf-
ten, nicht jedoch für den kleinen Mittelständler.
Dabei ist das Verhindern von Insolvenzen und Firmen -
zusammenbrüchen zentral in einer Krise, in der die klassi-
sche Medizin der Konjunkturpolitik bis auf Weiteres nicht
wirkt. Kein Unternehmer wird derzeit investieren, nur weil
die Zentralbank die Zinsen senkt. Ein staatliches Ausgaben-
programm nützt wenig, wenn es erst in etlichen Monaten

zu Aufträgen führt. Und auch das staatliche Helikoptergeld,
das Präsident Donald Trump für die USA angekündigt hat,
würde hierzulande weitgehend verpuffen. Was sollen die
Bürger mit einem 500-Euro-Scheck anfangen, wenn kein
Geschäft, Restaurant oder Autohaus geöffnet hat?
Umso entschiedener muss der Staat verhindern, dass der
Kampf gegen die Pandemie nicht nur dem Virus, sondern
auch Tausenden selbstständigen Existenzen den Garaus
macht. Das ist wichtig, damit die Bürger bei den drastischen
Beschränkungen des sozialen Lebens weiter mitziehen.
Und damit die Wirtschaft rasch durchstarten kann, wenn
die Krise vorüber ist. Die Re -
gierung muss bei ihrem Corona-
Programm deshalb dringend
nacharbeiten, und zwar
in mehrfacher Hinsicht.
Erstens muss sie ihre Liquidi-
tätshilfen so einfach und un -
bürokratisch ausgestalten, dass
sie auch denjenigen helfen,
die nur über ein Girokonto ver-
fügen. Zweitens muss der Staat
Selbstständigen, denen ein Kre-
dit nicht hilft, auch mit direk-
ten Geldzahlungen beistehen.
Inzwischen ist die Regierung
offenbar gewillt, für Abhilfe zu
sorgen (siehe Seite 70).
Und schließlich sollte sie
sich auf jenen Zeitpunkt vor -
bereiten, zu dem sich das Wirt-
schaftsleben wieder normali-
siert. Dann muss sie mit geziel-
ten Maßnahmen die Nachfrage
stützen, damit dem vorüber -
gehenden Stillstand keine konjunkturelle Abwärtsspirale
folgt. Vor diesem Hintergrund ist auch das angekündigte
750-Milliarden-Programm der Europäischen Zentralbank
zu verstehen, das nichts anderes ist als Helikoptergeld für
Eurostaaten. Eine Art Voraus zahlung auf den Aufschwung,
der nach dem Ende der Pandemie mit einiger Sicherheit zu
erwarten ist.
Anders als bei der Finanzkrise liegen der Corona-Misere
keine wirtschaftlichen Fehlentwicklungen zugrunde.
Das macht ihren besonderen Charakter aus. Die schlechte
Nachricht daran ist, dass sich die Wirtschaft erst erholen
kann, wenn sich die Lage an der Virenfront entspannt. Die
gute Nachricht lautet, dass die Konjunktur anschließend
umso kräftiger anziehen könnte. Deshalb ist es so wichtig,
dass so viele Firmen und Freiberufler wie möglich die Durst -
strecke überstehen.
Große Worte sind gut. Noch besser ist, wenn ihnen auch
große Taten folgen. Michael Sauga

NILS THIES

Das deutsche Nachrichten-Magazin

DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020
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