Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
64 DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020

Coronakrise

Bandelow, 68, ist Psychia-
ter und Psycho therapeut
in Göttingen. Der Angst-
forscher führte viele Ge-
spräche mit Menschen,
die Kriege oder Naturka-
tastrophen überlebt ha-
ben. Das Interview wurde
per Video geführt.

SPIEGEL:Herr Bandelow, was haben Sie
in den kommenden Wochen und Mona-
ten vor?
Bandelow: Meine Termine sind alle ab -
gesagt. Ich plane, ein Buch zu Ende zu
schreiben, und will wissenschaftliche Leit-
linien zur Behandlung von Angststörun-
gen überarbeiten. Ich werde wohl mit
dem eingeschränkten Leben relativ gut
klarkommen. Trotzdem ist es für mich
eine Horrorvorstellung, kaum noch ande-
re Menschen zu treffen und die meiste
Zeit zu Hause zu sein.
SPIEGEL: Wieso ist es für viele Menschen
ein Problem, viel Zeit allein zu verbringen?
Bandelow:Menschen sind soziale Wesen,
wir sind aufeinander angewiesen. Früher
hat der Mensch in Stämmen gelebt, in
kleinen Gruppen. Wer aus diesem Stamm
ausbrach, hatte keine großen Überlebens-
chancen. Der wurde von wilden Tieren ge-
fressen oder von anderen Stämmen erledigt.
SPIEGEL: Der Psychologe Daniel Kahne-
man hat ausgerechnet, dass wir ungefähr
80 Prozent unserer wachen Zeit mit an -
deren Menschen verbringen.
Bandelow:Wenn man die Zeit auf Face-
book, WhatsApp und Co. dazurechnet,
könnte es noch mehr sein. Wir brauchen
das.
SPIEGEL: Wer tut sich besonders schwer,
mit Isolation umzugehen?
Bandelow:Die Extrovertierten. Wer von
sich aus gern zurückgezogen lebt und
Small Talk ablehnt, der wird die Lage
besser überstehen. Aber Menschen, die
ständig kommunizieren, werden leiden,
weil sie persönlichen Kontakt brauchen.
SPIEGEL: Was bedeutet das für die Allein-
lebenden, es gibt in Deutschland mehr als
17 Millionen Einpersonenhaushalte?
Bandelow:Man könnte denken, für die
wäre es keine große Umstellung. Aber
den meisten Kontakt haben viele Allein-
lebende außerhalb ihrer Wohnung. Im

Büro, auf Partys. Zudem kommt jetzt
auch kein Besuch mehr. Da fehlt massiv
etwas.
SPIEGEL: Wissenschaftler vergleichen
Einsamkeit mit einem Warnsignal wie
Hunger und Durst. Nun können wir Le-
bensmittel hamstern, aber keine soziale
Nähe. Können Telefonate oder Video -
anrufe das ersetzen?
Bandelow:Wenn wir sozial interagieren
und in Gemeinschaft sind, belohnt uns
unser Gehirn. Wir fühlen uns gut. Dieses
System reagiert auch auf virtuelle Kontak-
te. Selbst wenn wir einen Liebesfilm sehen,
fangen wir an zu weinen – obwohl wir
diese Leute überhaupt nicht kennen. Wir
können uns also relativ leicht betrügen.
Videotelefonate und der Austausch von
Fotos sind ein guter Weg, der Realität mög-
lichst nahezukommen. Ganz ersetzen kön-
nen Videos direkten Kontakt aber nicht.
SPIEGEL: Was fehlt uns?
Bandelow:Studien zur Psychotherapie
zeigen, dass eine Therapiesitzung übers
Internet weniger wirkungsvoll ist – auch
wenn es da natürlich Ausnahmen gibt.
Die Teilnehmer schalten nach einigen
Sitzungen den Computer aus, weil ihnen

die Nähe des Therapeuten fehlt. Sie wün-
schen sich, dass er vor ihnen sitzt, dass
sie ihm die Hand geben können.
SPIEGEL: Wird eine stärkere Isolation ir-
gendwann für uns Normalität sein können?
Bandelow:Menschen werden sich anpas-
sen und das Beste daraus machen. Solda-
ten, die in Afghanistan im Einsatz waren,
haben mir erzählt, sie hätten schon nach
ein paar Tagen keine Angst mehr gehabt,
obwohl das Leben deutlich gefährlicher
war als zu Hause. Menschen adaptieren
sich, auch an diese Situation.
SPIEGEL: Die Bürger haben im Moment
ja viele verschiedene Ängste: vor dem Vi-
rus, aber auch vor dem Verlust des Jobs,
der Pleite, dem Alleinsein. Unterscheiden
sich diese Angstzustände?
Bandelow:Eigentlich verspüren die Men-
schen nicht Angst, sondern Sorge. Wirk -
liche Angstzustände habe ich bei meinen
Patienten erlebt, das kann bis zu einer Pa-
nikattacke führen. Da haben sie eine Enge
in der Brust, ein Druckgefühl, Schmerzen,
das Gefühl, dass man sterben könnte, jetzt.
Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Luftnot.
Das hat im Moment ja kaum einer, wenn
er oder sie Nachrichten liest. Da bekommt
man vielleicht ein mulmiges Gefühl.
SPIEGEL: Was weiß man über die lang -
fristigen Folgen von Quarantäne und so-
zialer Isolation?
Bandelow:Einzelne können krankhafte
Angstzustände entwickeln. Aber sobald
eine Ausnahmesituation sehr viele Men-
schen betrifft, wirkt sie sich weniger stark
aus. In der chinesischen Stadt Sichuan
starben 2008 bei einem Erdbeben 70 000
Menschen. Ärzte richteten ein Zentrum
ein für posttraumatische Belastungsstö -
rungen. Doch fast keiner kam. Manche
Experten führten das aber auch auf die
Religion oder gesellschaftliche Normen
zurück.
SPIEGEL: Forscher des King’s College in
London veröffentlichten kürzlich eine
Studie, in der sie untersuchten, wie sich
häusliche Quarantäne auf die Psyche aus-
wirken kann. Sie betrachteten den Aus-
bruch des Sars-Virus im Jahr 2003 und
die Ebola-Epidemie in Westafrika. Hierbei
fiel auf, dass Menschen mit psychischen
Vorerkrankungen einige Monate nach der
Quarantäne häufig Angstzustände erleben.
Bandelow:Das kann sein, ich rechne aber
nicht mit einer drastischen Zunahme. Ein
befreundeter Forscher untersuchte wäh-
rend des Jugoslawienkrieges Panikpatien-
ten. Er stellte fest, dass sie nicht ängstlicher
waren als andere. Die Zahl der Panikatta-
cken nahm sogar ab, weil diese Patienten
sich jetzt vor anderen, sehr konkreten Sa-
chen fürchteten. Sie mussten Schutz su-
chen und brauchten dafür die Kontrolle
über ihren Körper.
Interview: Birte Bredow, Christopher Piltz

»Wir können uns


leicht betrügen«


GesellschaftDer Psychiater Borwin Bandelow über die Folgen sozialer
Isolation und die Frage, welche Menschen besser damit zurechtkommen

SEBASTIAN GOLLNOW / DPA
Frau im Homeoffice
»Eine Horrorvorstellung«

DPA PICTURE-ALLIANCE / EVENT-PRESS STAUFFENBERG

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