Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

der deutschen Wirtschaft erfasst. Und in
anderen Ländern sieht es nicht besser aus.
Solche Krisenzeiten sind gute Zeiten
für Menschen wie Boaz Weinstein. Wenn
die Wirtschaft taumelt, ist er nicht weit.
Als Starhändler der Deutschen Bank ver-
zockte er mit seinem Team zu Zeiten der
Finanzkrise 1,8 Milliarden Dollar, musste
gehen, gründete den Hedgefonds Saba.
Seither versucht er sich als Krisenprofiteur
und spekuliert mit Kreditausfallversi -
cherungen, sogenannten Credit Default
Swaps (CDS), darauf, dass Firmen pleite-
gehen. Das Geschäft lief mittelprächtig,
die Pleitezahlen waren überschaubar in
den vergangenen Boomjahren.
Jetzt ist Weinstein wieder voll im Busi-
ness. Zu Beginn der Coronakrise hat er
CDS gekauft, um zu profitieren, wenn Tou-
ristikfirmen wie Royal Caribbean Cruises
und United Airlines in Schwierigkeiten ge-
raten. Seit Jahresbeginn hat sein Fonds
67 Prozent gewonnen.
Weinsteins Glück ist das Elend der ande -
ren. New York, London, Frankfurt, Tokio:
Rund um den Erdball fliehen Anleger aus
allen möglichen Anlageklassen, um flüssig
zu bleiben. Aktienkurse stürzen ab, Wert-
papiere aus Schwellenländern brechen
ein, Gold, Silber, selbst US-Staatsanleihen
gera ten so stark in Turbulenzen, dass die
amerikanische Notenbank Federal Reser-
ve eingreifen musste, um zu verhindern,
dass der Markt einfriert. »Cash ist im Mo-
ment der einzige sichere Hafen«, sagt Jo-
chen Felsenheimer, Gründer des Münch-
ner Hedgefonds Xaia.
Die Situation droht, außer Kontrolle
zu geraten. Noch beschwichtigen Noten-
banker und Politiker, eine Finanzkrise wie
2008 mit Bankenpleiten und -verstaatli-
chungen sei nicht absehbar. Was sollen sie
auch anderes sagen, ohne die Märkte zu
erschüttern?
Die größte Gefahr für die Banken geht
von Firmen aus, die ihre Kredite nicht
mehr bedienen können. Anzeichen dafür
gibt es viele. Die explodierenden CDS-
Preise etwa. Oder die Kurse von Unter-
nehmensanleihen, die ins Bodenlose fallen.
Dank des fast zehnjährigen Aufschwungs


der Weltwirtschaft fanden selbst die
»Ramschpapiere« von Unternehmen, die
als wacklig gelten, jahrelang problemlos
Käufer.
Die Politik des billigen Geldes, die Mög-
lichkeit für Unternehmen, sich zu nie da
gewesenen Konditionen zu verschulden,
das Wachstum, das zu enormen Teilen auf
Pump geschah – das alles fällt jetzt auf die
Wirtschaft zurück, wie ein Bumerang.
Und es geht nicht nur um Bankkredite.
Viele Unternehmen, vor allem in den USA,
gaben in den vergangenen Jahren ver-
stärkt Anleihen aus, um mit dem geliehe-
nen Geld in großem Stil eigene Aktien zu-
rückzukaufen. Das sollte deren Kurs – und
die daran geknüpften Boni ihrer Manager –
in die Höhe treiben. Einige dieser Fir men
müssen nun möglicherweise mit dem Geld
der Steuerzahler gerettet werden.
»Ermuntert durch die ultraleichte Geld-
politik der Zentralbanken ist die globale
Schuldenblase in den vergangenen Jahren
immer weiter gewachsen«, sagt William
White, Ex-Chefökonom der Bank für In-
ternationalen Zahlungsausgleich und Ora-
kel der letzten Finanzkrise. »Das Corona-
virus ist offenbar die Nadel, die diese Blase
zum Platzen bringt.«
Der Internationale Währungsfonds
zeichnete bereits im Herbst 2019, noch
vor der Coronakrise, ein düsteres Bild
des Markts für Unternehmensschulden

großer Volkswirtschaften: Für rund
40 Prozent dieser Verbindlichkeiten könn-
ten Zins und Tilgung ausfallen, falls eine
Wirtschaftskrise ausbreche, die nur halb
so schlimm sei wie die von 2008/09. Es
geht um nicht weniger als 19 Billionen
Dollar.
Was damals Kalkulation war, kann für
Banken zum realen Horror werden. Die
Ratingagentur Standard & Poor’s erwartet,
dass mehr als zehn Prozent aller Kredite
an US- Unternehmen verloren sein dürften.
Für Europa könnten die Ausfälle im obe-
ren einstelligen Prozentbereich landen.
Das entspräche einer Verdreifachung der
üblichen Quoten und dem Niveau der Fi-
nanzkrise 2008. Da rächt sich, dass die
Banken in den vergangenen Jahren Kredi-
te mit vollen Händen ausgegeben haben.
Es ist – wieder einmal – die Stunde der
Notenbanken. Die Europäische Zentral-
bank (EZB), aber auch die US-Notenbank
und die Bank of England haben klarge-
macht, dass sie ihre Geschäftsbanken wei-
ter mit Gratisliquidität versorgen werden,
damit die Kreditvergabe nicht einbricht.
Die EZB handelte erst zögerlich, legte
aber in der Nacht zum Donnerstag nach:
Sie will für weitere 750 Milliarden Euro
Anleihen kaufen, von Unternehmen und
Staaten, auch, um ein Wiederaufflammen
der Eurokrise zu verhindern. »Wir sind im
Rahmen unseres Mandats entschlossen,
das volle Potenzial unserer Instrumente
auszuschöpfen«, teilte EZB-Präsidentin
Christine Lagarde via Twitter mit.
Doch anders als nach der Lehman-Plei-
te sorgen die Billionenansagen der Noten-
banken bislang nur für kurze Ruhepausen
an den Märkten. Sie können den Absturz
der Kurse allein nicht verhindern, weil
es sich diesmal eben nicht um eine reine
Finanzkrise handelt, sondern weil ganze
Wirtschaftszweige den Betrieb einstellen.
Da mag das Geld noch so billig sein – nie-
mand mag es in eine komplett ungewisse
Zukunft investieren.
Und so feuern die Notenbanken zwar
aus allen Rohren, um überhaupt etwas zu
tun, erreichen damit am Ende aber wo-
möglich zu wenig. Immerhin: Noch gibt

(^70) DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020
1 Euro =
1,095 Dollar
Schlag auf Schlag Wie die Politik versucht, der Wirtschaftskrise etwas entgegenzusetzen
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(^1) 15. März
Erneute Leitzins-
senkung der Fed.
Angekündigte Käufe
von Staatsanleihen
und Hypotheken-
papieren im Volumen
von 700 Mrd. Dollar.
Lockerung der Be-
dingungen für
Banken-
kredite.



  1. März
    Die Federal
    Reserve (Fed)
    senkt den
    Leitzins

  2. März
    Die USA planen
    ein 1-Billion-
    Dollar-Programm,
    welches auch
    Konsumschecks
    an Bürger ent-
    halten soll

  3. März
    Ankündigung
    von Liquiditäts-
    hilfen von bis
    zu 1,5 Billionen
    Dollar für
    US-Banken

  4. März
    Trump ruft
    nationalen
    Notstand aus,
    50 Mrd. Dollar
    werden
    verfügbar


1,5
Billionen Dollar

1
Billion Dollar

700
Mrd. Dollar

50
Mrd. Dollar

100
Mrd. Dollar

USA 18. März
Der Kongress
verabschiedet ein
100-Mrd. Dollar-
Hilfspaket für
Beschäftigte
und Arbeitslose

Dow Jones

20 087 Punkte


  1. März


29 398 Punkte


  1. Februar


Coronakrise

JÖRG MÜLLER / AGENTUR FOCUS / DER SPIEGEL
Gastronomin Wege
»Zumachen ist keine Option«
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