Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
es keine Kreditklemme; die Märkte funk-
tionieren, auch wenn sie im freien Fall sind.
Doch das ist schon das Positivste, was
sich sagen lässt. So allmächtig die Noten-
banken in der Lehman-Krise wirkten, so
ratlos erscheinen sie heute. Sie haben ihr
Pulver weitgehend verschossen. Die Leit-
zinsen liegen weltweit bei oder nahe null,
tiefer geht’s nicht.
Es bleibt, als letzte Verteidigungslinie,
nur noch der Staat. Er muss als »lender of
last resort« einspringen, als Kreditgeber
letzter Instanz. Und er scheint wild ent-
schlossen, diese Rolle anzunehmen – koste
es, was es wolle.
US-Präsident Donald Trump, der das
Virus noch vor Kurzem nicht ernst nahm,
plant ein Eine-Billion-Dollar-Hilfspaket.
Es enthält unter anderem eine Art Lohn-
fortzahlung und Hilfen für gefährdete
Unternehmen sowie direkte Zahlungen an
die Bürger. Jeder Amerikaner soll einen
Scheck von der Regierung bekommen, die
Rede ist von 1000 Dollar.
In einem Land, in dem es keine flächen-
deckende Arbeitslosenversicherung gibt,
können solche Zahlungen durchaus sinn-

voll sein, um diejenigen zu schützen, die
von jetzt auf gleich ohne Einkommen
dastehen. Mit Helikoptergeld im eigent -
lichen Sinne, als das die Maßnahme ver-
kauft wird, hat es indes nichts zu tun: Die
1000 Dollar würden aus dem Staatshaus-
halt kommen, nicht direkt aus der Noten-
presse.
Das eigentliche Helikoptergeld geht auf
ein Gedankenexperiment des US-Öko -
nomen Milton Friedman zurück. Der hatte
überlegt, was wohl geschehen würde,
wenn die Zentralbank Bares aus dem Hub-
schrauber abwürfe. Ernsthaft erwogen
wurde es in seiner Reinform bisher nicht,
es würde, argumentieren Kritiker, das Ver-
trauen in das Geldsystem unterminieren.
Konsumbelebende Programme, in wel-
cher Form auch immer, gehen am aktuel-
len Problem der Wirtschaft ohnehin vor-
bei, sie sind erst dann sinnvoll, wenn die
darniederliegenden Branchen aus dem
Koma erwachen. Erst dann kann Nach -
frage angestoßen werden, weil erst dann
überhaupt wieder ein Angebot da ist, weil
Firmen wieder produzieren, Restaurants
und Läden wieder öffnen.

Doch wann das der Fall sein wird, weiß
niemand. Erst einmal geht es darum, dass
der Staat möglichst viele Unternehmen
über die Zeit rettet, möglichst viele Ar-
beitsplätze erhält und möglichst viele Bür-
ger davor bewahrt, Rechnungen und Miete
nicht mehr bezahlen zu können.
Und das ist die gute Nachricht: Die meis-
ten Staaten haben genügend Möglichkei-
ten, sich die dafür nötigen Summen zu be-
schaffen. In Zeiten von Null- und Minus-
zinsen werden ihnen die Staatsanleihen
förmlich aus der Hand gerissen.
Für Deutschland gilt das ganz beson-
ders. Deshalb gibt sich die Bundesregie-
rung in dieser Frage betont entspannt.
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)
hatten bereits vergangene Woche ein weit-
reichendes Hilfspaket für die Wirtschaft
vorgestellt, sie versprachen, Unternehmen
unbürokratisch und schnell durch Über-
brückungskredite zu helfen.
Zusätzlich zu den Liquiditätshilfen
nimmt ein Rettungsschirm für Unterneh-
men nach SPIEGEL-Informationen allmäh-
lich Gestalt an. Scholz plant einen Notfall-
fonds von rund 500 Milliarden Euro. Der
Fonds soll Unternehmen vor der Pleite
bewahren, indem er Garantien für ihre Ver-
bindlichkeiten übernimmt oder tatsächlich
Kapital zuschießt, was auf eine Teilverstaat-
lichung hinausliefe. Viele Firmen brauchen
in der gegenwärtigen Lage nicht nur Kredi-
te, sondern direkte Finanzhilfen, um Löhne,
Mieten oder Kreditraten bezahlen zu können.
Vorbild für die Maßnahme ist der Son-
derfonds Finanzmarktstabilisierung (Sof-
fin), mit dem der Staat während der Finanz-
krise vor zwölf Jahren Banken vor der
Schieflage gerettet hatte. Er war damals
mit einem Volumen von 480 Milliarden
Euro ausgestattet, der größte Teil davon
Garantien. Er durfte aber auch selbst Schul-
den aufnehmen. So soll es auch beim Ret-
tungsschirm für die Realwirtschaft wieder
sein. Die Konstruktion habe sich bewährt,
heißt es in der Bundesregierung.
Die staatlichen Programme umfassen
quasi die komplette Wirtschaft. Für den
Fall, dass in der aktuellen Krise aufs Neue

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  1. März 1 2 2 3 4
    Die EZB lässt die
    Leitzinsen un-
    verändert. Banken
    sollen langfristige
    Liquiditätsspritzen
    erhalten. Zusätz-
    liche Anleihekäufe
    über 120 Mrd. Euro.
    13. März
    Bundesregierung: Kredit-
    und Garantierahmen für
    die Wirtschaft »ohne Be-
    grenzung« (Die KfW soll
    mindestens 460 Mrd. Euro
    für Unternehmenskredite
    bereitstellen); Steuer-
    stundungen werden
    erleichtert; Lockerung der
    Zugangsregeln für Kurz-
    arbeitergeld.

  2. März
    EU: Die Regeln des
    Stabilitäts- und
    Wachstumspakts
    sollen flexibel ge-
    nutzt, Ausnahmen
    ausgeschöpft wer-
    den; 37 Mrd. Euro
    an Liquiditätshilfen
    durch Umschichtung
    von Haushaltsmitteln

  3. März
    EZB-Notfall-
    programm,
    750 Mrd. Euro
    für Staats-und
    Unternehmens-
    anleihen sowie
    andere Papiere
    bis Ende 2020

  4. März
    Hilfspaket der
    Bundesregierung
    über 40 Mrd. Euro
    für Kleinstunter-
    nehmen und Solo-
    Selbstständige;
    Notfallfonds für
    Firmen in Höhe von
    500 Mrd. Euro


120
Mrd. Euro Mrd. Euro^37 Mrd. Euro^40
460
Mrd. Euro

500
Mrd. Euro

750
Mrd. Euro

EUROPA


Dax

8610 Punkte


  1. März


13 744 Punkte


  1. Februar


Quelle:
Refinitiv
Datastream

HANS CHRISTIAN PLAMBECK / LAIF
Minister Scholz (M.), Altmaier (r.) in Berlin: Abschied von der schwarzen Null
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