Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
Coronavirus infiziert haben sollte. Es ist
der Versuch, dem Chaos Struktur zu ge-
ben – ein zermürbendes Unterfangen.
Was an einem Tag beschlossen wird, kann
am nächsten schon wieder hinfällig sein.
Was vor Wochen noch undenkbar schien,
ist heute frustrierende Realität. »Die Lage
verschärft sich Tag für Tag, oft sogar von
einer Stunde auf die andere«, sagt Luft-
hansa-Chef Spohr. Noch vor Kurzem, rech-
nete er vor, seien jede Minute 280 Passa-
giere begrüßt worden. Jetzt sind es gerade
mal noch ein paar Handvoll.
Das Geschäft ist tot. Die Pandemie ent-
zog der Lufthansa innerhalb von Wochen

die Geschäftsgrundlage und ihren Daseins-
zweck, nämlich Menschen in aller Welt
miteinander zu verbinden. »Unser Unter-
nehmen befindet sich im Ausnahmezu-
stand«, sagt Spohr. Es gebe »so gut wie
keine Buchungseingänge mehr«.
Schon seit Tagen geht es nur noch da-
rum, Schlimmeres zu verhindern. Und es
nutzt Konzernchef Spohr und seinen Kol-
legen wenig, dass sie früher als andere in
der Branche reagierten, dass sie gegensteu-
erten und bereits massenhaft Streckenstill-
legungen ankündigten, als andere noch
Zuversicht verbreiteten. Sie müssen ihre
Planungen täglich korrigieren, nach unten.
Dabei hatte Spohr Großes vor mit Luft-
hansa. Er wollte den Konzern gründlich
umbauen, um den Aktienkurs zu pushen
und beim Börsenwert zu großen US-Wett-
bewerbern wie Delta oder American Air-
lines aufzuschließen. Für dieses Ziel nahm
er erheblichen Widerstand der Arbeit -
nehmer und der Gewerkschaften in Kauf,
zeigte Härte und Entschlossenheit.
Was nicht zum Renditeziel des Chefs
passte, sollte abgestoßen werden, etwa
die Cateringsparte LSG. Das Passagier -
geschäft unter der Marke »Lufthansa«
wollte Spohr abkoppeln und in eine Stif-
tung überführen, damit sich auch aus -
ländische Investoren leichter an der Luft-
hansa beteiligen könnten. Aus rechtlichen
Gründen ist das bislang nur bedingt mög-
lich. Spohr erwog sogar einen Teil-Bör-
sengang der Lufthansa-Technik.
Nur eine Sparte kam schlecht weg: die
Frachttochter Lufthansa Cargo. Dort war
angedacht, eine komplette Führungsebene
bis hin zum Vorstand zu streichen. Aus-
gerechnet dieser Ableger entpuppt sich
in der Krise als Rettungsanker. Jede Füh-

rungskraft dort wird nun dringend ge-
braucht.
Denn Frachttransporte haben gerade
Hochkonjunktur. Lkw stehen an Grenzen,
Lieferketten zerbröseln. Da können Flug-
zeuge helfen, die Menschen mit lebens-
wichtigen Gütern zu versorgen und die
Unternehmen mit wichtigen Teilen für
ihre Produktion. Demnächst will Spohr
dafür sogar größere Passagiermaschinen
als Frachter einsetzen.
Eine langfristige Perspektive für das
gesamte Unternehmen mit 140 000 Mit-
arbeitern ist das natürlich nicht. Aber was
dann?
Die früheren Pläne wirken angesichts
von Corona einigermaßen bizarr. »Die
Lufthansa wird nicht in ihren alten Zu-
stand zurückkehren«, sagt Spohr. »Die
Weltwirtschaft wird anders aussehen als
heute, und wir werden eine kleinere Luft-
hansa haben.«
Noch steckt er voll im Krisenmodus,
muss Mitarbeiter beruhigen und zugleich
auf Gehaltseinbußen einstimmen. Er muss
Gewerkschafter und Arbeitnehmerver -
treter, die er eben noch vergrätzt hat, auf
seine Seite ziehen; Politiker, Großaktio -
näre wie Blackrock oder Banken um Bei-
stand bitten.
Der Börsenkurs lag am Donnerstag bei
9 Euro (siehe Grafik). Doch es gibt auch
Investoren, die den Glauben an die Luft-
hansa nicht verloren haben. Das US-Ak-
tienanalysehaus Bernstein Research stuft
die Lufthansa weiterhin als sogenannten
Outperformer ein und beließ das Kursziel
bei 13,60 Euro.
Auch der Unternehmer und Milliardär
Heinz Hermann Thiele, Hauptaktionär des
Bahntechnikunternehmens Vossloh und
des Automobilzulieferers Knorr-Bremse,
glaubt offenbar an ein Wiedererstarken
des Konzerns. Anfang März erwarb er
5,29 Prozent an der Fluglinie. Der 78-Jäh-
rige hatte mit seinen Investments bislang
fast immer eine glückliche Hand.
Im Moment verfügt die Lufthansa laut
Spohr noch über liquide Mittel in Höhe
von fünf Milliarden Euro. Ein Teil der Flot-
te könnte beliehen werden, um zusätzlich
Geld zu beschaffen. Ihr Wert beträgt über
zehn Milliarden Euro.
Hält die Krise länger an, wovon Spohr
offenbar ausgeht, muss wohl auch die Luft-
hansa Staatshilfe beantragen. Andere Flug-
linien haben das längst getan, darunter die
Konzerntochter Brussels Airlines. Eine
erneute Beteiligung der öffentlichen Hand
an der Lufthansa schlossen die Bundes -
regierung und die Konzernführung diese
Woche noch aus. Das muss jedoch nicht
viel heißen. Wie die vergangenen Tage und
Wochen gezeigt haben, ist die Halbwerts-
zeit derartiger Aussagen äußerst begrenzt.
Dinah Deckstein, Martin U. Müller

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MICHAEL PROBST / AP
Geparkte Lufthansa-Jets in Frankfurt: »So gut wie keine Buchungseingänge mehr«

Wertvernichter Lufthansa
Während der Dax trotz des Crashs noch
im Plus liegt, hat die Lufthansa-Aktie
seit 1. Juni 2008 gut 40 Prozent verloren

–40

2008 2019

–44%


40

80

0

Lufthansa

Dax +24%

Quelle:
Refinitiv
Data-
stream

Stand:


  1. März 2020


Carsten Spohr,
Lufthansa-
Vorstandsvorsitzender

SEPP SPIEGL / VARIO IMAGES

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