Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

V


or gut drei Wochen entschloss
sich Bob Iger, als vielleicht erfolg-
reichster Firmenchef der Welt ab-
zutreten, und er wusste, er muss-
te es schnell tun. Die Welt hatte Corona
noch nicht als die globale Krise erkannt,
die sie nun ist, doch Iger, 69, seit fast
15 Jahren CEO der Walt Disney Company,
ahnte mehr als andere und entschied, auf
dem Höhepunkt zu scheiden.
Schon im Januar, als sich im Westen nur
wenige Sorgen wegen des neuartigen Virus
machten, hatte Iger die Themenparks in
Hongkong und Shanghai schließen müs-
sen. Er registrierte, was Corona in China
anrichtete; Disneys Aktie rutschte bereits
da von 144 Dollar auf 136. Eine Pandemie,
so viel war klar, würde Disney in heftige
Nöte bringen. Iger trat ab und bestimmte
den bisherigen Chef der Themenparks
Bob Chapek zu seinem Nachfolger.
Seitdem rutscht der Kurs im Sog des Co-
rona-Crashs weiter ab, aber bei Disney
läuft alles immer noch nach Igers Dreh-
buch.
Im Jahr 2005 hatte er den Laden über-
nommen. Damals war Disney eine ausge-
zehrte Marke, die altem Ruhm nachtrau-
erte. Der neue Boss dachte groß, kaufte
Studios wie Pixar, Marvel, Lucasfilm und
20th Century Fox hinzu, investierte in The-
menparks, Ladenketten und Kreuzfahrt-
schiffe und baute einen globalen Giganten
der Unterhaltung. 70 Milliarden Dollar
Umsatz. 10 Milliarden Gewinn. 223 000
Mitarbeiter. Micky Maus als Monster.
Die profitabelsten Filme der Welt stam-
men aus Igers Reich: »Avengers: End -
game« (Einspielergebnis: 2,8 Milliarden
Dollar), die »Star Wars«-Reihe (10,3 Mil-
liarden) und neu verfilmte Klassiker wie
»Der König der Löwen« (1,6 Milliarden).
Doch Igers letztes Werk soll sein größtes
sein. Ein eigener Streamingdienst,
Disney+ heißt er. Gestartet im November
in den USA, soll er ab dem 24. März auch
in Deutschland zur Verfügung stehen.
6,99 Euro soll die Sache monatlich kosten;
69,99 das Jahresabo.
Es ist ein verführerischer Plan und eine
riskante Wette. Gelingt er, hat Disney den
direkten Zugang zu Hunderten Millionen
Kunden weltweit, ohne jene Zwischen-
händler, die bislang an jedem Disney-Er-
folg mitverdienen. Die Fernsehsender, die


Kinoketten, die anderen Streamingdienste.
Sie alle werden nicht mehr gebraucht,
wenn der Zuschauer direkt bei Disney ein-
kauft. Geht die Wette schief, könnte Iger
alles zerstören, was er erreicht hat, wo-
möglich sogar Disney selbst.
»Bob hat die ganze Firma aufs Spiel ge-
setzt«, sagt Jeffrey Cole, ein Freund Igers
und Direktor des Centers for the Digital
Future an der University of Southern Ca-
lifornia. »Aber er hatte keine andere Wahl.
Wir erleben gerade einen kompletten Um-
bruch von Fernsehen und Kino zu Strea-
ming. Es ist vielleicht der größte in der Ge-
schichte Hollywoods. Insofern hatte Bob
recht.«
Es ist ein Abend im Oktober 2019, drei
Wochen vor der Einführung von Disney+
in den USA, als Iger im Strandort Laguna
Beach vor einem kleinen ausgesuchten
Publikum den Streamingdienst erklärt. Er
ist der größte Star hier, obwohl vor ihm
Demi Moore auftritt und nach ihm Naomi
Campbell. Doch Iger ist kein Exzentriker,
falls er ein großes Ego hat, verbirgt er es
geschickt. Er trägt Strickjacke, sein Alter
ist ihm nicht anzusehen. Iger ist einer die-
ser modernen Asketen-CEOs, steht jeden
Morgen um halb fünf auf und macht erst
mal Sport.
Er berichtet nüchtern von jenem Mee-
ting im Jahr 2015, das ihn dazu brachte,

alles auf eine Karte zu setzen. Die Disney-
Vorstände sprachen über die dramatischen
Rückgänge im Fernsehgeschäft. »Ich habe
noch während des Calls beschlossen, dass
wir die ganze Firma umkrempeln müssen.«
Seine Entscheidung bedeutete giganti-
sche Investitionen. Um überhaupt Filme
von außerhalb des Disney-Katalogs zeigen
zu können, kaufte Iger für mehr als 71 Mil-
liarden Dollar das Hollywoodstudio 20th
Century Fox. Iger selbst spricht von einem
»Rausch«, in dem sich die Branche gerade
befinde. Es gebe »dramatische Verschie-
bungen darin, wie Menschen Unterhal-
tung und Information konsumieren«, und
dem könne sich Disney nicht mehr ver-
schließen. »Die Umwälzungen vollziehen
sich seit fast zwei Jahrzehnten, doch erst
jetzt wachen alle in einem riesigen Aha-
Moment auf.«
Iger führte Disney+ im November mit
einer beispiellosen Marketingkampagne
ein. Nach zwei Monaten, im Januar, hatte
er 28 Millionen Abonnenten allein in den
USA. Das war phänomenal, für solche
Zahlen hatte Netflix Jahre gebraucht. Und
doch: In den letzten beiden Quartalen hat
Disneys Streamingabteilung erst einmal
740 und 693 Millionen Dollar Verlust ge-
macht; die Kosten sind gigantisch. Vor
2024 wird Disney+ wohl nicht profitabel
sein. Es ist kein Kampf, sondern eine öko-
nomische Schlacht.
In Hollywood sprechen die Manager
inzwischen nur noch von den »Streaming-
kriegen«. Und die werden nicht nur zwi-
schen Disney und Netflix ausgetragen.
Auch Apple und Amazon mischen mit.
WarnerMedia, der 2018 vom US-Telefon-
riesen AT&T für viel Geld übernommene
Medienkonzern, will im Frühjahr seinen
Dienst HBO Max starten. In keinem an-
deren Markt der Welt treffen gerade so
viele unterschiedliche Schwergewichte auf-
einander. Auf der einen Seite stehen die
technologischen Giganten des Silicon Val-
ley, auf der anderen die aus den Resten
Hollywoods und der Fernsehindustrie er-
standenen Unterhaltungsriesen. Ein Clash
der Kulturen ganz eigener Art.
Für die Zuschauer sind es goldene Zei-
ten. Sie werden umworben mit den teuers-
ten – und manchmal auch besten – Produk -
tionen in der Geschichte des Fernsehens;
und das alles zu monatlichen Abogebüh-

74 DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020

RYAN PFLUGER/ NYT / REDUX / LAIF
Manager Iger
»Bob hat die ganze Firma aufs Spiel gesetzt«

Kampf der Kulturen


StreamingUm den Fernsehmarkt tobt eine Zig-Milliarden-Dollar-Schlacht. Noch beherrscht
Netflix die Szene, doch Amazon und Apple greifen mit astronomisch hohen Budgets an. Nun will

auch Disney seinen Teil vom Geschäft. Um die besten Filme und Serien geht es dabei kaum mehr.


Wirtschaft
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