Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
Hier in den Ausläufern der Appalachen
jedenfalls hält sich an diesem Montag die
Aufregung über das Virus in Grenzen. Der
örtliche Mexikaner ist am späten Nachmit-
tag ordentlich besetzt. Die Gäste sitzen
zum Teil eng gedrängt. An der Bar werden
die ersten Margaritas bestellt, die Kellner
tragen Tabletts mit Tacos und Quesadillas
an die Tische. Alles ist wie sonst, nur die
Speisekarten werden nach Benutzung so-
fort desinfiziert.
Noch Anfang März zeigte eine Umfrage
der Quinnipiac University, dass das Virus
in Amerika fast ausschließlich durch die
Brille der Parteipolitik betrachtet wird.
Während sich zwei Drittel der Demokra-
ten wegen des Erregers Sorgen machten,
war es nur ein Drittel der Republikaner.
Es schien, als gelänge es dem Präsidenten
wieder, seine Anhänger in eine Parallel-
realität zu lotsen.
Aber inzwischen explodieren die Zah-
len der Infizierten in den USA, am Don-
nerstag waren es schon mehr als 10 000;
die Zuwachsraten sind mindestens so dra-
matisch wie in Europa. Und der Erreger
befällt Demokraten genauso wie Republi-
kaner, daran können auch die Tweets des
Präsidenten nichts ändern.

chen finanziert wird. Aber man sollte sich
Behrens nicht als Sozialarbeiter europäi-
scher Prägung vorstellen. Er macht den Job,
weil er findet, dass der Staat sich aus der
Fürsorge für die Armen heraushalten sollte.
Luzerne County lebte lange von der
Kohle, die man hier aus dem Boden holte,
aber irgendwann wollte die niemand mehr.
Die Städte in dem Bezirk verlotterten.
Über Jahrzehnte lag Luzerne County fest
in der Hand der demokratischen Partei,
ähnlich wie der Ruhrpott einst fest in der
Hand der SPD war. Aber 2016 stimmte
Luzerne County für Trump.
Das werde sich auch im November nicht
ändern, sagt Behrens. Er nennt das Virus
eine »Pandemie der Paranoia« und findet
es billig, dass die Demokraten nun Trump
für dessen Verhalten in der Krise kriti -
sieren. »Sie sagen, der Präsident habe das
Virus für einen Witz gehalten. Ich denke
das nicht«, sagt Behrens. »Ich glaube, dass
es Dinge gibt, die nur die Regierung weiß
und nicht die Öffentlichkeit.« Er spreche
aus Erfahrung, weil er jahrelang in
Guantanamo Bay als Soldat gedient habe.
Vielleicht, sagt Behrens, habe Trump
einfach nur eine Panik verhindern wollen?
Vielleicht.


DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 81


Trump kam als Präsident der Staats-
verachtung ins Amt. Aber nun merken
viele Amerikaner, dass sie genau jene
Fachleute brauchen, die Trump immer als
Vertreter des »deep state« beschimpft hat-
te. Im Mai 2018 wurde – damals noch
ohne öffent lichen Aufschrei – die Task-
force für Pandemien im Weißen Haus auf-
gelöst. Als Trump am vergangenen Frei-
tag gefragt wurde, warum er den Stab
gefeuert habe, sagte er: »Ich weiß davon
nichts.«
Präsidenten sind häufig in Krisen ge-
wachsen: Franklin D. Roosevelt führte die
Nation in den Kampf gegen Hitler, John F.
Kennedy bewahrte die Welt in der Kuba-
krise durch kluge Diplomatie vor der
nukle aren Katastrophe. Trump aber hat
in der Stunde der Not auf seine Instinkte
vertraut statt auf seine Experten. Er ver-
harmloste und verdrehte die Tatsachen.
Nun sagen 60 Prozent der Amerikaner,
dass sie nicht mehr glauben, was Trump
zu dem Virus zu sagen hat.
Eigentlich konnte Trump auf eine Wie-
derwahl hoffen: Die Lügen und das Chaos
seiner Präsidentschaft standen gegen einen
ununterbrochenen Wirtschafts- und Börsen-
boom, für alle stieg der Wohlstand. Doch

KEVIN DIETSCH / EPA-EFE / SHUTTERSTOCK
Präsident Trump, Mitglieder der Coronavirus-Taskforce in Washington: Die Gefahr des Erregers über Wochen verharmlost
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