Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

D


er Täter stach 15-mal auf sie ein.
Als sie tot war, zerteilte er ihren
Körper mit einer Säge und ver-
senkte die Gliedmaßen im Meer.
Die Tat war offenbar geplant. Ermittler
fanden Videos auf der Festplatte des Ver-
dächtigen, die zeigen, wie Frauen gefoltert,
geköpft oder lebendig verbrannt werden.


SPIEGEL: Was ist Peter Madsen für ein
Mensch?
Curpen: Er ist sehr warmherzig. Sehr ge-
fühlvoll.


Am 10. August 2017 nahm der dänische
Erfinder Peter Madsen die damals 30-jäh-
rige Journalistin Kim Wall mit in ein
Unter seeboot, das er selbst gebaut hatte.
Wall wollte ein Interview mit Madsen füh-
ren – stattdessen fand sie den Tod. Ihre
Körperteile, die erst nach Tagen an der
Ostseeküste südlich von Kopenhagen ge-
funden wurden, wiesen laut Obduktion
Stichwunden im Genitalbereich auf. Die
Ermittler vermuten, dass Kim Wall vor
ihrer Ermordung gefoltert wurde. Im
April 2018 verurteilte ein dänisches Ge-
richt Madsen zu lebenslanger Haft. Ak -
tuell sitzt er im Herstedvester-Gefängnis,
einer Hochsicherheitsanstalt südlich von
Kopenhagen.
Anderthalb Jahre nach dem Urteil
tauchte Madsen erneut in den Schlagzeilen
auf. Im Dezember 2019 hieß es, er habe
im Gefängnis geheiratet. Seine Partnerin
Jenny Curpen bestätigte die Hochzeit kurz
darauf. »Ich liebe und respektiere meinen
Ehemann, und ich bin stolz auf ihn«,
schrieb die 39-Jährige auf Facebook. »Bis
auf den einen Tag, der eine Tragödie war
und immer sein wird.«
Curpen hat lange gezögert, bevor sie
einem Gespräch zustimmt. Erst will sie
Fragen nur schriftlich beantworten, dann
lässt sie sich überraschend auf ein Treffen
ein. Es findet Ende Februar in Kopen -
hagen statt.


SPIEGEL: Wann haben Sie zum ersten Mal
von Peter Madsen gehört?
Curpen: Am 26. August 2017. Ich habe sein
Foto in den Nachrichten gesehen. Ich wuss-
te sofort, dass ich mit diesem Menschen
sprechen muss. Dass da etwas Bedeut -
sames ist, das alles verändern kann. Und
so war es auch.


Jenny Curpen ist gekleidet, als wäre sie
auf dem Weg zu einem Techno-Festival.
Sie trägt Lackschuhe und eine glitzernde,
graue Hose, dazu eine Sonnenbrille, die
sie anfangs kaum absetzt. Fotos im Inter-
net zeigen sie mit langen, dunklen Haaren,
inzwischen trägt sie einen Bob.
Sie hat den Treffpunkt selbst vorge-
schlagen und auch das Programm. Vor
dem Interview möchte sie an den Stadt-
rand von Kopenhagen fahren, in ein In-
dustriegebiet. Sie geht voran, vorbei an
Baracken und Wohnhäusern, bis sie an
einen grünen Hangar kommt. Daran ein
Schild mit einem Firmennamen: »Copen-
hagen Suborbitals«.

SPIEGEL: Warum war es Ihnen wichtig
hierherzukommen?
Curpen: Weil es hier begonnen hat.

Madsen ist in Dänemark nicht als Mörder
bekannt geworden, sondern als Tüftler
und Erfinder. Mit 15 schoss er seine
erste selbst gebaute Rakete in den Himmel,
100 Meter hoch. Später trat er dem däni-
schen Verein von Raketenentwicklern bei,
ein Hobbyingenieur, der schon als Junge
davon träumte, ins All zu fliegen.
Copenhagen Suborbitals war seine Fir-
ma, die er gemeinsam mit einem Freund
gründete. Sie bastelten an einer Rakete, mit
der sie eines Tages ins Weltall fliegen könn-
ten. Dann aber zerstritt sich Madsen mit
seinem Partner und widmete sich einem
zweiten Lieblingsprojekt: dem Bau von
U-Booten. Madsen schweißte mehrere Pro-
totypen zusammen, darunter die 18 Meter
lange »UC3 Nautilus«, betrieben von ei-

nem Diesel- und einem Elektromotor. Es
war das Boot, auf das er Kim Wall einlud.

Curpen: Die Medien haben beschlossen
zu vergessen, wer Peter einmal war. Man
entschied sich, alles, worauf Dänemark
stolz gewesen ist, zu verdrängen.

Während sie über das Gelände geht, er-
zählt Curpen, wie wichtig Madsen seine
Arbeit gewesen sei. Er habe für seine Träu-
me gelebt und sich nie um Geld oder
Ruhm gekümmert. Curpen klingt wie eine
Anwältin oder wie eine Pressesprecherin.
Warum tut sie das?
Curpen wurde in Moskau geboren. Ihre
Mutter ist eine russische Jüdin, der Vater
stammt aus Mauritius. Ethnie und Aus -
sehen machten Curpen in Russland zu
einer doppelt Aussätzigen: Dunkelhäutig
und diskriminiert, fühlte sie sich nie völlig
zugehörig. »Ich hatte immer das Gefühl,
dass ich hier eine Fremde bin«, schreibt
sie in einem Artikel für ein russisches
Onlinemagazin.
Trotzdem blieb sie in Moskau, studierte
Kulturwissenschaften und Grafikdesign.
An der Universität fand sie Freunde, die
sich politisch engagierten: Künstler, Anar-
chisten, Aktivisten. Anfang des Jahrtau-
sends demonstrierte Curpen gegen die Ver-
haftung von Mitgliedern der National -
bolschewistischen Partei, einer rechten
Bewegung, die von einer kommunisti-
schen Gesellschaft träumt und in Russland
inzwischen verboten ist. Später kam sie mit
einem der damals inhaftierten Parteian -
hänger zusammen. Sie haben zwei Kinder,
die heute fast zwei und vier Jahre alt sind.
Curpen spricht über Politik aus der
Sicht einer Frau, die zum Opfer staatlicher
Übergriffe wurde. Regierungen nennt sie
ein »repressives Konstrukt«. Sie hat selbst
Repressionen erlebt: Vor acht Jahren
nahm sie in Russland an einer Kundge-
bung gegen Wahlfälschung teil und wurde
festgenommen. Es folgten Vorladungen
von der Polizei, Bekannte von ihr wurden
verhört. Curpen und ihr damaliger Partner
flohen zunächst in die Ukraine, im Herbst
2013 gewährte ihnen Finnland politisches
Asyl. Seitdem lebt sie in einer Kleinstadt
im Süden Finnlands, von dort reist sie hin
und wieder nach Kopenhagen.
Sie versteht sich als Künstlerin, als Mit-
glied einer radikalen Avantgarde. Im Jahr

DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020 87


Ausland

Szenen einer Ehe


DänemarkVor zwei Jahren wurde der Erfinder Peter Madsen wegen Mord an einer Journalistin
zu lebenslanger Haft verurteilt. Nun hat er geheiratet. Was treibt

Jenny Curpen – die Frau, die den Frauenmörder liebt? Von Alexandra Rojkov


ANNE GYRITE SCHUETT / AFP
Angeklagter Madsen, Staatsanwalt 2018
Stichwunden im Genitalbereich
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