Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
FELIX VON DER OSTEN / DER SPIEGEL

Mitarbeiter auf der Intensivstation des St.-Antonius-Hospitals in Eschweiler


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D

er Mann mit dem weißen
Haarschopf auf Zimmer
vier der Intensivstation
bekam keine Luft. Jetzt
steckt ein Schlauch in
seiner Luftröhre, Sauer-
stoff strömt in seine Lun-
ge. Durch ein Fenster in der Zimmertür
sieht man, wie sich sein Oberkörper im
Takt der künstlichen Beatmung hebt und
senkt. 28-mal pro Minute. Der 83-Jährige
kämpft gegen den Er reger Sars-CoV-2.
Im Laufe des Montags müssen die Pfle-
ger und Ärzte miterleben, wie sich sein
Zustand verschlechtert. Sie verständigen
die Frau und die Tochter, die gegen Mittag
eintreffen. Nach den neuen Regeln in Co-
rona-Zeiten darf nur ein Angehöriger für
30 Minuten in das Isolierzimmer. Die Frau
sitzt in voller Schutzkleidung und mit
Handschuhen neben ihrem Mann, eine
Hand auf seiner Stirn, eine auf seinem Her-
zen. Der für die Pflege zuständige Sta -
tionsleiter entscheidet, auch die Tochter
dazuzuholen, er rüstet sie mit Schutz -
kleidung aus und lässt sie zu ihrem Vater.
Dort dürfen die beiden sitzen, so lange sie
wollen.
Um 15.15 Uhr stirbt der Mann. Die
Assistenzärztin stellt den Totenschein aus.
Die unmittelbare Todesursache lautet:
»Hypoxisches Atemversagen. Dies ist eine
Folge von Covid-19-Pneumonie.«
Der Mann stirbt im St.-Antonius-Hos-
pital im nordrhein-westfälischen Eschwei-
ler, nur 30 Kilometer von Heinsberg ent-
fernt, dem bislang größten bekannten In-
fektionsherd in Deutschland. Für ihn stand
ein Beatmungsgerät bereit, doch die Hilfe
kam zu spät.
Es gibt in diesen Tagen eine gute und
eine schlechte Nachricht für die Menschen
in Deutschland. Die gute: Das Gesund-
heitssystem der Bundesrepublik ist eines
der modernsten, reichsten und potentes-
ten der Welt. Man verfüge über ein »ex-
zellentes Gesundheitssystem, vielleicht
eines der besten der Welt«, erklärte Bun-
deskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch
in ihrer Ansprache an die Nation. Für die
Corona-Epidemie jedenfalls ist es weit
besser gerüstet als die Systeme vieler an-
derer Länder.
Die schlechte Nachricht: Schon jetzt
sind große Teile dieses Systems überfor-
dert. Je nachdem, wie schnell die Zahl der
Infizierten in den nächsten Tagen und Wo-
chen steigt, droht der Kollaps, das System-
versagen. Versagt hätte es, wenn Men-
schen sterben müssen, weil es an Personal,
an Betten, an Geräten fehlt. Und nicht,
weil ihre Krankheit unheilbar ist.
In Norditalien lässt sich seit Wochen be-
obachten, wie das Gesundheitswesen kol-
labiert. »In Kürze sind wir nicht mehr in
der Lage, den Kranken eine Behandlung
zu bieten«, sagt der Präsident der Lombar -
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