Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1
wird.« Es sei alles so eng hier. »Wenn ein
Familienmitglied eine ansteckende Krank-
heit hat, haben sie bald alle.« Er steht im
Tuberkuloseflügel der Klinik, einem dunk-
len, einstöckigen Klinkerbau. Allein in die-
ser Township gibt es jedes Jahr 6000 neue
Fälle von Tuberkulose, ein Drittel der Pa-
tienten hier im Krankenhaus stirbt daran.
Diese Woche richtete WHO-Chef Tedros
Adhanom Ghebreyesus, der aus Äthiopien
stammt, einen dramatischen Appell an den
Kontinent: Afrika solle sich »auf das
Schlimmste vorbereiten«, sagte er. »Afrika
sollte aufwachen.« Der Berliner Virologe
Christian Drosten sagte über einen unkon-
trollierten Ausbruch auf dem Kontinent:
»Da wird es Szenen geben, die wir uns
heute noch nicht vorstellen können.« Am
Dienstag präsentierte das South African
Center for Epidemiological Modelling and
Analysis Hochrechnungen, die besagen,
dass 87 900 bis 351 000 Menschen allein
in Südafrika sterben könnten.
Das Virus hat Afrika südlich der Sahara
bisher weitestgehend verschont. Erst am


  1. Februar wurde in Nigeria ein erster Pa-


tient gemeldet – ein Italiener. In den letz-
ten sieben Tagen meldeten viele Länder
erste Fälle. Am Donnerstag gab es offiziell
bereits 233 Fälle in 28 Ländern Subsahara-
Afrikas. Die meisten davon in Südafrika:
Von Dienstag bis Donnerstag verdoppelte
sich die Zahl fast, von 85 auf 150. Die an-
fänglichen Hoffnungen, das Coronavirus
breite sich bei wärmeren Temperaturen
langsamer aus, werden von vielen Exper-
ten angezweifelt.
In einer Rede an die Nation gab Präsi-
dent Cyril Ramaphosa am Sonntag ein Ein-
reiseverbot für Menschen aus acht Ländern
bekannt, darunter Deutschland. Er verkün-
dete die Schließung der Schulen, verbot

große Menschenansammlungen. In einer
Fernsehansprache sagte Gesundheitsminis-
ter Zweli Mkhize am Montag: »Bis jetzt
waren alle Infizierten Menschen, die es sich
leisten können, ins Ausland zu fliegen. Die-
se Menschen haben auch den Raum, sich
selbst zu isolieren.« Die größtenteils schwar-
ze Unterschicht hat ihn nicht.
Im Land gibt es nur 974 Intensivbetten –
für eine Bevölkerung von 59 Millionen
Menschen. Zum Vergleich: Deutschland
hat 28 000 Intensivbetten. Dabei gilt das
südafrikanische Gesundheitssystem als
eines der besten des Kontinents.
In Burkina Faso, einem von islamisti-
schen Milizen geplagten Land in der Sahel-
zone, fürchtet die WHO, dass die Mortalität
fünf- bis zehnmal höher liegen könne als
der weltweite Durchschnitt; bis zu ein Drit-
tel der Erkrankten könnte sterben.
HIV, Tuberkulose und Malaria töten auf
dem Kontinent bereits jetzt jedes Jahr
Hunderttausende. Besonders Tuberkulose -
kranke sind anfälliger für das Coronavirus,
bestätigt eine Studie der Universität Yale.
Rund 300 000 Menschen erkrankten 2018
in Südafrika an Tuberkulose.
Die Pfleger in Khayelitsha sind verzwei-
felt. Die meisten Fragen beantworten sie
mit Gegenfragen, die viel deprimierender
sind, als es klare Antworten sein könnten.
Eine Tuberkulosepflegerin steht an eine
Spüle gelehnt hinter Ntshikose. »Die Re-
gierung muss etwas unternehmen, gerade
in den Siedlungen. Sie wissen, wie chao-
tisch es werden wird. Sie sagen: Wascht
eure Hände! Wie sollen Leute ihre Hände
waschen ohne Wasser? Ohne Geld für Sei-
fe?« Wie solle sich jemand selbst in Qua-
rantäne begeben, wenn er mit acht Leuten
in einem Raum wohne, fragt sie.
Ntshikose sagt: »Fast alle unsere Patien-
ten sind außerdem HIV-positiv und hoch
gefährdet. Wir haben mehr als 60 neue Pa-
tienten jeden Tag. Und wir sind fast die
ganze Belegschaft.« Vier Menschen stehen
im Raum. »Wir sind schon jetzt überlastet.«
Nur einen Vorteil hat Subsahara-Afrika,
wenn es um Covid-19 geht: Das Durch-
schnittsalter der Bevölkerungen ist das nied-
rigste der Welt, es liegt bei unter 20 Jahren.
Die meisten erkrankten jungen Erwachse-
nen scheinen nur leichte Symptome zu ha-
ben. Viele Menschen hoffen außerdem,
dass die Erfahrung des Kontinents mit Epi-
demien am Ende ein Vorteil sein wird.
In der Klinik in Khayelitsha kann das
niemanden beruhigen. Man könne hier
nur noch beten, sagt eine Pflegerin. Die
Reichen würden in die Supermärkte ren-
nen, alles leer kaufen und sich zu Hause
einschließen. »Was ist mit den Armen?«
Auch sie selbst fühle sich im Stich gelas-
sen. »Was ist, wenn wir krank werden?«,
fragt sie. »Dann bricht alles zusammen.«
Fritz Schaap

94 DER SPIEGEL Nr. 13 / 21. 3. 2020

Coronakrise

L


uvuyo Ntshikoses Alltag bestimmen
schon lange die Seuchen und die To-
ten. Der junge Krankenpfleger sitzt
müde im Untersuchungsraum der Nolun-
gile-Klinik, die Pflegeruniform eng am
schmalen Körper. Vor der Tür warten auf
Holzbänken die Kranken, weiße Masken
vor Mund und Nase. Viele von ihnen sind
todkrank; sie haben Tuberkulose.
In Khayelitsha bei Kapstadt, einer der
größten Townships Südafrikas, in der fast

ausschließlich Schwarze leben, gab es bis-
her noch keinen offiziellen Fall von Co-
vid-19. Ntshikose hat Angst vor dem, was
nun kommen wird. »In den Townships
wird es ein Desaster geben.«
Vor den Toren des Krankenhauses reihen
sich die Häuser dicht an dicht. Einige aus
Beton, der Großteil aus Wellblech. Verein-
zelt stehen dazwischen Toilettenkabinen,
die sich die Menschen teilen. Weit mehr als
400 000 Menschen leben hier dicht ge-
drängt in Armut. Gewalt und Krankheit be-
herrschen heute schon den Alltag vieler.
Ntshikose sagt: »Ich denke, der Covid-
19-Ausbruch ist bereits hier, es ist nur eine
Frage der Zeit, bis das offiziell bestätigt

»Es wird ein


Desaster«


SüdafrikaDie Angst vor einem
unkontrollierten Ausbruch
ist groß. Besonders verletzlich
sind die Menschen
einer Township bei Kapstadt.

BARRY CHRISTIANSON / DER SPIEGEL


Pfleger Ntshikose: »Wir sind schon jetzt überlastet«
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