Der Spiegel - 21.03.2020

(Michael S) #1

schaft, die eigentlich im Juni beginnen soll-
te, gibt den Klubs nun mehr Spielraum.
Derzeit geht die DFL noch vom ersten
Szenario aus, doch die Lage kann sich täg-
lich ändern. Sollten die restlichen Saison-
spiele ohne Zuschauer ausgetragen wer-
den, dürfte kein Erstligist existenziell in
Gefahr geraten. »Anders sieht das wohl
aus, wenn die Saison abgebrochen wird«,
sagt ein DFL-Präsidiumsmitglied, »dann
könnten vielleicht fünf, sechs Vereine
Schwierigkeiten bekommen.« Noch pre-
kärer ist die Situation in der zweiten Liga.
Dort könnte jeder zweite Verein ernsthaft
in Schieflage geraten.
In Frankfurt wurde deutlich, dass es bei
allen Entscheidungen letztlich nur ums
Geld geht – deshalb war die Fortsetzung
des Spielbetriebs für alle so elementar
wichtig. »Koste es, was es wolle«, formu-
liert es ein Branchenkenner, »und sei es,
dass sie 18 Mannschaften und zwei Kame-
rateams nach Simbabwe fliegen und die
Saison dort unter Ausschluss der Öffent-
lichkeit in der Savanne zu Ende spielen.«
Aber auch wenn die TV-Gelder gesichert
wären, müssten die Vereine auf die Einnah-
men an Heimspieltagen durch den Verkauf
der Tickets und das Catering verzichten.
Bei vielen Erstligisten belaufen sich diese
pro Spiel auf bis zu drei Millionen Euro.
Ohne diese Einnahmen droht bei einigen
Klubs das Eigenkapital rasch zusammen-
zuschmelzen. Etwa in Bremen, wo Werder
das Geschäftsjahr 2018/19 mit einem Rein-
vermögen von rund 14 Millionen Euro ab-
schloss – ein Polster, das schnell verbraucht
sein könnte. In der Branche werden hinter
vorgehaltener Hand neben Schalke weite-
re potenziell gefährdete Klubs genannt:
Düsseldorf oder Hertha BSC, der selbst
ernannte »Big City Club« von Investor
Lars Windhorst. Was, wenn Windhorsts
Tennor Holding durch die Auswirkungen
der Coronakrise ins Wanken gerät?
Andere Vereine wie der 1. FC Köln ste-
hen vergleichsweise gut da. Für das letzte
Geschäftsjahr hat der Verein Eigenkapital
von rund 39 Millionen Euro ausgewiesen.
»Wir werden keine Probleme haben, die
Gehälter bis Juni zu bezahlen«, sagt Ale-
xander Wehrle, Geschäftsführer des 1. FC
Köln, »wir können die Situation einige
Wochen aushalten«. Auch die braven Frei-
burger können eine Zeit lang überbrücken.
Doch wem nützt es, wenn nur einige
wenige durchhalten? Jeder Verein wird ge-
braucht, um irgendwann wieder loslegen
zu können. Es muss eine Lösung des ge-
samten Profifußballs geben, die Vereine
werden zusammenrücken müssen. »Dem
FC Bayern und Borussia Dortmund wird
gar nichts anderes übrig bleiben, als sich
jetzt solidarisch zu zeigen, weil sie ansons-
ten bald nur noch mit zehn Teams in der
Liga spielen werden«, sagt ein DFL-Mann.
Wie die meisten Fußballmanager, mit de-


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Coronakrise

Abseits des Platzes
Jährlicher Personalaufwand von
Bundesligavereinen*, in Tausend Euro

Bayern München
Borussia Dortmund
VfL Wolfsburg
Schalke 04
Bayer Leverkusen
RB Leipzig
Bor. Mönchengladbach
TSG Hoffenheim
Eintracht Frankfurt


  1. FC Köln
    Hertha BSC
    Werder Bremen
    Mainz 05
    SC Freiburg


* Geschäftsergebnisse der Saison 2017/18
bzw. des Kalenderjahrs 2018 Quelle: DFL

315,0
186,7
127,9
124,9
110,6
105,3
82,9
77,1
72,2
65,9
61,0
58,3
44,5
40,2

Was Söder angestoßen hat, könnte wei-
tere Kreise ziehen. Man müsse aufpassen,
sagt Jörg Schmadtke, Geschäftsführer
Sport des VfL Wolfsburg, dass nicht auch
noch der Verlust des Images folge. »Nach
dieser Krise werden die Gehälter in dieser
enormen Höhe nicht mehr zu halten sein«,
prophezeit ein Kollege Schmadtkes.
In den Vereinen wird längst mit Spielern
über Gehaltsverzicht verhandelt. Nur was
heißt das? Stundung, bis wieder gespielt
wird? Kürzungen der Gehälter oder kom-
plettes Streichen?
Übersehen wird dabei leicht, dass es
im Fußballgeschäft nicht nur Millionäre
gibt. Laut DFL arbeiten 56 000 Menschen
direkt oder indirekt für die höchsten
Ligen, unter ihnen sind auch Rasenpfle -
ger, Physiotherapeuten, Köche. Sollte der
Betrieb ruhen, werden einige Vereine für
diese Mitarbeiter Kurzarbeitergeld bean-
tragen.
Doch größere Rettungsschirme sind für
den Fußball derzeitig nicht zu erwarten.
»Ich will auch nicht, dass die Kosten der
Bundesligaklubs vergesellschaftet werden.
Dass der Steuerzahler eintritt und
die hohen Gehälter von Lizenz -
spielern subventioniert, wenn Fuß-
ballklubs in große Schwierigkeiten kom-
men«, sagt BVB-Chef Watzke, »das ist
aktuell weder politisch durchsetzbar noch
gesellschaftlich gewollt.«
Sollten die Vereine die aktuelle Krise
überstehen, wartet die neue Herausforde-
rung: die extremen Gehälter, die exorbi-
tanten Transfersummen, windige Finan-
zierungsmodelle – all die Auswüchse des
glamourösen Unterhaltungsbetriebs ste-
hen auf dem Prüfstand.
Wie es um die Solidarität unter den
Klubs tatsächlich bestellt ist, ob sie wirk-
lich größer geworden ist, wird sich schon
in einigen Wochen zeigen. Im Mai wird
das neue TV-Vertragspaket, das ab der
Saison 2021 gilt, ausgehandelt. Eine neue
Rekordeinnahme von mehr als 1,5 Milliar -
den Euro pro Saison wird erwartet.
Bayern und Dortmund argumentieren,
sie würden am meisten zur Attraktivität
der Liga beisteuern, deshalb stehe ihnen
auch das meiste Geld zu. Andere Vereine
wollen stärker die Tradition, den Standort,
die Beliebtheit der Klubs einfließen lassen
und fordern einen höheren Anteil.
»Der jetzige Verteilungsschlüssel der TV-
Gelder ist per se unsolidarisch. Seit zehn
Jahren gibt es unter den Klubs die gleichen
Konfliktlinien«, sagt der Vertreter eines
Zweitligisten, »durch die Coronakrise lau-
fen wir im Mai auf einen Showdown dieser
Debatte zu. Wir verhandeln über die
Zukunft des deutschen Fußballs.«
Markus Feldenkirchen, Udo Ludwig,
Jörn Meyn, Thilo Neumann,
Gerhard Pfeil, Antje Windmann

Während andere Branchen in der Krise das
Mitgefühl der Bevölkerung spüren, können
Fußballer derzeit keine Empathie erwarten.
Die Vereinslenker hatten offenbar die Stim-
mung im Lande unterschätzt, den wirt-
schaftlichen Erfolg als breite Zustimmung
der Bevölkerung missdeutet.
Am Sonntag erklärte der nordrhein-
westfälische Ministerpräsident Armin
Laschet (CDU), es werde »sicher keine
Hilfe« für Fußballmillionäre geben. Am
Montag legte Bayerns Ministerpräsident
Markus Söder nach und forderte die Profis
auf, »einen Beitrag zu leisten«, damit die
Liga die Krise überstehe. Der CSU-Mann
sicherte sich mit dieser populistischen
Ansage die Schlag zeile auf der Seite eins
der »Bild«-Zeitung.

nen der SPIEGEL gesprochen hat, will er
namentlich nicht genannt werden.
Auch Dortmunds Chef Watzke weiß,
dass er anderen entgegenkommen muss,
aber er stellt Bedingungen: »Wir müssen
jetzt gemeinsam Konzepte erarbeiten. Am
Ende eines Prozesses kann man dann über
die Hilfe des einen Vereins für den anderen
Verein diskutieren, und da wird der BVB
sicher nicht unsolidarisch sein. Aber den
Ruf nach einer Umverteilung von Geldern
zwischen Unternehmen, und nichts anderes
wäre das ja, an den Anfang eines solchen
Prozesses zu setzen, in dem ausnahmslos
alle zu kämpfen haben wie noch nie zuvor,
das halte ich nach wie vor für falsch.«
Sosehr jetzt Durchhalteparolen aus -
gerufen werden, schon jetzt ist klar, dass
nach Corona nichts mehr sein wird wie vor-
her – im Innenverhältnis der Fußballbran-
che, aber auch im Verhältnis nach außen.
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